Lübeck/Ahrensburg. Ein 38-Jähriger soll die junge Afghanin in der Unterkunft erstochen haben. Offenbar hatte er sie schon zuvor misshandelt.
Der Prozess um den Mord an einer 23 Jahre alten Afghanin in der Ahrensburger Flüchtlingsunterkunft Kornkamp ist am Freitag vor dem Landgericht Lübeck mit der Vernehmung weiterer Zeugen fortgesetzt worden. Dabei wurde immer deutlicher, welche Grausamkeiten die junge Frau schon vor ihrem Tod durch ihren Ehemann erleiden musste. Die Darstellung des 38-Jährigen, im Affekt aus Wut und Verzweiflung gehandelt zu haben, scheint kaum noch glaubwürdig.
Mord in Flüchtlingsheim: Mann soll Ehefrau misshandelt haben
Die Staatsanwaltschaft wirft Assem S. (Name geändert) vor, seine Ehefrau in der Nacht vom 5. auf den 6. September 2021 in der gemeinsamen Wohnung auf dem Gelände des Flüchtlingsheims im Gewerbegebiet Nord mit 28 Messerstichen getötet zu haben. Aufgrund seines streng islamischen Weltbildes habe der Afghane nicht akzeptieren wollen, dass seine Frau sich von ihm trennen wollte, um ein Leben nach westlichem Vorbild zu führen. S. war einen Tag später, am 7. September, von der Bundespolizei auf einem Autohof an der Autobahn 9 bei Hof (Bayern) aufgegriffen worden.
Der 38-Jährige war an Bord eines Reisebusses nach Mailand unterwegs. Bei einer Routinekontrolle waren den Beamten Unstimmigkeiten in seinen Papieren aufgefallen. Bei der anschließenden Vernehmung hatte S. selbst den Hinweis auf den Fundort der Leiche seiner Frau gegeben. Sie habe sich zwei Tage zuvor selbst getötet. Aus Angst, beschuldigt zu werden, wolle er ausreisen, behauptete der 38-Jährige.
Ahrensburg: Der Angeklagte fühlte sich provoziert
Einen Selbstmord schlossen die Ermittler jedoch schnell aus. Assem S. sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Zum Prozessauftakt am Dienstag hatte Verteidiger Nicolai Preuß eine Erklärung mit einem Geständnis seines Mandanten vorgelesen. Darin räumte S. die Tat ein, bestritt aber aus einem übersteigerten Besitzdenken heraus gehandelt zu haben.
Die 23-Jährige habe ihn provoziert. Sie habe gedroht, dass er die heute zwei Jahre alte gemeinsame Tochter nicht mehr sehen dürfe und dafür zu sorgen, dass er abgeschoben werde. Außerdem gab S. an, betrunken gewesen zu sein. Am zweiten Verhandlungstag ließ der 38-Jährige nun über seinen Anwalt mitteilen, sich künftig nicht mehr zu der Tat äußern zu wollen. „Meinem Mandanten geht es psychisch nicht gut“, so Preuß.
38-Jähriger soll seine Frau zum Sex gezwungen haben
Unterdessen wurde deutlich, dass der Angeklagte die 23-Jährige offenbar schon vor der Tat regelmäßig misshandelt hat. Als Zeugen waren mehrere Ermittlungsbeamte geladen. Einer von ihnen hatte telefonisch einen Bekannten des Opfers aus Afghanistan vernommen, zu dem die Getötete vor der Tat regelmäßig per Chat Kontakt gehabt haben soll.
„Die beiden hatten sich über das Internet kennengelernt, er studiert in der Türkei“, so der Kriminalhauptkommissar. Zu dieser Zeit lebte die 23-Jährige in einem Frauenhaus. Dem Bekannten habe die junge Frau anvertraut, von ihrem Ehemann regelmäßig geschlagen und zum Geschlechtsverkehr gezwungen worden zu sein. Auch habe sie angegeben, als Kind in Afghanistan zwangsverheiratet worden zu sein.
Opfer war womöglich deutlich jünger als offiziell bekannt
Nach Angaben des Angeklagten war seine Frau bei der Heirat 2017 18 Jahre alt. Am tatsächlichen Alter der jungen Afghanin kommen jedoch immer stärkere Zweifel auf. Eine für Integration zuständige Mitarbeiterin des Ahrensburger Rathauses, die die junge Afghanin seit ihrer Ankunft in der Schlossstadt im Januar 2019 kennt, schätzt das damalige Alter des Opfers auf „15, höchstens 16“.
In das Frauenhaus war die 23-Jährige im Juni 2021 nach mehreren Klinikaufenthalten geflüchtet. Wie aus Arztberichten hervorgeht, war die Getötete wiederholt wegen psychischer Probleme in Behandlung. Demnach litt die junge Frau unter einem „verzweifelt-depressiven Syndrom“, das sich auch körperlich in Form von Bluthusten äußerte.
Ahrensburg: Sie kehrte aus dem Frauenhaus zurück
Assem S. soll wiederholt versucht haben, Kontakt aufzunehmen. Wie eine Kriminalbeamtin aussagte, habe der 38-Jährige mehrere Hundert Mal versucht, die 23-Jährige in der Klinik und im Frauenhaus anzurufen und dazu mehr als fünf verschiedene Handynummern benutzt. Das habe die Auswertung von Funkzellendaten ergeben. Nach einigen Wochen kehrte die Getötete Anfang September 2021 schließlich zu ihren Ehemann zurück. „Der Angeklagte hatte zuvor von dem Kontakt mit einem anderen Mann erfahren und dessen Familie massiv bedroht“, so der Kriminalbeamte.
Erstmals äußerten sich die Ermittler am Freitag vor Gericht auch zu den zwei Mobiltelefonen, die bei einer großangelegten Suchaktion am 16. September am Bahnhof Gartenholz sichergestellt worden waren. Demnach handelt es sich bei einem der Geräte um ein Smartphone der Marke Oppo, das mutmaßlich dem Opfer gehörte. „Wir haben in der Wohnung einen dazu passenden Karton sichergestellt“, so die Beamtin.
Neben dem Karton wurden ihren Angaben zufolge auch mehrere Ausgaben des Koran und Gebetsbücher für muslimische Mädchen in der Wohnung gefunden.
Dazu, welche Daten die Auswertung der Handys lieferte, machte die Ermittlerin keine Angaben, auch zu dem zweiten Mobiltelefon äußerte sie sich nicht. Beide Smartphones seien jedoch durch massive Gewaltanwendung zerstört worden, bevor sie in das Gebüsch am Bahnhof geworfen wurden. Das Verfahren soll am Freitag, 4. März, fortgesetzt werden. Die Urteilsverkündung ist für Mitte April geplant.