Der Kubaner will die Chance seines Lebens nutzen und in Stuttgart die Krone der Königsklasse gewinnen.
Abendblatt:
Herr Gomez, Vitali Klitschko bezeichnet Sie als Freund und sagt, es tue ihm weh, einen Kumpel verprügeln zu müssen. Geht es Ihnen ähnlich?
Juan Carlos Gomez:
Ach was, das ist blödes Gequatsche. Es gab und gibt keine Freundschaft zwischen uns. Wir waren in unserer gemeinsamen Zeit beim Universum-Stall Kollegen, hatten ein normales kollegiales Verhältnis. Das war es.
Abendblatt:
Er sagt, Sie hätten einige Partys gemeinsam gefeiert.
Gomez:
Ach ja? Wenn ich Partys gefeiert habe, war ich tanzen. Kann Vitali tanzen? Nein. Wir haben nie zusammen gefeiert.
Abendblatt:
Warum, denken Sie, erzählt er so etwas?
Gomez:
Er will mich provozieren, aber das ist albern. Ein richtiger Mann lässt solchen Kinderkram sein. Es ist schön für ihn, wenn er glaubt, dass ich sein Freund bin. Aber er erzählt eine Menge Unsinn, auch, dass ich kein Geld hätte und ihm für die Gelegenheit danken müsste, dass ich durch den Kampf viel verdiene. Er hat einen Doktortitel, da müsste er clever genug sein, um zu wissen, dass mich sein Gerede nicht nervös macht. Ich werde ihm dafür in Stuttgart die Fresse polieren.
Abendblatt:
Stimmt es, dass er Sie bei Ihrem ersten und einzigen gemeinsamen Sparring zu Boden geschickt hat?
Gomez:
Das war ein ganz normales Sparring damals, da ist nichts passiert. Wir haben normal trainiert. Am Boden war ich nicht.
Abendblatt:
Die meisten Experten glauben nicht daran, dass Sie eine Chance gegen Klitschko haben. Stört Sie das?
Gomez:
Gar nicht, es motiviert mich nur. Ich war schon immer für Überraschungen gut, und ich werde in Stuttgart für eine weitere sorgen. Ich kenne Vitalis Schwäche und weiß, dass er zu schlagen ist. Mein Trainer Orlando Cuellar und ich, wir haben uns etwas Schönes für ihn überlegt.
Abendblatt:
Es heißt, Sie hätten sich so hart wie nie vorbereitet.
Gomez:
Das stimmt, ich habe zwar auch früher schon hart trainiert, aber zwischen den Kämpfen auch immer viel gefeiert. Das tue ich kaum noch, und ich habe für diesen Kampf wirklich alles andere beiseite geschoben.
Abendblatt:
Keinen Rum mehr, keine Zigarren?
Gomez:
Keinen Rum, Zigarren nur ganz selten.
Abendblatt:
In Ihrer Zeit als Cruisergewichts-Champion war Ihre Stärke die Schnelligkeit. Die ist durch die vielen zusätzlichen Kilos abhandengekommen. Wie also wollen Sie Klitschko packen?
Gomez:
Ich bin zwar nicht mehr so schnell wie früher, aber auch nicht langsam. Ich hatte im Schwergewicht noch keine so starken Gegner, um zu testen, ob mir wirklich Schnelligkeit fehlt. Außerdem bin ich der wesentlich bessere Techniker, ich kann hauen und zwölf Runden Tempo mitgehen. Vitali kann mich nur durch Knockout schlagen, und das wird er nicht schaffen.
Abendblatt:
Klitschko befürchtet, dass Sie nur weglaufen werden, damit er Sie nicht treffen kann. Er hat deshalb einen besonders kleinen Ring gewählt.
Gomez:
Soll er nur. Ich würde ihn auch in einer Telefonzelle boxen.
Abendblatt:
Klitschko gilt als Meister der psychologischen Kriegsführung, der seine Gegner mental brechen kann. Zittern Sie schon?
Gomez:
Lächerlich. Wenn er ein Doktor ist, dann bin ich im Boxen der Professor. Wir haben beide viel Erfahrung, aber er ist nicht intelligenter als ich im Ring. Vergessen Sie nicht: Nur er hat etwas zu verlieren, seinen Titel. Ich kann nur gewinnen, denn von mir erwartet niemand etwas. Ich weiß doch, dass Vitali gegen mich nicht boxen wollte. Erst haben er und sein Team erzählt, der Kampf würde in Deutschland niemanden interessieren. Ich werde jeden Tag nach Karten gefragt. Das war also Unsinn. Jetzt bin ich Pflichtherausforderer, er muss gegen mich kämpfen. Und glauben Sie mir: Er hat darauf keine Lust, und er wird sich noch wünschen, es wäre nie so weit gekommen. Ich lasse die Puppen tanzen, und da kann er nicht mithalten. Er kann ja nicht tanzen.
Abendblatt:
Klitschkos Trainer Fritz Sdunek war früher auch Ihr Coach, weiß also um Ihre Schwächen. Ist das ein Nachteil für Sie?
Gomez:
Nein. Fritz kennt nur meine Stärken, weil ich zu der Zeit, als ich bei ihm trainierte, gar keine Schwächen hatte. Ich will über ihn gar nichts Schlechtes sagen, er ist der beste Trainer in Deutschland und einer der besten der Welt. Aber er weiß bis heute nicht, was in meinen Kopf vorgeht, wie ich wirklich ticke.
Abendblatt:
Herr Sdunek ist außerdem der Opa Ihrer Tochter Delia. Hat es eine Bedeutung für Sie, gegen ein Familienmitglied kämpfen zu müssen?
