Ahrensburg/Reinbek. Obwohl fast überall in Schleswig-Holstein Lehrer fehlen, bekommen viele Aushilfspädagogen keinen neuen Vertrag. SPD will das ändern.
In Schleswig-Holstein starten am Freitag die Sommerferien. Was für Kinder und Jugendliche ein Grund zur Freude ist, bereitet vielen Lehrerinnen und Lehrern im nördlichsten Bundesland Kopfzerbrechen. Denn für rund 4200 Vertretungskräfte endet mit dem Schuljahr auch das Arbeitsverhältnis. Ob sie nach den Ferien einen neuen Vertrag bekommen, erfahren viele von ihnen erst in den kommenden Wochen.
Grund sind komplizierte Vorgaben, die es besonders für Aushilfskräfte ohne abgeschlossenes Lehramtsstudium trotz jahrelanger Berufserfahrung nahezu unmöglich machen, einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu bekommen – obwohl fast überall im Land dringend Lehrer gesucht werden.
Lehrermangel in Schleswig-Holstein: Dennoch schlechte Aussichten für Vertretungskräfte
„Die Ungewissheit ist belastend“, sagt Anne Brüwer. Die 38-Jährige hat zwei Jahre lang an der Berufsschule in Ahrensburg als Vertretungslehrerin Deutsch als Zweitsprache (DaZ) unterrichtet, ehe sie ihr drittes Kind bekam. Mit dem Wechsel in den Mutterschutz endete ihr Arbeitsverhältnis. „Ich habe keine Sicherheit, dass ich nach der Elternzeit zurückkommen kann und bin praktisch erst einmal arbeitslos“, sagt die Ahrensburgerin.
Die Chancen, einen neuen Vertrag zu bekommen, seien zwar gut. „Aber eine Garantie gibt es nicht.“ Und auch dann würde Brüwer erneut einen befristeten Ein-Jahres-Vertrag bekommen. Spätestens nach drei Jahren wäre dann aber definitiv Schluss. Denn das Land Schleswig-Holstein beschäftigt Vertretungslehrkräfte in der Regel maximal fünf Jahre, da sie ansonsten die Möglichkeit hätten, eine unbefristete Anstellung einzuklagen.
Vertretungskräfte ohne Lehramtsstudium haben kaum Chancen auf unbefristeten Vertrag
Gleichzeitig ist es für Lehrkräfte ohne abgeschlossenes Lehramtsstudium nahezu unmöglich, eine Festanstellung zu erhalten. Sie müssen sich zunächst weiterqualifizieren und den Studienabschluss nachholen. Doch das scheitert oft an rechtlichen Hürden. Denn für Quereinsteiger gilt: Aus ihrem Studienabschluss müssen sich mindestens zwei Unterrichtsfächer ableiten lassen.
Genau das ist für viele Betroffene ein Problem. Auch für Anne Brüwer kommt deshalb eine Weiterqualifikation nicht infrage. Sie hat in Leipzig Deutsch als Fremdsprache und Kulturwissenschaften studiert und mit dem Magister abgeschlossen.
Studium von Anne Brüwer wird in Schleswig-Holstein nicht anerkannt
„Der Studiengang Deutsch als Fremdsprache war explizit pädagogisch ausgerichtet, aber der Abschluss wird in Schleswig-Holstein nicht anerkannt, weil es sich nicht um ein Staatsexamen handelt“, sagt sie. Mehr als sechs Jahre hat Brüwer studiert, anschließend zunächst mehrere Jahre freiberuflich Sprachunterricht erteilt, ehe sie in den Schuldienst kam.
Eigentlich könnte die 38-Jährige nicht besser für ihre Tätigkeit als DaZ-Lehrerin qualifiziert sein. „Dennoch bin ich rechtlich nicht gleichgestellt wie die Kollegen, die ein abgeschlossenes Lehramtsstudium haben, aber eigentlich gar keine Sprache unterrichten und nur aufgrund einer Fortbildung DaZ-Kurse geben dürfen“, sagt sie.
SPD-Bildungsexperte Martin Habersaat kritisiert Umgang mit Vertretungslehrern
Für ein nachträgliches, berufsbegleitendes Lehramtsstudium fehlt Brüwer mit drei Kindern die Zeit. „Eingearbeitete Kollegen müssen gehen, weil sie keinen unbefristeten Vertrag bekommen und gleichzeitig müssen die Schulen immer wieder neue Lehrkräfte einarbeiten“, sagt die Ahrensburgerin. „Das ist doch verrückt.“
Der Reinbeker SPD-Landtagsabgeordnete Martin Habersaat verfolgt den Umgang mit Vertretungslehrkräften in Schleswig-Holstein schon lange kritisch. Der Bildungsexperte erzählt von einem ähnlichen Fall. Eine studierte Musikpädagogin, die an einer Grundschule in Stormarn unterrichte, dürfe dort nicht bleiben, weil sie keine studierte Grundschullehrerin sei. „In der Folge gibt es dort keine Musiklehrkraft mehr, aber Hamburg freut sich über eine neue Musiklehrerin“, so Habersaat.
