Heute startet das Abendblatt mit seiner neuen Winterpausenserie “Tabu“. Bis Ende Januar werden Themen beleuchtet, die in der Öffentlichkeit und im Alltag der Sportler kaum Erwähnung finden. Erstes Thema heute: Depressionen.

Bochum. Uwe Leifeld lächelt, als er beim Interview-Termin auf der Geschäftsstelle des VfL Bochums etwas verspätet eintrifft. Erwähnenswert ist das deshalb, weil es ein großes Glück ist, dass der Ex-Profi mittlerweile wieder lachen kann. Noch vor zwei Jahren wollte sich Leifeld, der damals unter schweren Depressionen litt, sogar das Leben nehmen. Nach insgesamt vier gescheiterten Suizidversuchen überwies ihn sein behandelnder Arzt in eine Psychiatrische Klinik - was sich für den früheren Bundesligastürmer als Glücksfall erweisen sollte. Im Abendblatt-Interview spricht Leifeld über seinen früheren Wunsch zu sterben, über die gescheiterten Selbstmordversuche und seinen langen Weg zurück in die Normalität. "Ich bin endlich wieder glücklich", sagt Leifeld heute - und lächelt.


Abendblatt:

Herr Leifeld, freuen Sie sich auf Weihnachten?

Uwe Leifeld:

Ich werde nicht großartig feiern, aber auch nicht zu Tode betrübt sein. Den Heiligen Abend werde ich alleine verbringen, am ersten Weihnachtstag bin ich dann bei meiner Familie.



Abendblatt:

Vor zwei Jahren hatten Sie den Entschluss getroffen, nie wieder Weihnachten zu feiern. Sie haben mehrfach versucht, sich das Leben zu nehmen. Was war passiert?

Leifeld:

Im Jahr 2006 gab es ein paar Monate, in denen es mir sehr schlecht ging. Ich hatte sowohl privat als auch geschäftlich große Sorgen. Zur Zeit der Weltmeisterschaft ist bei mir dann irgendwie alles zusammengebrochen. Mein Leben war aus den Fugen geraten. Manche mögen das vielleicht ganz gut verarbeiten können. Ich konnte es nicht.



Abendblatt:

Haben Ihre Freunde oder Ihre Familienangehörigen gar nicht gemerkt, dass Sie an Depressionen litten?

Leifeld:

Man sollte mir ja nichts anmerken. Ich habe nicht zugelassen, dass man entdeckte, wie es mir wirklich ging. Ich dachte: "Ich bin der große Uwe Leifeld, ich brauche keine Hilfe." Allein in meiner kleinen Wohnung grübelte ich dann darüber, warum die Welt so schlecht zu mir ist. Aber draußen konnte ich mit niemanden über meine Probleme sprechen. Ich habe alles in mich hineingefressen. Und irgendwann war der Moment erreicht, an dem ich keinen Ausweg mehr sah.



Abendblatt:

Was hat das Fass zum Überlaufen gebracht?

Leifeld:

Das Fass war einfach voll und lief über. Es ist eben viel auf einmal passiert.



Abendblatt:

Spielte es auch eine Rolle, dass Sie Ihre Profikarriere wegen einer Knieverletzung viel zu früh mit 26 Jahren beenden mussten?

Leifeld:

Natürlich hatte das auch damit zu tun. Die Entwicklung meiner Depression war ein schleichender Prozess. Zunächst will man sich nicht eingestehen, dass man krank ist. Als Fußballprofi war ich früher ja ganz oben. Und plötzlich ist man ganz unten.



Abendblatt:

Sie haben dann für sich entschieden, nicht mehr weiter leben zu wollen. War das ein spontaner Entschluss?

Leifeld:

Im Gegenteil. Ich habe alles genau geplant. Zu der Zeit war ich bereits in psychiatrischer Behandlung und bekam Antidepressiva verschrieben. Ich wusste ja, dass die Tabletten in einer gewissen Menge helfen, in einer größeren Menge aber auch einen anderen Zweck erfüllen können. Ich habe dann wochenlang Tabletten zur Seite gelegt und von meinem Arzt immer neue und immer stärkere verlangt.



