Hamburg. Ein Lehrer, ein Becken: Bei Fiedlers haben Generationen von Hamburgern schwimmen gelernt. Die Wartelisten sind lang.

Platsch! Mit einem Satz springen 14 Kinder in das kleine Schwimmbecken in Alsterdorf. „Meine Damen und Herren“, ruft eine laute, aber freundliche Stimme hinter ihnen. „Los geht’s.“ Und schon macht sich die gesamte Truppe, mal langsamer, mal schneller, mal mehr über Wasser, mal mehr darunter, auf den Weg zur anderen Seite.

Immer mittendrin: der Mann mit dem Bart, der jedes Kind beim Namen kennt und nie eines aus den Augen zu verlieren scheint. Jerk Fiedler, 46 Jahre alt und mindestens hier im Hamburger Norden eine Institution. Aus allen Stadtteilen kommen Eltern nach Alsterdorf gefahren, damit ihre Kinder in der Schwimmschule Fiedler schwimmen lernen können. Bei einem Einzelkämpfer, in einer Ein-Mann-Firma. Fiedler ist Lehrer und Geschäftsführer zugleich, wobei er den Namen eines Kindes selten vergisst, die Rechnung an die Eltern schon mal. „Ich habe einfach einen wunderbaren Job“, sagt er. „Wenn ich im Wasser bin, fühle ich mich wohl. Und kann dabei noch Kindern eine Freude bereiten und sie in ihrem Selbstwertgefühl stärken. Was will man mehr?“

Jerk Fiedler hatte ursprünglich andere Pläne

Dabei waren seine Pläne ursprünglich ganz andere. Obwohl sein Vater Jürgen Fiedler schon 1974 die Schwimmschule eröffnet hatte und sein Sohn quasi am und im Wasser aufwuchs, wollte er die kleine Firma zunächst nicht übernehmen. „Irgendwie war das nie ein Thema in unserer Familie.“ Also studierte er nach dem Abitur Ozeanografie und arbeitete nur nebenbei als Schwimmlehrer beim Vater. „Der ideale Studentenjob.“ So habe er sich auch die Arbeitsweise abschauen können, die Jürgen Fiedler zu einem der bekanntesten Schwimmlehrer Hamburgs und die Schule zu etwas Besonderem werden ließ. „Mein Vater war einer der Ersten. Der mit den Kindern im Becken schwamm. Der nicht vom Rand Befehle brüllte, sondern mittendrin war. Und so viel besser alles zeigen, aber auch eingreifen konnte.“ Auch die fröhliche, liebevolle Ansprache habe er von seinem Vater gelernt.

Warum er sich dann doch entschloss, das Familienunternehmen zu übernehmen, weiß Jerk Fiedler nicht mehr genau. Aber plötzlich fühlte es sich richtig an. Fiedler junior schmiss das Studium und stieg bei seinem Vater ein. Gemeinsam verbrachten sie die Tage im Wasser. Arbeiteten Seite an Seite. „Ich habe mir dabei unheimlich viel abgeschaut“, so Fiedler. Auch den Umgang mit den Eltern, die gerade in den Anfängerkursen die Kinder (natürlich) nicht aus den Augen lassen wollen. In der ersten Stunde dürfen die Väter und Muttern manchmal noch dabei sein, später schickt sie Fiedler auf eine sehr charmante Weise raus – nämlich, indem er die Kinder bittet, das zu tun: „So, meine Damen und Herren“, sagt er dann, „sagt Tschüs zu euren Eltern.“ Soll heißen: Schwimmen lernt man am besten, wenn sich alle auf das konzentrieren, was im Becken passiert, und nicht auf die Menschen am Beckenrand.

Ausgefallen ist der Unterricht bisher sehr selten

Seit Jerk Fiedler die Schwimmschule übernommen hat, ist er sechs von sieben Tagen im Wasser. In der Woche an den Nachmittagen, am Sonnabend sogar den ganzen Tag. „Herr Fiedler hat schon Schwimmhäute“, sagen einige Kinder über ihren Lehrer, den viele auch gern den Wassermann nennen.

