Reinbek. Revierleiter in Reinbek Jochen Sohrt geht nach mehr als 42 Dienstjahren in den Ruhestand. Viele Einsätze bleiben ihm in Erinnerung.

Die Abschiedsrede formuliert er frei, nutzt lediglich ein paar Spickzettel. An diesem Freitag erhält Jochen Sohrt seine Entlassungsurkunde. Der 60 Jahre alte Polizeichef des Reviers Reinbek geht in den Ruhestand, hat Kollegen und frühere Weggefährten ins Schloss geladen zum Büfett. Er wird gewiss viel Positives hören von den Gästen über seine Person. Der Mann ist beliebt, Anerkennung hat ihm auch seine humorvolle und offene Art gebracht. Wehmut verspüre er nicht. „Ich freue mich, den Kopf freizukriegen und Verantwortung abzugeben“, sagt der Beamte. Einige Fälle werden ihm jedoch in Erinnerung bleiben, zum Beispiel ein Doppelmord an Kindern.

Sohrt hatte die Revierleitung im November 2022 übernommen, war zuvor acht Jahre Stellvertreter. Als Vorgesetzter von 65 Beamten an den Standorten Reinbek, Glinde, Wentorf, Barsbüttel, Oststeinbek und Aumühle ist viel Geschick gefragt bei der Koordination. „Wir sind nicht gut genug besetzt, ich hätte gern zusätzliche Streifenwagen gehabt, um mehr Präsenz auf der Straße zu zeigen“, sagt der Erste Polizeihauptkommissar. Dieses Manko hatte er stets auch öffentlich betont und für eine Verbesserung gekämpft. „Das Personal ist zwar nicht weniger geworden, dafür sind aber neue Aufgaben hinzugekommen wie Hochrisikomanagement und die Umsetzung der Digitalisierung.“ Das binde Ressourcen.

Polizei Reinbek: Revierleiter Jochen Sohrt im Ruhestand – nach 42 Jahren

Damit muss er sich nun nicht mehr herumschlagen. Offiziell ist die Dienstzeit für Sohrt am 31. Dezember vorbei, die Räumung des Büros wegen Resturlaub aber schon jetzt möglich. „Ich hatte ein interessantes Berufsleben“, sagt Sohrt. Die Position zu behalten und noch ein bisschen dranzuhängen, ist für ihn keine Option. „Ein Kollege aus Wentorf ist im Alter von 53 Jahren nach einem Schlaganfall gestorben. Das hat mich nachdenklich gemacht. Ich weiß ja nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt. Außerdem ist es gut, dass wir einen Generationswechsel haben“, sagt Sohrt. Die Nachfolge ist noch nicht geregelt. Die Entscheidung obliegt dem Landespolizeiamt in Kiel.

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Dass er nach der mittleren Reife im Alter von 17 Jahren zur Polizei geht, daran hat seine Mutter einen großen Anteil. Sie will, dass ihr Sohn einen sicheren Job hat. Der Hintergrund ist ein trauriger: Der Vater ist mit 40 an Herzversagen gestorben, hat der Gattin und dem Nachwuchs einen verschuldeten Hof in Böel (Kreis Schleswig-Flensburg) hinterlassen. Sohrt besucht die Polizeischule in Eutin, wechselt nach Kiel und ist als Polizeimeister Gruppenführer. Und er studiert noch an der Fachhochschule in Altenholz, schließt ab als Diplom-Verwaltungsfachwirt. Das befähigt für den gehobenen Dienst. 1993 beginnt der Ordnungshüter in Glinde und bleibt dort mehr als zwei Jahrzehnte.

In Brokdorf wurde Jochen Sohrt mit Stahlkugeln aus Zwillen beschossen

Hier ist die Jugendkriminalität ein Schwerpunkt seiner Arbeit, er startet mit der Sönke-Nissen-Park-Stiftung ein Präventionsprojekt und hält engen Kontakt zu Schulsozialarbeitern. „Wir hatten Manpower, waren gut vernetzt und konnten viele Straftaten aufklären“, sagt Sohrt. In seiner Glinder Zeit erlebt er Dinge, die ihm sehr nahegehen. Zum Beispiel als ein Zahnarzt in religiösem Wahn seiner vierjährigen Tochter und seinem sechsjährigen Sohn im Schlaf die Kehlen durchschneidet. „Und in einer Kieskuhle haben sich drei stark alkoholisierte Russen dermaßen verkloppt, dass es zu Schädelbrüchen kam. So was hatte ich noch nie erlebt, das bleibt hängen.“ Auch erinnert sich der Polizeichef an eine Silvesterparty in Barsbüttel, wo eine Person mit einem Baseballschläger bearbeitet wurde. „Dem Opfer musste Haut vom Kopf abgezogen werden, um die Knochen zu reparieren.“ Das sei ein sehr aufwendiges Ermittlungsverfahren gewesen.

Im Gedächtnis sind Sohrt auch schwere Verkehrsunfälle. „Auf der Kreisstraße 80 geriet ein 18-jähriger Däne mit seinem Auto in den Gegenverkehr und stieß frontal mit einem Lkw zusammen. Er war nicht mehr zu retten.“ Als junger Polizist sorgt er in der Einsatzhundertschaft auf Demos beim AKW Brokdorf für Ordnung. „Wir haben Leute bei Blockaden weggetragen, wurden mit Stahlkugeln aus Zwillen beschossen.“ Er sei glücklicherweise nie verletzt worden im Außendienst und habe selbst nicht einmal von der Schusswaffe Gebrauch machen müssen.

Jochen Sohrt kann sich ehrenamtliches Engagement im Hospiz vorstellen

Sohrt lebt mit seiner Frau im eigenen Heim samt Garten in Hamburg-Poppenbüttel. Jeweils 45 Minuten sind es bis nach und von Reinbek aus mit dem Auto. Es sei schön, den Wagen nun stehen lassen zu können. Er wolle sich künftig mehr bewegen, die sportlichen Aktivitäten intensivieren. Zu den Hobbys gehört das Radfahren. „Ich habe keine konkreten Pläne für die neu gewonnene Freizeit, aber einige Ideen.“ Vorstellbar sei der Besuch von Vorlesungen an der Universität zum Thema Neue Deutsche Geschichte, ein ehrenamtliches Engagement im Hospiz oder Führungen in einer Gedenkstätte zu übernehmen. Seine Frau ist für einen bekannten Konsumgüterkonzern tätig und hat noch einige Jahre vor sich bis zur Rente. Das Paar hat eine Tochter, die in Barcelona lebt. Sie wird der Verabschiedung ihres Vaters im Reinbeker Schloss beiwohnen. Sohrt sagt, er wolle mit der 27-Jährigen auf jeden Fall einmal den Jakobsweg begehen.