Überrascht ist er selten. Er ist eigentlich ein Träger des Prädikats “abgeklärt“. Doch nach dem überzeugenden 3:0-Sieg gegen Nijmegen, der den... So will der HSV gegen Leverkusen spielen.

Hamburg. Überrascht ist er selten. Er ist eigentlich ein Träger des Prädikats "abgeklärt". Doch nach dem überzeugenden 3:0-Sieg gegen Nijmegen, der den Einzug ins Achtelfinale des Uefa-Pokals so gut wie sicherte, mochte sich auch Dietmar Beiersdorfer nicht mehr zurückhalten. "Ich hatte es in der Deutlichkeit nicht erwartet", platzte es aus dem HSV-Sportchef heraus. Und während sich Vorstand Bernd Hoffmann seinem Ziel, in Europa zu den Top-Ten-Teams zu gehören, aktuell mit dem Sprung auf Uefa-Rang 27 (beste Platzierung seit 1987) ein deutliches Stück näher wähnen darf, trugen die Spieler ihre hohe Selbsteinschätzung uneingeschränkt zur Schau. "Wir sind ja auch der HSV - der Dritte der Bundesliga", sagt Mittelfeldspieler Collin Benjamin stolz.

Und das ist der Namibier nicht ohne Grund. Der HSV ist mit dem Uefa-Cup, DFB-Pokal und der Meisterschaft in allen möglichen Wettbewerben gut positioniert. In der Bundesliga sogar so gut wie seit der Saison 1986/1987 nicht mehr.

Jetzt wollen die Spieler noch mehr, geben sich so optimistisch wie lange nicht. "Leverkusen passt uns als Gegner", sagt Piotr Trochowski, "da können wir uns mit einem Sieg absetzen." Ziel seien ab jetzt Titel. Auch der sonst rund um die Nordbank-Arena gemiedene Begriff "Meisterschaft" wird offen ausgesprochen, nachdem Trainer Martin Jol ihn höchstpersönlich salonfähig machte: "Nach unten gucken müssen wir schon seit vier Monaten nicht mehr", so der HSV-Trainer, "unser Blick muss nach oben gehen. In allen Wettbewerben." Auch in der Bundesliga, wo derzeit nur zwei Teams vor dem HSV stehen? "Ja", so Jol, "jedes Spiel ist ein Finale. Wir alle hier träumen von einem Titel."

Vor dem wichtigen Top-Spiel am Sonntag gegen Leverkusen in Düsseldorf sprengt das Selbstvertrauen der Spieler und des Trainerstabes alle bisher geltenden Rahmen. "Das ist nicht erst seit heute so", versucht Trochowski zu relativieren, "das ist bei uns schon seit Beginn der Hinrunde so."

Allerdings galt das zu Saisonbeginn allenfalls für einen Teil der Mannschaft. Spieler wie Marcell Jansen, der erst jetzt zur Rückrunde seine Form zu finden scheint, versuchen sich noch heute als Euphoriebremse: "Neben tollen Siegen gibt es eben auch Spiele wie unsere Niederlage beim Karlsruher SC. Bei sechs Punkten Vorsprung würde ich auch einiges fordern - aber noch reden wir uns hoch und drohen dadurch tief zu fallen."

Ob er die Euphorie seiner Kollegen übertrieben findet? "Nein, aber Fußball ist Tagesgeschäft", sagt Jansen und scheint dann doch beizugeben: "Es ist ein Business, in dem wir hier alle auf einen Titel drängen - egal in welchem Wettbewerb." Auch die Deutsche Meisterschaft? "Klar", so der Nationalspieler, "in dieser Saison ist wirklich alles drin."

Genau so sieht es auch Dietmar Beiersdorfer. "Dieses Jahr ist alles möglich. Zumal ich überzeugt bin, dass wir uns mit jeder Mannschaft messen können", umschreibt Beiersdorfer vorsichtig seine Sehnsucht nach einem Titel, "es kommt auf die Einstellung an."

Der Sportchef ist trotz aller Euphorie bemüht, sachlich zu bleiben. Taten sprechen lassen sei seine erste Konsequenz, so der ehemalige Abwehrspieler. Doch während Beiersdorfer spricht, scheint er sich selbst von Satz zu Satz mehr zu begeistern. "Gegen Bayer Leverkusen wird es wieder darum gehen, die richtige Einstellung - wie in Nijmegen - an den Tag zu legen. Es geht darum, noch einmal drei Monate alles Persönliche hinten an zu stellen." Für die Meisterschaft? Beiersdorfer überlegt, wackelt einige Zeit mit dem Kopf hin und her und sagt: "Vielleicht reicht es am Ende für jeden einzelnen Spieler ja sogar für Ruhm und Ehre ein Leben lang." Eine sehr offensive wie überraschende Aussage.