Reinbek. Die Schäden sind verheerend, die Anwohner stinksauer. Und die Stadt– die zieht sich aus der Verantwortung. Wie konnte es dazu kommen?

Es ist ein sonniger Nachmittag, als die Bewohner im Schaumanns Kamp in Reinbek eine buchstäblich üble Überraschung erleben. Ein Familienvater kommt gerade von der Arbeit nach Hause, seine Frau holt die Kinder aus der Kita ab. Eine Anwohnerin hat sich gerade kurz aufs Sofa gesetzt, macht eine Pause von der Arbeit. Und dann das: „Ich hörte ein gurgelndes Geräusch und habe mich gefragt, was das ist“, sagt sie.

Diese Erfahrung machen zeitgleich viele weitere Bewohner der umliegenden Häuser. Aus den Abflüssen im Keller beginnt es zu sprudeln, Wasser steigt auf, nein, nicht nur Wasser. Das gräuliche, übel riechende Schmutzwasser ist voller Fäkalien. Wie Sven Rosenbaum vom Fachbereich Stadtentwicklung in Reinbek und zuständig für die Stadtentwässerung auf Nachfrage unserer Redaktion mitteilt, hat es auf einer Baustelle am Schmutzwasserkanal im Schaumanns Kamp eine folgenschwere Panne gegeben, die dazu geführt hat, dass es in vielen Haushalten bis zum Himmel stinkt. Drei Anwohner berichten, was sie an diesem Tag erlebt haben.

Reinbek: Fäkalien strömen in Keller – wegen Panne auf städtischer Baustelle

„Ich habe gehört, dass es im Keller blubbert“, sagt ein Reinbeker, der wie seine Nachbarn anonym bleiben möchte. Einige erwägen, mit der Stadt Reinbek in einen Rechtsstreit zu ziehen. „Es kam graues Wasser aus dem Abfluss“, sagt er. Er vermutet einen Zusammenhang mit der nahegelegenen Baustelle, läuft zum Feld, spricht einen Arbeiter an. „Ich habe gesagt: Hier stimmt etwas nicht“, so der Anwohner. Der Mann habe gesagt, er kümmere sich und habe sich dann nicht mehr blicken lassen. „Hätte er gleich geschaltet, wäre es möglicherweise gar nicht so schlimm gekommen“, sagt der Anwohner. Danach ruft er die Feuerwehr, die in vielen Häusern beim Abpumpen hilft.

Zwei Tage nach der verheerenden Panne herrscht im Haus des Reinbekers Chaos. Auf der Wiese im Garten verteilt liegen Kartons, Decken, sein Hab und Gut, das er zu retten versucht und das nun trocknen soll. Darunter sind neue Maschinen für den Garten und Bilder seiner Eltern, die wahrscheinlich irreparabel beschädigt sind. Es sei nicht nur der materielle Wert, er hänge an vielen Sachen. „Ich wohne hier allein, ich bin fix und fertig. Das ist richtig scheiße“, sagt er.

Reinbek: Fäkalien strömen in Keller – Aufräumen die ganze Nacht

Nach dem Vorfall wischt er bis 3 Uhr morgens im Keller, macht am nächsten Morgen direkt weiter, ist bis um 2 Uhr nachts beschäftigt. Zeit für etwas anderes bleibt nicht. „Mein Sohn hat gerade Urlaub, eigentlich wollten wir zusammen etwas Schönes unternehmen“, sagt er. Das muss nun warten. „Der Schaden ist riesengroß, der Kram ist überall hingelaufen, das ist ja auch gesundheitsgefährdend“, sagt er. Viele Sachen seien verseucht, müssten entsorgt werden. Was ihn besonders ärgert: „Bis heute hat sich von der Stadt Reinbek niemand gemeldet.“

Das berichtet auch eine weitere Anwohnerin. „Ich finde, das ist ein Armutszeugnis“, sagt sie. „Ich hätte erwartet, dass nach diesem Vorfall Menschen vor der Tür stehen und fragen, wie sie helfen können.“ Stattdessen ist auch sie auf sich gestellt, ruft, als das Wasser im Keller steigt, Leute an, die sie kennt, gemeinsam krempeln sie die Ärmel hoch, packen, mit Gummistiefeln und Gummihandschuhen bewappnet, an.

