Glinde. Ingenieur und Jurist sind Schiedsmänner in Glinde. Ihre Erfolgsquote ist beachtlich. Und zu erzählen haben sie auch einiges.

Die Hecke ist mal wieder nicht geschnitten und ragt über den Zaun des Nachbarn. Der ist wütend, bittet um Kürzung der Pflanzen. Doch nichts passiert, es kommt zum Streit. Also Anzeige erstatten? Das muss nicht sein. In so einem Fall sind Klaus-Dieter Schulz und Rüdiger Reuter gefragt. Die beiden Senioren schlichten ehrenamtlich, fungieren als Schiedsmänner in Glinde. Wer ihre Leistungen in Anspruch nimmt, spart Geld. Das Verfahren ist günstiger als bei Gericht. Mit zehn bis zwölf Angelegenheiten beschäftigt sich das Duo pro Jahr. Es arbeitet seit 2022 zusammen, nur zweimal kam es nicht zu einer Einigung zwischen den Parteien. Die Männer vermitteln auch, wenn es um Verleumdung, Beleidigung und Sachbeschädigung geht. Sie erleben so einiges bei der Ausübung ihres Hobbys.

„Wenn sich die Menschen versöhnen, ist das ein befriedigendes Gefühl“, sagt Schulz über seine Motivation. Der 73-Jährige wurde in Lauenburg geboren, wuchs in Duisburg auf und wohnt seit 1978 in Glinde. 2017 wählte ihn die Stadtvertretung zum stellvertretenden Schiedsmann, zuvor war er Schöffe am Amtsgericht Reinbek sowie am Landgericht Lübeck. Seit zwei Jahren steht der Ingenieur, der früher für den Norddeutschen Rundfunk gearbeitet hat, an der Spitze des Schiedsamts. „Es macht Spaß. Wenn gesundheitlich nichts dagegen spricht, würde ich weitermachen.“ Schulz war vor Jahrzehnten selbst einmal in einen Nachbarschaftsstreit involviert. Das war der Treiber, sich im Ruhestand für diese Tätigkeit zu entscheiden.

Streit ist ihr Hobby: Schiedsleute in Glinde scheuen keinen Konflikt

Sein Stellvertreter hat sich sein ganzes Berufsleben mit Streitigkeiten befasst und als Rechtsanwalt unzählige Prozesse geführt. Zuletzt betrieb Reuter eine Kanzlei in Hamburg mit zwei Partnern. Der 73-Jährige sagt: „Juristische Vorkenntnisse sind hilfreich, aber als Anwalt hat man eine andere Sichtweise als hier.“ Schiedspersonen sind unparteiisch und entscheiden nicht. Sie können aber ein Ordnungsgeld verhängen, wenn der Antragsgegner einen Termin ignoriert. Welche Qualitäten sollte eine Schiedsperson haben? Reuter: „Man muss gut zuhören können, lenkend eingreifen und gegebenenfalls Vorschläge machen. Oftmals haben Nachbarn seit zehn Jahren nicht mehr miteinander kommuniziert. Es gibt Streitigkeiten, die über Generationen gehen.“

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Schulz berichtet von einem kuriosen Fall mit gutem Ende. Ein Hauseigentümer habe eine Überdachung am Hauseingang gebaut – und zwar über die Grenze hinaus. „Der Nachbar forderte erst einen Rückbau, ruderte bei der Schlichtung zurück unter der Bedingung, dass die andere Partei 1000 Euro an eine gemeinnützige Organisation spendet. Der Antragsgegner willigte ein, forderte aber sein Gegenüber auf, genauso viel Geld zu geben.“ So kamen 2000 Euro für einen guten Zweck zusammen. Einen Vergleich konnten die beiden Rentner auch herbeiführen bei einem Zwist zwischen Vermieterin und Mieterin, die in einer Immobilie wohnen. „Einer Frau sollten Besuche untersagt werden, außerdem wurde sie von der Vermieterin regelrecht observiert“, sagt Reuter. Mitunter dauerten solche Termine bis zu vier Stunden.

Schiedsleute in Glinde: Verhandlung ist unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Erfolglos war ihr Vermittlungsversuch in einem Fall, bei dem es um Hausfriedensbruch ging. Ein Paar hatte sich getrennt, die Frau bereits ein Betretungsverbot ihres Areals erwirkt. Der Ex tauchte jedoch immer wieder auf. „Der Dame blieb also nur noch die Möglichkeit einer Privatklage“, sagt Reuter. Ob sie diesen Schritt gegangen sei, wisse er nicht. Vor Kurzem wollte ein Glinder das Schiedsamt einschalten, weil der Nachbar auf seiner eigenen Einfahrt einen Bootstrailer platziert hatte. Der Anblick störte. „Ich habe dem Herrn erklärt, dass eine Schlichtung nicht sinnvoll ist. Das wurde akzeptiert“, sagt Schulz.

Das Verfahren läuft so: Erst führt er mit dem Antragsteller ein Vorgespräch, dann bekommt der Gegner eine Ladung zum Schlichtungstermin und hat die Möglichkeit einer Unterredung mit den Schiedsmännern davor. Die Verhandlung ist unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Beide Parteien dürfen einen Beistand mitbringen. Kommt es zu einer Vereinbarung, gibt es ein Protokoll, das mindestens 30 Jahre Gültigkeit hat. Die Kosten für eine Schlichtung sind in Glinde überschaubar. Der Antragsteller zahlt 20 Euro Grundgebühr und die identische Summe, wenn es zu einem Vergleich kommt. Dazu ist eine Dokumentenpauschale fällig für das Versenden von Unterlagen. Sie variiert. Schulz nimmt 50 Cent pro DIN-A4-Blatt. Zehn Euro von den Gebühren erhält die Stadt, der Rest ist Honorar für die Schlichter.

Schiedsleute werben: Neuer Flyer informiert über Arbeit der Streitschlichter

Die Glinder Ehrenamtler nehmen regelmäßig an Fortbildungen teil. Schulz macht die Buchhaltung, wird diesbezüglich einmal im Jahr vom Amtsgericht Reinbek kontrolliert. Ihr Büro befindet sich in der obersten Etage im Rathaus am Ende eines Gangs. Feste Zeiten haben die Streitschlichter nicht, arbeiten auf Zuruf. „Viele Bürger sind über die Polizei zu uns gekommen, das Schiedsamt ist zu wenig bekannt“, sagt Schulz. Das will er ändern, hat nun einen Flyer herstellen lassen. 250 Exemplare sind gedruckt und unter anderem im Rathaus ausgelegt. Die Broschüre ist auch auf der Internetseite der Stadt abrufbar. Darin heißt es zum Beispiel „Schlichten statt Richten“, die Vorteile eines solchen Verfahrens sind unter acht Punkten skizziert. Auf einem Foto ist ein Zaun zu sehen. Pflanzen vom Nachbargrundstück haben sich ihren Weg gesucht durch die Zwischenräume sowie über die Holzkonstruktion.