Der krebskranke Spielmacher des HSV genoss seine kurze Rückkehr auf die Handball-Bühne. Heute muss der 31-Jährige wieder zur Chemotherapie.
Hamburg. Er hatte wieder dazugehört, für Augenblicke zwar nur, aber diese genoss Oleg Velyky sichtlich. Mit geröteten Wangen und einem fast schon lausbubenhaften Lächeln stand der krebskranke Spielmacher der HSV-Handballer in den Katakomben der Color-Line-Arena vor der Kabinentür und plauderte mit ungewohnter Redseligkeit über jene viereinhalb bewegenden Minuten, für die er in den vergangenen Wochen und Monaten gelebt hatte. "Es war zuletzt mein sehnlichster Wunsch, endlich einmal im Trikot des HSV aufs Spielfeld zu laufen", sagte Velyky.
Er ging am Sonnabendnachmittag überraschend in Erfüllung.
Es ist die 19. Spielminute, als HSV-Trainer Martin Schwalb den 31-Jährigen gegen den THW Kiel mit einem aufmunternden Klaps auf die Schulter an den gegnerischen Kreis schickt. Die Zuschauer schreien ihre Begeisterung in ohrenbetäubender Lautstärke heraus, aus der HSV-Fankurve schallen "Oleg Velyky"-Rufe. "Da habe ich Gänsehaut bekommen. Ich kann meine Gefühle gar nicht beschreiben. Sie erdrücken mich. Diesen Moment werde ich nie vergessen. Für diesen Tag habe ich sehr, sehr lange gekämpft", wird Velyky später sagen. Bei fünf Kurzeinsätzen in der ersten Halbzeit darf der gebürtige Ukrainer den Angriff der Hamburger dirigieren, und Velyky deutet mit zwei brillanten Zuspielen auf Kreisläufer Bertrand Gille und Rechtsaußen Stefan Schröder an, warum ihn HSV-Präsident Andreas Rudolph im Januar 2008 für rund 200 000 Euro Ablöse aus dem Vertrag mit den Rhein-Neckar Löwen gekauft hatte.
Die Geschichte danach ist eine tragische. Velyky hat in den vergangenen 14 Monaten bis zu diesem Sonnabend kein Spiel für den HSV bestritten. Am 17. Januar 2008, vier Tage nach der Unterschrift in Hamburg, reißt er sich bei der Europameisterschaft in Norwegen in seinem 38. Länderspiel für Deutschland gegen Weißrussland das Kreuzband im rechten Knie. "Ich bin fix und fertig", sagt Velyky. Es soll noch schlimmer kommen.
Einen Monat danach diagnostizieren die Ärzte erneut Hautkrebs. Im September 2003 hatten sie zum ersten Mal ein malignes Melanom im Bereich seiner linken Achselhöhle entfernt. 18 Monate dauert die Therapie. Velyky spielt während der Behandlung wieder Handball, besser denn je. Als Regisseur gehört er zu den weltbesten. Sein Wurf ist hart, seine Anspiele genial. Spieler seiner Qualität sind bei jedem Klub gefragt. Verletzungen jedoch werfen ihn immer wieder zurück. Bei der Weltmeisterschaft 2007, dem Triumph der deutschen Mannschaft, sitzt er mit einer Blessur am Fuß auf der Tribüne. In dieser Zeit wird er zum Fatalisten. "Der Krebs relativiert alles. Mit einer solchen Krankheit planst du dein Leben nicht mehr für die nächsten 20, 30 Jahre, höchstens für die nächsten drei oder vier", sagt er dem Abendblatt Anfang Januar 2008.
Velyky ist keiner, der resigniert. Als der Krebs im Februar 2008 zurückkehrt, weiß er um die Prognosen. Sie sind nicht günstig. Er wehrt sich gegen sein Schicksal: "Das einzige, was sicher ist, ist, dass nichts sicher ist." Der Satz wird zu seinem neuen Lebensmotto. Er gibt ihm Kraft; auch, als er im vergangenen Oktober in Lübeck ein drittes Mal wegen Hautkrebs stundenlang operiert werden muss. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus beginnt er sofort mit dem Aufbauprogramm. Zu jedem Heimspiel des HSV kommt er in die Halle. Seit zwei Wochen trainiert er wieder regelmäßig mit der Mannschaft. Am Freitag bietet er seinen Einsatz gegen Kiel an. Die Ärzte haben keine Bedenken. Schwalb akzeptiert. "Der Auftritt von Oleg hat der Mannschaft einen zusätzlichen Motivationsschub gegeben. Dass er gespielt hat, ist wichtiger als jeder Sieg", sagt der verletzte Kapitän Guillaume Gille nach der 33:34-Niederlage. Velyky denkt anders: "Ich hätte lieber gewonnen." Sportler reden so. Am Sonnabend fühlt sich der Handballprofi Velyky wieder wie einer.
Noch am Abend aber trennen sich die Wege. Während das Team auf Einladung von Präsident Rudolph für vier Tage in den Tiroler Skiort Ischgl fliegt, fährt Velyky nach Hause. Heute muss er wieder zur Chemotherapie.
"Ich freue mich auf mein nächstes Spiel", hat Oleg Velyky am Sonnabend zum Abschied gesagt. Es klang wie ein Versprechen.