Pinneberg. Trotz „siebzigtausendfach“ überschrittener Grenzwerte wird beschwichtigt. Wie kann das sein? Und wer kommt als Verursacher infrage?

Die entdeckte gefährliche Altlast an krebserregenden Giftstoffen im Pinneberger Grundwasser beschäftigt weiter die Behörden. Auch der Kreisumweltausschuss hat sich nun damit befasst. Wobei Stadt und Kreis ausdrücklich betonen, dass die erheblichen Verunreinigungen mit leichtflüchtigen chlorierten Kohlenwasserstoffen (LCKW), die die zugelassenen Grenzwerte für Tri- und Tetrachlorethen um das Siebzigtausendfache überschreiten, keine akute Gefahr für die Bevölkerung darstellten.

„Für die Bevölkerung besteht durch die festgestellten Verunreinigungen aktuell keine akute Gefährdungslage“, versichern Stadtsprecherin Birgit Schmidt-Harder und Kreissprecherin Katja Wohlers unisono auf Nachfrage des Abendblatts. „Jetzt geht es darum, eine akute Gefährdung auch für die Zukunft auszuschließen.“ Dafür seien zunächst weitere Untersuchungen und Analysen notwendig, um darauf aufbauend ein Maßnahmenkonzept aufzustellen, mit dem die Altlasten aus Boden und Wasser entfernt werden könnten.

Giftfunde im Grundwasser von Pinneberg: Trinkwasser sei aber unbedenklich

Und weiter: „Die auffälligen Proben sind im Boden sowie im Grundwasser entnommen worden. Eine Gefährdung des Trinkwassers besteht nicht, weil das betroffene Gebiet nicht im Einzugsgebiet des Wasserwerks liegt und somit außerhalb des Wasserschutzgebiets.“

Im Pinneberger Fahltskamp haben sich in den 1980er- und 90er-Jahren bis zu drei chemische Reinigungen befunden. Auch heute gibt es dort noch eine.
Im Pinneberger Fahltskamp haben sich in den 1980er- und 90er-Jahren bis zu drei chemische Reinigungen befunden. Auch heute gibt es dort noch eine. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Diese Aussagen hätten auch den Umweltausschuss des Kreistages beruhigt, erklärt Vorsitzender Mathias Schmitz. „Es handelt sich um ein überbautes Gebiet, in dem sich kein Trinkwasserbrunnen in der Nähe befindet“, sagt der Grünen-Abgeordnete. Das sei gut.

Gutachten soll Ausmaß abklären und Sanierungsvorschläge machen

„Nun kann die Untere Bodenschutzbehörde des Kreises das in Abstimmung mit der Stadt Pinneberg in Ruhe untersuchen und die erforderlichen Maßnahmen ergreifen.“ Der Umweltausschuss werde sich laufend von den Behörden über den neuesten Sachstand informieren lassen, sagt Schmitz und betont: „Das geht jetzt seinen regulären Weg. Die Bodenschutzbehörde macht einen guten Job. Es ist fachlich gut begründet, was sie tut. Wir haben großes Vertrauen in ihre Arbeit.“

Der Kreis hat jetzt zur „Gefahrenabwehr“ ein gutachterliches Untersuchungskonzept in Auftrag gegeben, dass genau erkunden soll, wie weit sich die Schadstoffe bereits im Grundwasser der Kreisstadt ausgedehnt haben. „Dies beinhaltet die Errichtung weiterer Grundwassermessstellen und die Analytik der entnommenen Grundwasserproben“, so die Kreisbehörde. „Jede Phase der Maßnahme wird gutachterlich begleitet und einer Gefährdungsabschätzung unterzogen. Daraus wird hergeleitet, ob Sanierungs- bzw. Sicherungsmaßnahmen erforderlich werden.“ Knapp 200.000 Euro sind dafür in einer „vorläufige Kalkulation“ eingeplant.

Giftfunde: 2,6 Hektar großes Gebiet in Pinneberger Innenstadt ist betroffen

Nach bisherigen Erkenntnissen ist ein etwa 2,6 Hektar großes Gebiet in der Pinneberger Innenstadt betroffen. Es liegt im Wesentlichen zwischen der Bahnhofstraße, dem Fahltskamp sowie beidseitig der Hauptverkehrsader Damm. „Der maßgebliche Bereich befindet sich in unmittelbarer Nähe der Pinnau und des Wasserschutzgebietes Peiner Weg“, so die Kreisbehörde.

