Kreis Pinneberg. Grenzwert siebzigtausendfach überschritten. Kreis kritisiert die Stadt, die Belastung ignoriert zu haben. Bürgermeister widerspricht.
Die enorme Schadstoffbelastung, die auf einer Fläche von 2,6 Hektar im Grundwasser und im Boden mitten in der Pinneberger Innenstadt entdeckt worden ist, beschäftigt weiter die Behörden. Der Umweltausschuss des Kreistages zögert noch, die rund 200.000 Euro für ein Gutachten zu bewilligen, welches das ganze Ausmaß der Belastung und mögliche Gefahren für die Allgemeinheit durch die krebserregenden leichtflüchtigen chlorierten Kohlenwasserstoffen (LCKW) zu bewilligen.
Dieses Gutachten soll einen Sanierungsplan erarbeiten, wie die möglicherweise mehrere Tonnen umfassenden hochgiftigen Schadstoffe wieder aus dem Grundwasser und dem Boden entfernt werden können. Denn nach Untersuchungen von Ende 2023 sind die Grenzwerte für die hochgiftigen Stoffe Tri- und Tetrachlorethen (Trivialnamen Tri und Per) in diesem Bereich um das Siebzigtausendfache überschritten worden.
Gift im Grundwasser: Hat die Stadt Pinneberg die Schadstoffbelastung verschleppt?
Einige Kreispolitiker warfen der Stadt Pinneberg jetzt vor, diese schwerwiegende Schadstoffbelastung zwischen Fahltskamp, Bahnhofstraße und beidseits des Damms jahrelang heruntergespielt und verschleppt zu haben. Denn wie exklusiv vom Abendblatt berichtet, hatte ein Gutachten zur Aufstellung des Bebauungsplanes 147 der Stadt Pinneberg bereits im Februar 2017 ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht und festgestellt: „Bis zum Abschluss der Detailuntersuchungen sind Bauvorhaben und sonstige Eingriffe in den Boden nicht zulässig.“
„Was hat die Stadt Pinneberg seitdem für die Gefahrenabwehr getan?“, möchte der CDU-Abgeordnete Sven Kruse (CDU) wissen. Es dürfe nicht sein, dass die Stadt Pinneberg „tote Katze spielt“, untätig bliebe und dem Kreis Pinneberg die Sanierung mitsamt den Kosten überlasse, ärgerte sich Fraktionskollege Oliver Kusber. Und Thomas Grabau (Grüne) forderte eine jährliche Kontroll-Untersuchung, für die der Kreis schon heute 60.000 Euro jedes Jahr in den Haushalt vormerken sollte.
Umweltausschussvorsitzender: Baugruben sind besonders gefährlich
Am gefährlichsten seien offene Baugruben, warnte Umweltausschussvorsitzender Mathias Schmitz (Grüne). Dort bestünde die akute Gefahr, dass das hochgiftig belastete Grundwasser einfach abgepumpt werde und so an die Oberfläche gelange, sagte Schmitz und fragte, wie dies bei den jahrelangen Bauarbeiten der alten Post in unmittelbarer Nähe des Gebiets am Damm in Pinneberg sichergestellt wurde. Dort sei tatsächlich das Grundwasser abgepumpt worden, teilte eine Mitarbeiterin von der Unteren Bodenschutzbehörde der Kreisverwaltung mit. Aber sie wisse nicht, wohin. „Doch wohl nicht zum Abwasserzweckverband in Hetlingen“, warf ein Abgeordneter ein.
Christiane Timmermann, die den Fachdienst Umwelt der Kreisverwaltung leitet, versuchte, die Gemüter zu beruhigen. Sie verwies darauf, dass „im betroffenen Gebiet 2016 bis 2017 orientierende Untersuchungen mit erhöhten Messwertergebnissen erfolgten. Daraufhin fanden weitere Detailuntersuchungen bis 2023 statt. Die Ergebnisse wurden der Unteren Bodenschutzbehörde Anfang 2024 im Entwurf vorgelegt und werden ausgewertet.“
Kreisverwaltung: Die Stadt Pinneberg hat weiterhin wichtige Aufgaben
Zwar sei die Kreisbehörde federführend für diese Altlast zuständig, sagte sie. „Aber auch die Stadt Pinneberg hat weiterhin wichtige Aufgaben zu erledigen.“ So habe sie für „gesunde Wohnverhältnisse zu sorgen“, die nun durch gezielte Innenraummessungen der Luft gewährleistet werden sollten. „Dies ist auch die Empfehlung des begleitenden Gutachtens.“
Eine akute Gefahr bestehe aber zurzeit nicht für die Bevölkerung, betont die Fachdienstleiterin Timmermann. Das Trinkwasser ist nicht belastet, wie die regelmäßigen Untersuchen zeigen. Solange der Boden dort nicht angefasst wird, besteht keine Gefahr in Verzug.“ Das belastete Grundwasser fließe in dem Bereich in nördliche Richtung zur Pinnau. Auch diese müsse dann in das Monitoring der Untersuchungen aufgenommen werden, wofür die Kreisverwaltung zunächst 200.000 Euro für zwei Jahre beantragt hat.
