Sebastian Vettel muss sich nach seinem verweigerten Renn-Abbruch vor seinem Team Red Bull erklären. Stuck nimmt Inder Karthikeyan in Schutz.

Kuala Lumpur. Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel droht nach dem Großen Preis von Malaysia Ärger: Wegen eines „Stinkefingers“ gegen den Inder Narain Karthikeyan erwartet den Red-Bull-Piloten aus Heppenheim eine Strafe durch den Automobil-Weltverband FIA, zudem wird sich Vettel nach seiner Befehlsverweigerung, das Rennen in Kuala Lumpur vorzeitig aufzugeben, vor seinem Team Red Bull erklären müssen.

Sebastian Vettel war am vergangenen Sonntag beim Überrunden des Inders Karthikeyan von dessen Hispania-Rennwagen der linke Vorderreifen aufgeschlitzt worden. Dadurch blieb der zweimalige Champion im zweiten WM-Lauf ohne Punkt. Die Szene mit dem erhobenen rechten Mittelfinger Vettels war von der Onboard-Kamera aufgezeichnet worden. Ein entsprechendes Foto wurde vom britischen Sender BBC verbreitet.

„Da hat er gegen den Verhaltenskodex verstoßen“, sagte der ehemalige Formel-1-Rennfahrer Marc Surer als Sky-Experte am Dienstag in einem Interview mit dem Sport-Nachrichtensender Sky Sport News HD. „Es gibt den Sporting Code. Den unterschreibt man, wenn man die Lizenz bekommt. Dann muss man sich eben entsprechend verhalten. Ein Verhalten, das anderen Personen oder dem Sport schadet, ist strafbar“, so Surer, der den Vorfall selbst gesehen hat: „Ja, das konnte man auf dem Onboard-Kanal verfolgen.“

Der Strafenkatalog bei derartigen Vergehen umfasst eine breite Palette. „Das kann von einer Verwarnung oder gar nichts bis zu einem Lizenzentzug gehen“, sagte Surer, der aber nicht an drastische Folgen für Vettel glaubt: „Ich denke, dass es jetzt in dem Fall verständlich war und dass man da eine milde Strafe ausspricht, wenn es eine Strafe gibt. Aber theoretisch ist da alles offen."

Der FIA traut Surer das richtige Maß jedenfalls zu. “Ich denke, dass die Leute in Paris bei der FIA Verständnis haben für jemand, der einfach sauer ist, dass er dann so reagiert, im Affekt. Und deswegen wird es wahrscheinlich keine schlimme Strafe geben", sagte der Schweizer, der bis 1986 selbst 82 Formel-1-Rennen bestritten hat.

Wie der “Rapport" bei seiner Teamleitung enden wird, ist ebenfalls völlig offen. “Wir werden darüber sprechen", sagte Teamchef Christian Horner laut Bild-Zeitung und kündigte eine Aussprache bei den Simulator-Tests am Wochenende im Werk in Milton Keynes an.

Vettel hatte sich demnach trotz aussichtsloser Position kurz vor dem Ende des Rennens geweigert, wie von Renningenieur Guillaume Rocquelin mehrmals gefordert, abzubrechen. Im Falle des Ausscheidens hätte Red Bull beim nächsten Rennen in China straffrei das Getriebe wechseln dürfen, was sonst mit einer Rückversetzung um fünf Startplätze geahndet wird. Marc Surer schlug sich bei der Bewertung der Szene auf Vettels Seite: “Es war die richtige Entscheidung von Vettel. Das Team muss bei solchen Kommandos auch aufpassen. Man darf nur bei einem technischen Defekt das Auto an die Box holen."

Im offiziellen Statement nach dem Rennen hatte Red Bull sowohl Horner als auch Vettel dahingehend zitiert, dass der Weltmeister die Aufforderung wegen des nicht funktionierenden Boxenfunks nicht gehört habe. Vettel hatte jedoch schon unmittelbar nach dem Rennen im RTL-Interview erklärt: “Man wollte wohl das Auto sparen, aber ich wollte die Zielflagge sehen. Ich hätte reinkommen sollen, aber ich habe gedacht, es gehört sich, zu Ende zu fahren, auch wenn das Auto den Geist aufgibt."

Schon im vergangenen Oktober hatte sich Vettel den Vorgaben seines Teams widersetzt und sich damit Ärger eingehandelt. Trotz klarer Führung war er in der letzten Runde ein Risiko eingegangen und die schnellste Rennrunde gefahren. “Er weiß, dass wir das nicht mögen", hatte Horner damals gesagt: “Wir haben unser Bestes getan, um ihn einzubremsen, aber wir konnten nichts machen. Wir hätten ihm eine Kuh in den Weg stellen sollen." Vettel habe sich entschuldigt, erklärte Horner kurz darauf und konstatierte gnädig, der Weltmeister sei eben “ein Vollblutrennfahrer".

Stuck nimmt Karthikeyan in Schutz

Unterdessen hält die deutsche Rennfahrer-Legende Hans-Joachim Stuck die Kritik von Sebastian Vettel an dem Inder Narain Karthikeyan für überzogen und gibt dem Formel-1-Weltmeister sogar eine Mitschuld an dem Unfall beim Rennen in Malaysia. „Beim Überholen können Missverständnisse vorkommen. Das muss Sebastian Vettel auch mal lernen. Bei ihm ging es bisher immer nur nach oben, und dass das jetzt nicht so ist, muss er erst mal verkraften“, sagte Stuck im Interview der Nachrichtenagentur dapd.

Vettel hatte Karthikeyan acht Runden vor Schluss überrundet. Dabei berührten sich beide Rennautos und an Vettels Red Bull wurde der linke Hinterreifen aufgeschlitzt. Der 24-Jährige musste an die Box und fiel vom vierten auf den elften Platz zurück. Nach dem Rennen hatte er den Inder als „Gurke“ bezeichnet. Eine Wortwahl, die Stuck nicht korrekt findet, auch wenn er Vettels Enttäuschung verstehen kann: „Solche Ausdrücke sollten natürlich trotzdem nicht fallen.“ Aber „Gurke“ zu sagen, sei laut Stuck immer noch besser als „Arschloch“.

Ironische Forderungen, dass Karthikeyan noch mal in die Fahrschule müsse, hält Stuck für Blödsinn. Ein Unfall wie in Malaysia könne in jedem Rennen passieren, wenn Fahrer überrundet werden. Und zu einer Kollision gehörten immer zwei, sagte Stuck. Deshalb sei auch Vettel in diesem Fall nicht ganz unschuldig. „Wenn Sebastian Vettel mehr Platz gelassen hätte, wäre es nicht passiert. Beide haben zum selben Zeitpunkt beschleunigt. Das kommt mal vor, das ist ein Rennunfall“, sagt Stuck, der Karthikeyan als umsichtigen Fahrer lobt: „Der hat das nicht mit Absicht gemacht. Der muss nicht noch mal zur Führerscheinprüfung.“

Für Stuck war das Rennen in Malaysia beste Werbung für die Formel 1. Deshalb wäre es seiner Meinung nach gar nicht schlecht, künftig eine regelmäßige Regenphase einzubauen. „Alonso hätte nicht gewonnen, wenn es trocken gewesen wäre, und auch Perez wäre nicht Zweiter geworden“, sagte Stuck. (dapd/sid/abendblatt.de)