Gomez:
Nein, das trenne ich. Fritz gehört zur Familie, er hat viel mit mir durchgemacht und wollte aus mir einen besseren Menschen machen. Vielleicht wäre mein Leben besser verlaufen, wenn ich bei seiner Tochter Kati, die heute mit meinem Promoter Ahmet Öner zusammen ist, geblieben wäre. Ihr habe ich sehr wehgetan, was ich heute oft bereue. Aber ich bin ein Latino, mich konnte man früher nicht binden.
Abendblatt:
Heute schon?
Gomez:
Ich bin seit mehr als zwei Jahren mit meiner Freundin zusammen, die in meinem Haus in Los Angeles lebt. Ich bin solider geworden. Früher waren Frauen meine Droge, Frauen und Rum. Das ist nicht mehr so.
Abendblatt:
Sieben Kinder von sieben Frauen reichen ja auch.
Gomez:
Das stimmt, obwohl ich Kinder sehr liebe. Aber ich habe bei dem ganzen Trubel, den ich immer um mich hatte, ganz vergessen, mich um die Kinder zu kümmern. Ich wollte auch nie einsehen, dass das Leben mehr ist als nur Party und dass auch ich älter werde. Das tut mir sehr leid, und ich versuche, das wieder gutzumachen.
Abendblatt:
Es heißt, Sie würden Ihre Alimente nicht bezahlen, und Geld hätten Sie auch keins.
Gomez:
Das ist eine Lüge, ich zahle für alle meine Kinder. Drei leben auf Kuba, vier über Deutschland verteilt. Ich zahle für alle, und die in Deutschland sehe ich auch regelmäßig. Dass ich kein Geld habe, das stimmt leider. Außer meiner Lebenserfahrung und meiner Familie habe ich nichts, deshalb wollte ich ja auch immer um die Schwergewichts-WM boxen. Obwohl es mir neben der Kohle auch um die Ehre geht, denn Boxen liegt mir im Blut und nicht in der Tasche. Ich bereue, dass die sieben Kinder nicht von einer Frau sind. Aber so ist es, ich kann es nicht rückgängig machen.
Abendblatt:
Wollen Sie uns weismachen, dass Sie eigentlich ein ganz anderer Typ sind? Vergessen Sie nicht Ihre mehrmalige Flucht aus Deutschland, weil Sie Ihre Steuern nicht gezahlt hatten.
Gomez:
Das stimmt, es hat lange gedauert, bis ich mich an das geregelte Leben in Deutschland gewöhnt habe. Heute zahle ich aber meine Rechnungen, und nach dem Kampf mit Klitschko werde ich auch meine Restschulden bei Universum-Chef Klaus-Peter Kohl begleichen.
Abendblatt:
Wie erklären Sie heute die positive Dopingprobe auf Kokain, wegen der Universum Ihnen 2005 fristlos kündigte?
Gomez:
Ich glaube noch immer daran, dass man mich loswerden wollte, weil ich weiß, dass ich nie im Leben Kokain genommen habe. Mehr gibt es zu diesem Thema nicht zu sagen.
Abendblatt:
Im Nachhinein könnten Sie über die Entlassung fast dankbar sein, denn beim Arena-Stall von Ahmet Öner haben Sie jetzt offenbar Ihre neue Heimat gefunden.
Gomez:
Nein, Arena ist mein Arbeitgeber. Aber meine Heimat ist Deutschland. Es war die beste Entscheidung meines Lebens, hierhergekommen zu sein. Ich habe hier zu dem werden können, was ich bin: ein freier Mensch, der frei seine Meinung sagen kann.
Abendblatt:
Sie wollen also auch nach Ihrer Karriere in Deutschland leben?
Gomez:
Natürlich. Ich arbeite gerade daran, endlich eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Ich werde den Titel, den ich am Sonnabend gewinne, noch ein- oder zweimal verteidigen, dann meine Karriere beenden und in Deutschland mein eigenes Gym eröffnen.
Abendblatt:
Ihr Promoter nimmt derzeit in großem Stil Kubaner unter Vertrag, die geflohen sind. Wie sehen Sie diese Entwicklung?
Gomez:
Ich habe Ahmet gewarnt, dass er die Finger von diesen Geschäften lassen soll, sonst bekommt er eines Tages noch großen Ärger. Fidel Castro ist nicht blöd, und kubanischen Boxern bei ihrer Flucht zu helfen ist ein Politikum. Ahmet ist ein guter Promoter. Aber er hat nicht genug Erfahrung für solche Deals.
Abendblatt:
Kommt bei diesen Deals auch die Erinnerung an Ihre eigene Flucht wieder hoch?
Gomez:
Nein, das beschäftigt mich nicht mehr. Ich habe mich 1995 während des Chemiepokals in Halle abgesetzt, weil ich mich ungerecht behandelt fühlte. Natürlich war es hart, die Familie zurückzulassen, aber im Rückblick war das die beste Entscheidung meines Lebens.
Abendblatt:
Große Teile Ihrer Familie und sogar drei Ihrer Kinder leben noch auf Kuba. Die müssen Sie doch schrecklich vermissen.
Gomez:
Das tue ich. 2005 war ich das letzte Mal dort. Seitdem habe ich es viermal versucht und bin immer am Flughafen zurückgeschickt worden. Mein Bruder ist gestorben, mein Vater ist sehr krank geworden, aber man hat mich trotzdem nicht reingelassen. Das hat mir sehr wehgetan. Deshalb ist mein größter Traum, nach dem Sieg über Klitschko mit dem WM-Gürtel zu meiner Familie zu gehen. Einen Weltmeister im Schwergewicht wird auch ein Fidel Castro nicht wegschicken.