Reinbek Abwasserunfall
Tage nach dem Unfall trocknet das nasse und verunreinigte Hab und Gut in der Sonne.  © Juliane Minow | Juliane Minow

Reinbek: Bewohner des Schaumanns Kamp fühlen sich von Stadt im Stich gelassen

Von der Stadt Reinbek fühlt auch sie sich im Stich gelassen. „Ich ärgere mich ganz massiv darüber, dass sich niemand hier blicken lässt. Die Stadt ist für das Kanalsystem zuständig. Ich muss als Bürgerin auch Pflichten erfüllen. Ich erwarte eine Gleichbehandlung.“ Aktuell sei sie dabei, den Schaden bei ihrer Gebäudeversicherung zu melden. Ob die die Schäden übernimmt, sei fraglich. So oder so: „Ich finde es sehr gewöhnungsbedürftig, dass ich meine Versicherung bemühen muss“, sagt sie. Immerhin habe sie den Schaden nicht verursacht.

Ein weiterer Anwohner sagt, er habe auf Nachfrage bei der Stadt erfahren, dass sie sich für die Schäden nicht verantwortlich fühlt. „Für die Schäden müssen in erster Linie die Grundstückseigentümer selbst aufkommen“, sagt Abwasserexperte Sven Rosenbaum auch auf Nachfrage unserer Redaktion. „Jeder Grundstückseigentümer ist verpflichtet, sich gegen Rückstau aus der öffentlichen Kanalisation zu sichern.“ Grundsätzlich könne er das nachvollziehen, sagt der Anwohner. In diesem speziellen Fall aber bedeute das für viele Menschen schlicht eine Katastrophe.

Fäkalien im Keller: Ob die Versicherungen für die Schäden aufkommen, ist noch unklar

Viele melden die Schäden aktuell ihrer Gebäude- und Hausratversicherung. Ob die dafür aufkommen, ist ungewiss. „Wir haben 2021 kernsaniert“, sagt der Reinbeker. Möglich sei, dass die Fliesen im Keller komplett erneuert werden müssen, vielleicht auch der Estrich darunter. So eine Fäkalwassersanierung müsse eine Spezialfirma machen, es komme zeitnah eine für einen Kostenvoranschlag vorbei. „Wenn die Fliesen nicht raus müssen, schätze ich die Kosten auf 3000 bis 4000 Euro, wenn doch, wird es bestimmt doppelt so teuer.“ Dieser Betrag liege nicht herum. „Wir kriegen das hin, aber es gibt viele Nachbarn, die alt und krank und noch viel schlimmer getroffen sind“, so der Bürger. Auch ihn ärgert das Verhalten der Stadt. „Unkomplizierte Hilfsangebote wären schön gewesen“, sagt er.

Wie konnte es überhaupt zu der schwerwiegenden Panne kommen? „Im Verbindungsweg Schaumanns Kamp in Richtung Lohbrügge verläuft ein Schmutzwasserkanal. Über diesen Kanal wird das gesamte Schmutzwasser von Alt-Reinbek nach Hamburg geführt“, sagt Sven Rosenbaum. Eine aktuelle Kamerauntersuchung dieses Kanals habe ergeben, dass dort zwei Schadstellen sind. Diese sollte eine Vertragsfirma der Stadt Reinbek reparieren. 

Panne in Reinbek: Der Generator, die den Strom liefert, geht aus

„Um das beschädigte Rohr auszutauschen, muss der Kanal abwasserfrei sein. Dazu wird eine Blase in einen Schacht gesetzt. Dort staut sich dann das Abwasser und wird über eine Pumpe in den nächsten Schacht in Fließrichtung überpumpt. So ist das Rohr zwischen den Schächten abwasserfrei und man kann das Rohr problemlos austauschen“, so Rosenbaum. In Absprache mit der Baufirma habe die Stadt Reinbek extra gewartet, bis die Pumpenanlage einer Fachfirma verfügbar ist. „Wir wollten bei den genannten Abwassermengen nicht mit einer provisorischen Pumpenanlage arbeiten“, sagt Rosenbaum.

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Am Montag sei die Anlage aufgebaut und in Betrieb genommen worden. „Gegen 16.45 Uhr kam es zu einem Alarm. Der Generator, der den Strom für die Pumpenanlage bereitstellt, ist ausgegangen“, so Rosenbaum. Die Baufirma sei dorthin gefahren, habe aber auf die Schnelle das Problem nicht lösen können. „Die Blase wurde dann entfernt, sodass das Abwasser wieder durch den Kanal fließen konnte. Aufgrund der großen Abwassermengen kam es in der kurzen Zeit zu einem Rückstau im Kanal. Dieser führte dazu, dass das Schmutzwasser in einige Keller gelaufen ist.“

Die genaue Ursache für den Ausfall des Generators sei ihm noch nicht bekannt, sagt Rosenbaum. „Die gesamte Pumpenanlage wird aber für die Fortsetzung der Arbeiten vollständig ausgetauscht“, so Rosenbaum. Wie viele Grundstücke betroffen sind, könne er noch nicht sagen. Nach seinen Erkenntnissen habe es die Hausnummern 186 bis 214 getroffen.