Weltmeister Wladimir Klitschko kann gegen David Haye alle Kritiker zum Schweigen bringen. Es ist der größte Kampf im Schwergewicht seit Jahren.
Hamburg. Das Wiegen, das einen Tag vor Profiboxkämpfen ansteht, hat Wladimir Klitschko am Freitagmittag einen Vorgeschmack darauf gegeben, welche Stimmung ihn an diesem Sonnabend (21.45 Uhr/RTL) in der Imtech-Arena erwartet. 800 Fans des englischen WBA-Weltmeisters David Haye hatten sich im ebenso überfüllten wie überhitzten dritten Stock des Karstadt-Sporthauses am Hauptbahnhof eingefunden, um den WBO/IBF-Champion mit Schmähgesängen einzuschüchtern. Während Haye, mit 96,5 Kilogramm fast 14 Kilo leichter als sein sieben Zentimeter größerer Rivale, die Anfeuerungen mit wohlwollendem Kopfnicken zur Kenntnis nahm, tat Klitschko das, was er seit Tagen tut, wenn er seinen Rivalen trifft: Er lächelte.
Wo auch immer der 35-Jährige auftrat in den Tagen vor dem Kampf, zwei Emotionen konnte - und wollte - er nicht verbergen: eine schier unbändige Vorfreude, gepaart mit enormer Aggressivität. Wie er am Montag auf der Pressekonferenz in den Messehallen in einem pointierten, in fließendem Englisch mit US-Akzent vorgetragenen Monolog Hayes divenartige Unpünktlichkeit aufs Korn nahm. Oder wie er am Mittwoch beim Pressetraining in einem Autohaus am Heidenkampsweg seinen Gegner lediglich als "Nummer 50" bezeichnete, weil er bereits 49 Gegner ausgeknockt hat, und damit einen weiteren Nadelstich der psychologischen Kampfführung setzte. All das hatte so viel Klasse, dass sich selbst die in Scharen angereisten britischen Reporter zuraunten: "He is very good!"
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"Ich bin gerne in der Vorbereitung auf diesen Kampf, nicht nur für die Show, sondern auch mental. Und die verbalen Neckereien gegenüber David machen mir unheimlich viel Spaß. Ich genieße es einfach, in seiner Nähe zu sein", hat Wladimir Klitschko vor ein paar Tagen gesagt, und wer ihn über Jahre hinweg begleitet hat, der kann feststellen, dass der Ukrainer tatsächlich eine Lust an seinem Beruf ausstrahlt, die nie zuvor in seiner Karriere größer war. Ein Wunder ist das allerdings nicht, schließlich hat er an diesem Sonnabend die Chance, seine Kritiker ein für allemal zum Verstummen zu bringen. Diejenigen, die ihm vorwerfen, er sei kein Kämpfer, sondern lediglich ein Stratege, der seine Gegner an der ausgestreckten Führhand verhungern lässt, ohne Risiko einzugehen. Einer, der, so wie es auch Haye beklagt, im Schwergewicht ein "Regiment der Langeweile" installiert hat.
Natürlich kann man Wladimir Klitschko vorwerfen, dass er zunächst darauf bedacht ist, seine körperliche Unversehrtheit zu bewahren, anstatt seinem Publikum Action in jeder Sekunde seiner Kämpfe zu bieten. Vielmehr war es jedoch in der Vergangenheit so, dass seine Gegner nicht kämpfen wollten, sondern sich verkrochen, sobald sie die Härte und Schnelligkeit seines Jabs gespürt hatten. Klitschko selbst hat sich mehrfach darüber beklagt, am ärgsten im Februar 2008. Damals kämpfte er in New York den bislang letzten Vereinigungskampf zweier Schwergewichtsweltmeister gegen den Russen Sultan Ibragimow, der den WBO-Titel hielt. Es war so langweilig, dass die US-Presse anschließend die Königsklasse des Berufsboxens endgültig für tot erklärte. Seitdem hat Wladimir nicht mehr in Übersee gekämpft.
Dass sein Trainer Emanuel Steward ihm nach dem Kampf "mangelnden Killerinstinkt" vorwarf, hat den Modellathleten tief getroffen. Seitdem versucht er sich angriffslustiger zu geben, nicht nur im Ring, sondern auch außerhalb. Doch erst jetzt, wo mit Haye ein Gegner aufgetaucht ist, dem die Experten Schnelligkeit, Schlagkraft und vor allem Mut zubilligen, scheint jener Killerinstinkt erwacht zu sein. Schon im Trainingscamp in Tirol war zu beobachten, dass Klitschko seine rechte Schlaghand wesentlich häufiger benutzte als früher. Seine beeindruckenden Auftritte in der Kampfwoche haben selbst die zahlreich angereisten britischen Reporter dazu veranlasst, ihn in großer Mehrheit zum Favoriten zu küren.
Vom "Career defining Fight" spricht man im Boxen, dem Kampf, der einer Laufbahn die Richtung weist. Alle großen Schwergewichtler haben solche Fights erlebt, Wladimirs Bruder Vitali, 39, im Juni 2003 gegen Lennox Lewis. Der Kampf, der aus Wladimir einen anderen Boxer machte, fand im September 2005 in Atlantic City nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Es ging um keinen Titel, als Klitschko gegen den Nigerianer Samuel Peter dreimal zu Boden ging und trotzdem nach Punkten gewann. Damals hat er bewiesen, dass er sehr wohl Kämpferherz besitzt. Es schaute nur kaum ein Fan zu.
Den Fehler, einen Gegner zu unterschätzen wie im März 2003, als er vom unbekannten Südafrikaner Corrie Sanders ausgeknockt wurde, hat Wladimir Klitschko nie wiederholt. Die Unsicherheit, wie er unter Druck reagiert, ist indes geblieben. Sein Defensivverhalten, die Kontrolle im Rückwärtsgang, bleibt seine Schwachstelle. Seit Peter hat ihn kein Gegner mehr dahingehend getestet. Haye könnte der Erste sein, der es tut. Deshalb ist dies der Tag, der ganzen Welt zu beweisen, wer der Herrscher der Königsklasse ist. Klitschko muss nur ruhig bleiben, dann wird er auch nach dem Kampf noch lächeln.