Heute letzter Teil der Abendblatt-Serie zum Klitschko-Kampf: Björn Jensen über das Duell zwischen Lennox Lewis und Vitali Klitschko.
Hamburg. Sie müssen nur die markanten ersten Takte anspielen im Radio, die eingängige Melodie des Klassikers "Hotel California" von den Eagles, und sofort sind die Bilder zurück in meinem Kopf. Vitali Klitschko, wie er einmarschiert in das Staples Center von Los Angeles. Die Wunde, dieser fürchterliche Cut über dem linken Auge, in den Joe Souza, der professionelle Blutstopper in Klitschkos Ecke, einen ganzen Wattestab versenkt, ohne damit eine Wirkung zu erzielen. Und dann Klitschkos Gesicht, der in ungläubigem Entsetzen aufgerissene Mund, als Ringrichter Lou Moret den Kampf abbricht nach der sechsten Runde, auf Anraten der Ärzte, die um das Augenlicht des Ukrainers fürchten.
Alle diese Szenen wirken so frisch, wenn "Hotel California" gespielt wird, weil der 21. Juni 2003 der Tag war, an dem ich als junger Reporter den packendsten Kampf meines bisherigen Berufslebens sehen durfte. Vitali Klitschko hatte sich den Klassiker als Walk-in-Song ausgesucht, um das neutrale kalifornische Publikum auf seine Seite zu ziehen in einem Duell, dessen Rollen im Vorhinein aufgeteilt gewesen waren. Der Gute, das war der Brite Lewis, WBC-Weltmeister im Schwergewicht, der Topstar der Königsklasse, eloquent, schlagstark - unbesiegbar. Der Böse, das war Klitschko, dieser Roboter aus dem Osten, eine Bedrohung für die von US-Amerikanern und Westeuropäern dominierte Szene. In Hollywood lieben sie diese Gegensätze, sie machen Geschichten einfach.
Klitschko aber war nicht gekommen, um es Lewis einfach zu machen. Die Medien in Deutschland waren elektrisiert, tagelang gab es unter Sportfans kaum ein anderes Thema. Würde Vitali Klitschko sein Trauma besiegen und sich endlich auch den US-Amerikanern als der eisenharte Kämpfer präsentieren, als den ihn die Deutschen in ihr Herz geschlossen hatten? Im April 2000 hatte er seinen WBO-WM-Titel an Chris Byrd verloren, weil ihm eine Sehne in der Schulter gerissen war. In den USA war er nach seiner Aufgabe als "Weichei" verspottet worden, und dieser Stachel saß tief.
Klitschko und Lewis schlugen aufeinander ein, als wäre es ihr letzter Tag auf Erden. Es ging so schnell, die Treffer auf beiden Seiten waren so brutal, dass viele Fans sie erst in den Zeitlupen, die über den großen Videowürfel flimmerten, wahrnehmen konnten. Das ungläubige Raunen aus Tausenden Kehlen, die vielen Gesichter, die sich angewidert von der Brutalität zu bizarren Grimassen verzogen, all das nahm ich wahr wie durch einen Nebel, tief beeindruckt von der rauen, ehrlichen Intensität, mit der diese beiden Sportler ihr Bestes gaben.
Je länger der Kampf dauerte, desto eindeutiger schwenkte das Publikum in Richtung Klitschko. Als der Abbruch kam, pfiffen die meisten; nicht weil sie unzufrieden waren, sie wollten mehr sehen von dieser epischen Schlacht. Ich war nicht der Einzige, der fühlte, dass Klitschko den Kampf gewonnen hätte. Dass Lewis zu einem Rematch nicht bereit war, sondern seine Karriere beendete, machte beide zu Siegern. Der Brite konnte als Legende abtreten, Klitschko seine Karriere neu starten. Ein Weichei hat ihn niemand mehr genannt.