Glinde. Gruppe fordert, dass der Schlehenweg in Glinde verkehrsberuhigte Zone wird – und findet bei Verantwortlichen kein Gehör. Die Gründe.

Ein Tag unter der Woche, es ist 16.30 Uhr. Binnen weniger Sekunden passieren drei Autos den Schlehenweg in Glinde auf dem Abschnitt, wo sich Reihenhäuser auf der einen und Mehrfamilienkomplexe auf der anderen Straßenseite befinden. Hier gilt Tempo 30. Die Fahrzeuge sind jedoch viel zu schnell unterwegs. Das passiert dauernd, berichten Anwohner. Sie haben Sorge um die Sicherheit von Kindern und auch um ihre eigene, fühlen sich von der Verwaltung nicht ernst genommen und bitten nun die Politik um Unterstützung. Ihre Forderung: Die komplette Straße soll eine verkehrsberuhigte Zone werden. Somit wäre Schrittgeschwindigkeit angesagt. Einen festen Wert gibt es nicht. In der Rechtsprechung werden teilweise sieben und zehn km/h angenommen. Sollte eine Regeländerung nicht zügig umsetzbar sein, will die Gruppe zumindest, dass an mehreren Stellen Bodenschwellen gesetzt werden.

Daniel Holländer wohnt nahe einer scharfen Kurve. „Vergangene Woche hätte es mich beim Rausfahren vom Grundstück fast erwischt, das um die Ecke kommende Auto hat im letzten Moment gebremst“, sagt der 41-Jährige. Seinen Sohn (9) begleitet er morgens auf dem Weg zur Schule stets über die Straße, „denn die 200-Meter-Gerade vor unser Haustür ist eine Rennstrecke“. Laut Holländer ignorieren nicht nur einige Anlieger das Tempolimit, sondern auch Besucher und diverse Lieferdienste. Christine Klimkeit hat eine Kindertagespflege und betreut fünf Personen. Die 36-Jährige lebt kurz vor dem Punkt, an dem der Schlehenweg bereits verkehrsberuhigt ist. Dieser liegt rund 600 Meter entfernt von der Einmündung zur Hauptstraße, in deren Nähe eine Flüchtlingsunterkunft ist. Sie sensibilisiert die Kleinen: „Ich mache mit den Kindern Verkehrserziehung, gerast wird hier schon immer“, so Klimkeit. Von ihrem Zuhause bis zum Spielplatz sind es nur wenige Meter.

Straße in Glinde „ist eine Rennstrecke“ – Anwohnern reicht‘s

Genervt vom Fehlverhalten der Autofahrer ist auch Brigitte Mattigkeit, Ortsgruppenleiterin des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) sowie Mitglied des Glinder Seniorenbeirats: „Ich hatte schon mehrfach Beinahe-Unfälle, musste mit meinem Rad rasenden Fahrzeugen ausweichen.“ Als Sprecher der Gruppe, die sich noch nicht als Bürgerinitiative versteht, fungiert Robert Herold (36), Logistikleiter bei einem Unternehmen in Hamburg. Im Mai 2017 war er mit seiner Frau in ein Reihenhaus gezogen. Das Paar hat zwei Töchter, vier und fünf Jahre alt. „Wir Anwohner fühlen uns allein gelassen. Das Interesse, dieses Thema anzugehen, war bei der Verwaltung nie zu sehen“, sagt Herold.

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Ein erstes Gespräch mit Bürgermeister Rainhard Zug führt er im Juli 2020, macht den Rathauschef am Telefon auf die Missstände aufmerksam in der Hoffnung, dass Bewegung in die Sache kommt. Im Dezember folgt die nächste Unterredung. Kurz darauf erhält er eine E-Mail vom Verwaltungschef. Darin heißt es unter anderem: „Der Schlehenweg wird bisher nicht als Schwerpunkt für Geschwindigkeitsüberschreitungen in der Stadt gesehen.“ Gleichwohl verspricht Zug eine Tempomessung.