Abendblatt:

Und noch immer hat niemand etwas gemerkt?

Leifeld:

Niemand. Irgendwann hatte ich dann genügend Tabletten gesammelt. Glücklicherweise ist aber mein Versuch, mir das Leben zu nehmen, gescheitert.



Abendblatt:

Sie haben sich sogar viermal versucht, das Leben zu nehmen. Ist das nicht auch eine Art lauter Hilfeschrei?

Leifeld:

Das kann man so sagen. Freunde von mir haben mich ja gerade noch rechtzeitig entdeckt. Mein Psychiater machte mir schließlich klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Er hat mich dann in die Psychiatrische Klinik St. Rochus in Telgte überwiesen, wo ich zunächst zwei bis drei Wochen neue Kraft tanken sollte.



Abendblatt:

Blieb es dann dabei?

Leifeld:

Nein. Aus den zwei bis drei Wochen wurden schnell drei Monate. Es dauert eben seine Zeit, über all das zu sprechen, was zuvor schief gelaufen ist.



Abendblatt:

Wie schmerzvoll war es, sich seine eigenen Probleme einzugestehen?

Leifeld:

Genau das musste ich in der Klinik erst mal lernen. Dort wurde mein ganzes Leben noch mal aufgerollt. Da kamen Sachen auf den Tisch, die ich längst vergessen oder verdrängt hatte.



Abendblatt:

Zum Beispiel?

Leifeld:

Zum Beispiel das vorzeitige Ende meiner Profikarriere oder der Tod meines Vaters. Ich war vorher ja nicht in der Lage, über meine Probleme zu sprechen. Aber die Therapie hat mir sehr gut getan. Ich habe dort auch sehr viele Geschichten von Leidensgenossen gehört. Und irgendwann fühlt man sich dann nicht mehr ganz so alleine.



Abendblatt:

Aber vollständig geheilt waren und sind Sie noch immer nicht?

Leifeld:

Das war auch nicht das Ziel der Therapie. In den Monaten in der Klinik wurde mein Leben erst mal neu geordnet. Die Ärzte haben ganz schnell entdeckt, dass ich unbedingt wieder etwas mit Fußball machen sollte. Mir wurde auf eine Art und Weise geholfen, auf die sonst niemand therapiert wird. Ich durfte acht Stunden am Tag Sport machen. Ich bin morgens um sechs aufgestanden, um joggen zu gehen. Anschließend war ich stundenlang im Kraftraum. Natürlich habe ich auch viel mit den Ärzten über mich und meine Probleme gesprochen, aber die Verantwortlichen haben irgendwann richtig entdeckt, dass ich mich am Wohlsten fühle, wenn ich Sport treibe. Und sie haben mir gesagt, dass ich am ehesten gesund werde, wenn ich auch beruflich im Bereich des Sports wieder aktiv werde.



Abendblatt:

Wodurch haben Sie dann neuen Lebensmut gewonnen?

Leifeld:

Ich hatte das große Glück, dass der VfL Bochum mir genau dann die Hand gereicht hat, als ich ganz unten war. Und diese Hand konnte ich nach der Therapie dann auch ergriffen.



Abendblatt:

In welcher Form wurde Ihnen geholfen?

Leifeld:

Die Verantwortlichen des VfL, die wohl von meinen Problemen gehört hatten, haben mir die Tür ins Profigeschäft wieder einen Spalt weit auf gemacht. Ich habe zunächst auf Probe als Scout gearbeitet und wurde dann nach kurzer Zeit fest angestellt.



Abendblatt:

Nach dem misslungenen Versuch einen Lotto-Laden zu betreiben wollten Sie unbedingt zurück in das Fußball-Geschäft. Hätten Sie gedacht, dass es so schnell klappt?