Ob die wahren Verursacher ermittelt werden können, bleibt offen
„Ein Großteil der Zuständigkeit liegt beim Kreis“, erklärt Timmermann. Allein das belastete Gebiet aus dem B-Plan-Verfahren herauszunehmen, werde aber wohl für die Stadt Pinneberg nicht reichen. Insbesondere dann nicht, wenn es darum geht, die möglichen Verursacher dieser enormen Schadstoffbelastung zu eruieren und benennen, sofern das möglich sein wird. Ausschussvorsitzender Schmitz vermutet, dass es sich dabei um eine frühere chemische Reinigung handele. Dazu Timmermann: „Es bleibt vorerst offen, ob im Zuge der Ermittlung den Verursachern die Schäden eindeutig zuzuordnen sind.“
Grundsätzlich bestehe die Möglichkeit, dass Schadstoffe in der Industrie und im Gewerbe für die Oberflächenreinigung von Metallen, Gläsern und Kunststoffen eingesetzt wurden, erklärt die Fachdienstleiterin. Diese wurden oder werden in der Elektronikfertigung, zur Reinigung von Textilien, als Extraktionsmittel und als Lösemittelkomponente für organische Verbindungen sowie als Kaltreiniger und Abbeizmittel verwendet.
Pinnebergs Bürgermeister: Das Verfahren ist komplex und dauert lange
Der Kreis werde die weiteren Schritte auch zur dann nötigen Sanierung des Gebiets eng mit der Stadt Pinneberg abstimmen, kündigte die Kreisumweltamtsleiterin an.
Zu den geäußerten Kritikpunkten aus dem Kreis-Umweltausschuss teilte Bürgermeister Thomas Voerste auf Nachfrage des Abendblatts folgendes mit: „Deutlich wurde während der gesamten Zeit, dass es sich um ein komplexes und langwieriges Verfahren handelt.“ Auch wenn er selbst zu dieser Zeit noch nicht im Amt war, habe er sich detailliert über das Thema informiert.
Zunächst gab es 36 Verdachtsflächen, die dann auf sieben reduziert wurden
„Ich glaube, allen Beteiligten war klar, dass es sich um ein ernstes Problem handelt. Allerdings brauchten die Untersuchungen ihre Zeit. Umso mehr, da es ursprünglich 36 Verdachtsflächen gab. Diese mussten alle untersucht werden, was das Verfahren weiter in die Länge gezogen hat.“ Zudem gebe es unterschiedliche Besitz- und Eigentumsverhältnisse, auch das habe die Sache erschwert, so Bürgermeister Voerste.
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Inzwischen konnte die Zahl auf sieben Flächen reduziert werden, so der Bürgermeister, der dennoch betont: „Ja, auch ich hätte mir sicherlich gewünscht, dass das ganze Verfahren etwas schneller gelaufen wäre. Aber letztlich ist die Zeitspanne der Komplexität des Themas geschuldet.“
Bürgermeister Voerste: Wir sind sehr besorgt, aber es besteht keine akute Gefahr
Und er betont: „Wir sind aufgrund der Situation sehr besorgt. Zum Glück besteht keine akute Gefährdungssituation, was auch die Untere Bodenschutzbehörde bestätigt hat. Dennoch gilt es nun, rasch zu handeln.“ Die Einschätzung zur Gefahrenlage beruhe darauf, dass das Gebiet durch Bebauung versiegelt ist und es keine Bautätigkeiten in dem Bereich gegeben hat.
„Die Eigentümer, auf deren Grundstück eine Bodenbelastung vermutet wurde, sind in den Jahren 2017 und 2018 darüber informiert worden.“ Im gesamten Verfahren habe es stets einen engen Austausch zwischen der Stadt Pinneberg und dem Kreis Pinneberg als für den Bodenschutz zuständige Behörde gegeben. „Die Stadt Pinneberg ist dabei stets den Empfehlungen der Gutachten und der UBB gefolgt.“
Voerste erklärt weiter, dass es für den Fortgang des Verfahrens nicht entscheidend sei, ob das betroffene Gebiet aus dem B-Plan-Verfahren herausgelöst wird oder nicht. „Der Prozess läuft unabhängig davon weiter. Wichtig ist, dass es einen koordinierten Arbeitsprozess gibt, damit wir die Belastung des Bodens und des Grundwassers rasch reduzieren können. Und das ist der Fall.“