Tempomessung: Jedes zweite Auto fährt schneller als erlaubt

Die ist von Mai bis September 2021. Von 19.740 Autos wird die Geschwindigkeit registriert. 50,5 Prozent davon kommen auf bis zu 35 km/h, was Herold als Toleranzbereich bezeichnet. Der Rest ist schneller, einige bringen es auf 75 Kilometer die Stunde. Im von der Verwaltung gefertigten Diagramm sind die Geschwindigkeitsklassen in Fünferschritten festgelegt. Der Glinder muss mehrmals nachhaken, um die Auswertung zu bekommen. Andrea Köhler, bei der Stadt zuständig für Verkehrsangelegenheiten, schreibt ihm: „Zu erkennen ist, dass sich der Großteil an die Geschwindigkeit hält, sodass kein weiteres Handeln von mir gesehen wurde. Das Ergebnis Schlehenweg ist vergleichbar mit anderen 30er-Zonen in Glinde. Als Unfallschwerpunkt ist die Straße nicht eingestuft.“ Laut einem Anwohner hat es zuletzt 2017 einen Unfall gegeben mit einem Kind. Dem sei zum Glück nichts passiert.

Die Hutschnur platzt Herold und seinen Mitstreitern, als in diesem Februar Schilder aufgestellt werden, die zu vorsichtigem Fahren auffordern wegen Krötenwanderung. „Sind Ihnen Kröten wichtiger als unsere Kinder?“ – mit diesen Worten beginnt eine E-Mail Herolds an den Bürgermeister. Er verfasst mehrere und verschärft den Ton, erhält keine Antwort. In seiner Verzweiflung wendet er sich an den SPD-Landtagsabgeordneten Martin Habersaat, der zusammen mit Marlies Kröpke, Fraktionsvizin der Glinder Sozialdemokraten, zu einem Ortstermin kommt. Kröpke wird zu dem Treff von ihrem Mann chauffiert und sagt: „Wir sind vorschriftsmäßig gefahren und waren ein Verkehrshindernis. Mehrere Autos haben uns auf dem Schlehenweg überholt.“ Kröpke animiert Herold, in einem Ausschuss vorzusprechen. Dem kommt er nach, schildert der Politik im Juli die Situation. „Alle Fraktionen haben Verständnis gezeigt“, sagt Kröpke.

Rathauschef trifft sich kommenden Freitag mit Anliegern

Ihre Partei verfasst jetzt einen Antrag, der nach den Sommerferien im Bauausschuss am 5. September auf die Tagesordnung kommt. Der Inhalt ist deckungsgleich mit der Forderung der Anwohner. Kröpke möchte, dass sich auch CDU, FDP und Grüne vor der Gremiumssitzung solidarisieren und das Dokument als interfraktionelles eingereicht wird. Herold hat den Parteien ein zwölf Seiten umfassendes Schriftstück gereicht mit Fotos der Gegebenheiten am Schlehenweg sowie Zahlenwerk. Auf dem letzten Blatt ist ein Bild zu sehen mit einer Person, die regungslos auf der Straße liegt – ein Radfahrer, erfasst von einem Auto. Darüber steht: „Muss erst etwas Schlimmes passieren, bis etwas verändert wird?“

Bürgermeister Zug sieht nach wie vor keinen Anlass, den Wünschen der Gruppe nachzukommen. Auf Anfrage dieser Redaktion sagt er: „Der Schlehenweg ist kein Risikobereich und außerdem nicht hoch frequentiert. Er wird zu mehr als 99 Prozent von Anliegern befahren.“ Den direkten Meinungsaustausch scheut er keineswegs. Am kommenden Freitag sind der Rathauschef und seine Mitarbeiterin Köhler mit Herold und dessen Nachbarn verabredet. Man will sich nochmal ein Bild vor Ort machen, morgens um 8 Uhr.