Leifeld:

Na ja, ich habe den Lotto-Laden über 15 Jahre gehabt. Es war sicher kein misslungener Versuch, sondern einfach für mich der völlig falsche Weg. Und zur Frage direkt: Nein, das hätte ich nicht gedacht. Aber natürlich hatte ich auch das Glück, das der VfL zum richtigen Zeitpunkt einen Scout suchte.



Abendblatt:

Wie sehr hat Ihr neuer Job auf dem Weg in ein neues Leben geholfen?

Leifeld:

Jedem ist es selbst überlassen, was man aus den sich ihm bietenden Möglichkeiten macht. Ich habe schnell gemerkt, dass ich sehr gerne wieder im Profifußball arbeiten möchte. Und die Möglichkeit, die der VfL mir bot, habe ich dann auch genutzt. Mittlerweile trage ich echte Verantwortung. Ich soll junge, unbekannte Spieler finden, die dem Verein weiterhelfen können.



Abendblatt:

Der Start ist Ihnen gelungen. Immerhin haben Sie einen großen Anteil an der Verpflichtung von Sturmüberraschung Stanislav Sestak.

Leifeld:

Es stimmt, dass ich ihn für den VfL gescoutet habe. Aber ich bin da jetzt nicht großartig stolz drauf, weil ich bei einer Verpflichtung auch nur ein Teil vom ganzen bin. Es gehört ja nun mal zu meinem Job, dass ich unbekannte Spieler beobachte - und bei außergewöhnlichen Talenten Alarm gebe. Mir bringt diese Arbeit einfach Spaß.



Abendblatt:

Dabei mögen Sie es doch eigentlich gar nicht so sehr, in der Öffentlichkeit zu stehen.

Leifeld:

Darauf kann ich auch gerne verzichten. Aber ist einfach schön, alte Kollegen von mir im Stadion zu treffen. Letztens habe ich Leverkusens Trainer Bruno Labbadia getroffen, und wir haben uns eine Viertelstunde lang unterhalten. So was ist für mich einfach eine große Freude. Und davon konnte ich vor zwei Jahren noch nicht mal mehr träumen.



Abendblatt:

Ist die Arbeit als Scout für Sie ein Traumjob?

Leifeld:

Ich mache zwar parallel auch meinen A-Trainerschein, aber die Arbeit hier beim VfL als Scout gefällt mir schon sehr gut. Es ist einfach schön, von seinem Chef Anerkennung zu bekommen, wenn man einen guten Job gemacht hat. Und genau das passiert hier.



Abendblatt:

Sind Sie glücklich?

Leifeld:

Ja, im Moment kann ich wirklich behaupten, dass ich glücklich bin, denn ich bin Teil einer tollen Team hier beim VfL.



Abendblatt:

Sie haben Ihre Krankheit nicht besiegt, aber doch noch rechtzeitig in den Griff bekommen. Welchen Rat können Sie anderen Menschen geben, die an Depressionen leiden?

Leifeld:

Depression ist eine Volkskrankheit, an der 98 Prozent der Gesellschaft leidet. Der eine kann mit seinen Problemen umgehen, bemerkt sie gar nicht oder hat keine Symptome, der andere nicht. Aber ich bin ja kein Vorbild für alle Depressiven. Wichtig ist nur zu wissen, dass man oftmals alleine einfach nicht weiterkommt.



Abendblatt:

Ist es zur Weihnachtszeit für Depressive besonders schwierig?

Leifeld:

Das würde ich schon so sehen, alleine schon, weil es in der dunklen Jahreszeit liegt. Manche fühlen sich in diesen Wochen noch einsamer als sonst.



Abendblatt:

Haben Sie einen Weihnachtswunsch?

Leifeld:

Eigentlich geht es mir derzeit richtig gut. Aber wenn wir in der Rückrunde ein paar Punkte mehr holen könnten, dann würde ich dieses Geschenk schon gerne annehmen.