Untersuchungen hätten ergeben, dass es zu erheblichen Einträgen von LCKW in den oberflächennahen Grundwasserleiter gekommen ist. „Verunreinigungen des Gewässers Pinnau und eine Ausbreitung bis ins Wasserschutzgebiet Peiner Weg können nicht ausgeschlossen werden.“ Das Gleiche gelte für eine „Gefahr für die Gesundheit, insbesondere der gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse“.

Als Verursacher kommen chemische Reinigungen, Textilfabriken und Färbereien in Frage

Über die Verursacher dieser bislang schwerwiegendsten Bodenbelastung mit diesen Schadstoffen im Kreis Pinneberg kann zurzeit nur spekuliert werden. In Frage kämen nach Angaben der Kreisbehörde chemische Reinigungsbetriebe, Metallverarbeitung (z.B. Galvanik, Oberflächenentfettung), Textilindustrie sowie Unternehmen, die Farbe und Lacke hergestellt haben. „LCKW werden beispielsweise als Lösungs- und Reinigungsmittel genutzt“, so die Kreisbehörde. „In dem betroffenen Bereich waren in der Vergangenheit unter anderem auch chemische Reinigungen ansässig.“

Daran erinnern sich noch gut ehemalige Bewohner. In den 80er- und 90er-Jahren habe es im vorderen Bereich des Fahltskamps bis zu drei chemische Reinigungen gegeben, weiß Sabine Skibbe zu berichten. „Ich erinnere mich noch gut daran, weil die eine Mitarbeiterin immer fragte: ‚einfach oder spezial‘.“ Ein anderer ehemaliger Nachbar aus dem Fahltskamp schildert seine damaligen Erfahrungen drastisch mit den Worten: „Das hat gestunken wie die Pest, wenn da heiße Dämpfe rauskamen.“

Am Damm gab es eine Roßhaarstoff-Fabrik und eine Kleiderfärberei

Denkbar wäre auch, dass diese gewaltigen Schadstoffeinträge aus noch früherer Zeit stammen könnten. So war die Stadt Pinneberg durch den Bahnanschluss Altona – Kiel seit 1844 sehr interessant für Betriebe aus dem Hamburger Westen, erklärt Wolfgang Domeyer, der ehemalige Leiter der Pinneberger Volkshochschule. „Weil Pinneberg damals innerhalb des dänischen Zollgebiets lag, Altona dagegen außerhalb.“ So entwickelte sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts das erste große Gewerbegebiet am Damm.

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Und dazu gehörte die 1866 gegründete Roßhaarstoff-Fabrik der Gebrüder Leppien, die am Damm 37/39 bis zu 60 Mitarbeitende beschäftigte und 1964 abgemeldet wurde. Dieser zeitweise drittgrößte Industriebetrieb Pinnebergs stellte mit seiner Rosshaar-Weberei fertige Damenreifröcke, Turnüren und Möbelstoffe zu „billigsten Preisen“ her, wie es in einer damaligen Werbung hieß.

Bislang sind die wahren Verursacher noch nicht ermittelt

In direkter Nachbarschaft, am Damm 35, produzierte die Kleider-Färberei und Norddeutsche Strickerei von Peter Magin von 1852 bis 1928 mit bis zu 60 Mitarbeitenden vorwiegend Strümpfe. Ab den 1930er Jahren wurden in dieser Fabrik unter neuer Leitung der Hamburger Firma Steinberg von 40 mitarbeitenden Frauen Gummimäntel und Ölzeug geklebt und genäht.     

Die Branchen könnten passen. Ob die Schadstoffbelastungen soweit in der Geschichte zurückreichen, ist fraglich. Umweltausschussvorsitzender Schmitz weiß, dass die entdeckten Schadstoffe Trichlorethen und Tetrachlorethen „extrem stabil sind. Sie sind schwerer als Wasser und setzen sich am Boden ab.“ Sie seien auch nach Jahrzehnten des Eintrages noch nachweisbar.