Ausgefallen ist der Unterricht bisher sehr selten, wie Fiedler nicht ohne Stolz sagt. Nur kurz vor Ostern, da musste der Wassermann, der mit seiner Frau und seinem Sohn in Eppendorf lebt, zum ersten Mal in einer aufwendigen Telefonaktion alle Eltern anrufen und für zehn Tage die Stunden komplett absagen – aber bestimmt nicht wegen eines Hustens oder Schnupfens. Obwohl ihm das Wasser ständig bis zum Hals steht, ist der Schwimmlehrer nie krank. Nein, das kleine Bad an der Alsterdorfer Straße musste repariert werden. Die ausgefallenen Stunden werden in den kommenden Wochen nachgearbeitet. Ehrensache für Fiedler. Dafür steigt er auch am späteren Abend und an einigen Sonntagen ins Wasser: „Das bin ich den Kindern schuldig.“

Das Seepferdchen ist nur ein Motivationsabzeichen

Bei aller Freunde über die Arbeit sehen Jerk Fiedler und sein Vater die eigene Branche durchaus kritisch. „Es gibt in dieser Stadt zu wenige Becken für Schwimmunterricht. Und zu wenige Wasserzeiten“, sagen die beiden. Mit Zunahme der Ganztagsbetreuung an Hamburgs Schulen sei es immer schwieriger, den Kindern Schwimmen beizubringen. „Wir können ja erst um 15.30 Uhr hier starten.“

Fiedlers Kurse sind auch deshalb immer überfüllt. Die Wartelisten ellenlang. Bis zu eineinhalb Jahre vorher müssen Eltern ihre Söhne und Töchter anmelden, um eine Chance auf einen Platz zu haben. Schwierigkeiten macht auch etwas anderes: die umfangreichen Planungen vieler Eltern für ihre Kinder. „Schwimmen spielt da oftmals neben Hockey oder Tennis nur noch eine untergeordnete Rolle“, sagt Fiedler. Nebenbei sollen sie dann schnell das Seepferdchen machen, für mehr sei vielfach keine Zeit. Dabei, so Fiedler, reiche das erste Abzeichen längst nicht aus. „Um sicher schwimmen zu können, müssen Kinder noch mindestens zwei oder drei Jahre weiter regelmäßig im Wasser sein.“

Schwimmschule stand vor fünf Jahren kurz vor dem Aus

Auch Heiko Mählmann, Präsident der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Hamburg, ist dieser Punkt sehr wichtig: „Mit dem Seepferdchen können Kinder nicht sicher schwimmen, das ist eher ein Motivationsabzeichen.“ Vernünftig schwimmen könnten die Kinder erst, wenn sie den Freischwimmer hätten. Und den habe am Ende der vierten Klasse gerade einmal die Hälfte.

Für Mählmann viel zu wenig. Dazu kämen die großen regionalen Unterschiede in der Stadt. „In den sozial schwachen Stadtteilen sind die Freischwimmer-Werte deutlich schlechter, in den eher wohlhabenden Vierteln besser“, so der Experte. Ganz zu schweigen davon, dass viele Stadtteile nicht einmal Bäder für einen vernünftigen Schwimmunterricht hätten. „Schauen Sie sich doch beispielsweise die HafenCity an. Dort gibt es bisher gar keine Möglichkeit.“

Trotz dieses Mangels bekommt Fiedler von der Stadt keine Unterstützung, er organisiert alles allein. So stand er mit seiner Schwimmschule vor gut fünf Jahren bereits einmal kurz vor dem Aus. Das Bad, das er bis dahin nutzte, wurde geschlossen. Fiedler fand im Norden Hamburgs keine geeignete Alternative. In letzter Sekunde, ein Abschiedsfest war schon geplant, konnte er das kleine Therapiebad der Kurt-Juster-Schule in Alsterdorf anmieten. Hier findet er bis heute ideale Bedingungen vor. „33 Grad warmes Wasser, eine überschaubare Größe, familiäre Atmosphäre.“ Sagt’s und springt wieder rein.