Vertretungslehrkräfte aus Schleswig-Holstein wandern nach Hamburg ab
Die Abwanderung ehemaliger Vertretungslehrkräfte aus Schleswig-Holstein ins Nachbarbundesland sei kein Einzelfall. „In Hamburg ist der Zugang zum Lehramt für Quereinsteiger deutlich einfacher“, sagt der Reinbeker, der vor seinem Wechsel in die Politik selbst ein Lehramtsstudium absolviert und anschließend an einem Gymnasium in Hamburg Deutsch und Geschichte unterrichtet hatte.
In der Hansestadt wird es für Quereinsteiger unter anderem ab Herbst möglich sein, sich auch mit nur einem Unterrichtsfach zum Lehrer weiterzuqualifizieren. Dazu führt die Universität Hamburg einen neuen Master-Studiengang ein. Voraussetzung ist ein abgeschlossenes Bachelor-Studium in einem Fach, das an Hamburger Schulen unterrichtet wird.
Knapp 4200 Vertretungskräfte waren am 1. Oktober in Schleswig-Holstein beschäftigt
Für Habersaat ist der Umgang Schleswig-Holsteins mit Vertretungslehrkräften „schäbig“. Der SPD-Politiker sagt: „Wir sind froh, dass wir diese Menschen haben, weil unsere Schulen ihre Arbeit sonst schlicht nicht mehr schaffen würden.“
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Nach Angaben aus dem Kieler Bildungsministerium waren zum Stichtag 1. Oktober 2023 4178 Personen befristet als Vertretungslehrkräfte an den Schulen in Schleswig-Holstein eingestellt, davon rund drei Viertel ohne abgeschlossenes Lehramtsstudium. In Stormarn waren es zum Stichtag 363 Vertretungslehrer, davon waren 309 keine vollwertigen Lehrkräfte. Die Zahl steigt.
An den Grundschulen haben 16 Prozent der Lehrer nicht Lehramt studiert
Allein zwischen Oktober 2022 und Oktober 2023 wurden demnach 840 weitere Lehrkräfte befristet eingestellt, davon 749 ohne vollständige Ausbildung. „Inzwischen sind 10,4 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer an unseren Schulen gar keine richtigen Lehrer, an den Grundschulen 15,9 Prozent“, sagt Habersaat.
Der SPD-Politiker fordert deutlich verbesserte Arbeits- und Weiterbildungsbedingungen für die Vertretungskräfte. Über einen entsprechenden Antrag der Sozialdemokraten berät der Landtag an diesem Freitag. Schulleitungen sollen unter anderem die Möglichkeit erhalten, Vertretungskräfte spätestens nach zwei Jahren für eine Weiterqualifikation zum vollwertigen Lehrer anzumelden.
Bildungsministerium setzt auf „grundständig ausgebildete Lehrkräfte“
Die Weiterqualifikation müsse sich auf individuelle Bedarfe konzentrieren und vorhandene Abschlüsse sowie Vorerfahrungen angemessen berücksichtigen. Das Studium soll berufsbegleitend möglich sein und eine angemessene Bezahlung für die Dauer der Weiterbildung sichergestellt werden. Außerdem soll es auch zulässig sein, sich mit nur einem Unterrichtsfach zum Lehrer weiterzuqualifizieren.
Das Bildungsministerium möchte sich auf Anfrage nicht zu dem SPD-Papier äußern. Man wolle der Landtagsdebatte nicht vorweg greifen. „Grundsätzliches Ziel des Ministeriums ist es, für den regulären Unterricht grundständig ausgebildete Lehrkräfte einzustellen“, heißt es. Es gebe bereits Möglichkeiten, sich über ein abgeschlossenes Studium für den Quer- oder Seiteneinstieg zu qualifizieren. Weitere Maßnahmen seien im Handlungsplan Lehrkräftegewinnung vorgesehen.
Zahl der Vertretungslehrer steigt auch, weil Trend zu kleinteiligeren Verträgen geht
Mit Blick auf die gestiegene Zahl an befristet beschäftigten Vertretungslehrkräften weist das Ministerium zudem darauf hin, dass in den vergangenen Jahren häufiger kleinteiligere Verträge geschlossen worden seien, sodass sich etwa mehrere Personen eine Stelle teilten. „Im Durchschnitt haben Vertretungslehrkräfte weniger als eine halbe Stelle“, sagt Sprecher David Ermes.
„Grundsätzlich führt der Begriff Vertretungslehrkräfte in die Irre, weil er sowohl Vertretungslehrkräfte als auch Unterstützungskräfte umfasst“, erläutert er. „Die Unterstützungskräfte sind zusätzlich an der Schule, etwa aus Ukraine-Mitteln, bei ‚Aufholen nach Corona‘ oder im DaZ-Bereich“, so Ermes. „Auf dieser Basis konnten zusätzliche Verträge mit Unterstützungskräften, häufig in geringem Stundenumfang, geschlossen werden.“
Anne Brüwer kann sich Wechsel in die Freiberuflichkeit oder in die Weiterbildung vorstellen
Anne Brüwer wird die weitere Debatte nun gespannt verfolgen. Solange sie kann, möchte die 38-Jährige weiter an der Ahrensburger Berufsschule arbeiten. Sollte eine Vertragsverlängerung nicht mehr möglich sein, hat sie auch schon einen Plan B. „Dann werde ich wieder freiberuflich unterrichten oder in die Weiterbildung von Lehrkräften wechseln“, sagt sie. Dem Schuldienst wird sie dann nicht mehr zur Verfügung stehen.