Hasloh/Kreis Pinneberg. Die strittige Reform der Bundesjugendspiele wird 2024 umgesetzt. Eine Schule im Kreis Pinneberg ist da schon einen Schritt weiter.

Gegen Ende des vergangenen Jahres stürmte es in deutschen Wassergläsern. Stein des Anstoßes: Die Reform der Bundesjugendspiele. Kritiker der Neuerungen bemängelten einen vermeintlichen Verlust des Leistungsgedankens. Das sei nicht hinzunehmen. Der Nachwuchs müsse befähigt werden, mit Niederlagen und Frust umzugehen.

Der Kabarettist Dieter Nuhr lästerte: „Kinder sollen kein Konkurrenzdenken mehr erfahren. Sie sollen nicht mehr lernen, schneller zu laufen, sondern lernen, wenn jemand schneller ist als sie, soll der doch laufen.“ Und ein „Spiegel“-Kolumnist warf die Frage auf, ob die Bundesjugendspiele nicht ihres klassischen Wettkampfcharakters beraubt und „in Schneeflockenweitpusten verwandelt“ würden.

Bundesjugendspiele 2024: Peter-Lunding-Grundschule hat sie schon modifiziert

Die vorgebrachte Kritik erscheint vielen, die sich ernsthaft mit der Materie befassen, als zu grob vereinfacht. Ganz abgesehen davon, dass die Praxistests an den Schulen ja noch ausstehen. Bundesjugendspiele finden üblicherweise in den Monaten Mai bis Juli statt. Wir wären also vorerst auf Vermutungen angewiesen, gäbe es da nicht eine Avantgarde in Hasloh. Dort, an der Peter-Lunding-Grundschule, haben sie die Bundesjugendspiele schon in den vergangenen beiden Jahren ideenreich weiterentwickelt.

Kriebel
Hasloher Pädagogin Anneke Kriebel: „Wir haben uns vom alten Konzept frühzeitig verabschiedet.“ © Werner Langmaack | Werner Langmaack

Anneke Kriebel (50), die stellvertretende Schulleiterin, über ihre Motive: „Wir haben uns vom strikten, alten Konzept der Punktevergabe mithilfe von Zeit- und Weitenmessungen verabschiedet, weil wir möglichst viele Schülerinnen und Schüler einbinden wollten, vor allem diejenigen, die sich bis dato gedrückt hatten aus Furcht sich zu blamieren.“

Wettbewerb statt Tradition: Der Begriff „Wettkampf“ hat ausgedient

Das neue Framing für die Spiele finden Menschen wie Kriebel durchaus begrüßenswert: „Wettkampf“ klingt ihnen zu militant, „Wettbewerb“ dagegen gemäßigter. Zudem schließt das eine das andere nicht aus. So heißt es in der offiziellen Ausschreibung für 2024: „Der Wettbewerb legt eine an der kindlichen Entwicklung orientierte Grundlage, die später zum Wettkampf führen kann.“ 

Urkunden
Urkundensatz für die Bundesjugendspiele: Nur Laufen, Springen, Werfen als einzige Disziplinen; das scheint aus der Zeit gefallen. © Werner Langmaack | Werner Langmaack

Deshalb haben sie an der Hasloher Grundschule einen kurzweiligen Vierkampf inklusive Crosslauf an die Stelle starrer Wettläufe, Weitsprünge und Ballwürfe gesetzt. Dass hier die Innovationen gleichsam vorweggenommen wurden, war keineswegs Zeichen von Rebellion. Denn schon seit dem Jahr 2001 ist es Grundschulen amtlich gestattet, „neben dem traditionellen Wettkampf, welcher den meisten noch aus der eigenen Schulzeit bekannt sein dürfte“, eigene Wettbewerbsformen, etwa Mehrkämpfe zu kreieren.

Der Leistungsgedanke soll erhalten bleiben, neue Reize sollen geschaffen werden

„Es geht ja gar nicht darum, die Leistungsprüfung an sich abzuschaffen, sondern darum, die Bundesjugendspiele attraktiver zu gestalten“, sagt der Pinneberger Kreisschulsportbeauftragte Olaf Schlegel. Nur schlicht Laufen, Springen und Werfen – seit mehr als einem halben Jahrhundert Kern der Veranstaltung – scheine aus der Zeit gefallen. Die Unterstellung, fortan würden den Schülern Anstrengungen erspart, entspreche nicht den Tatsachen, sagt Schlegel: „Statt zwei Runden mit Zeitmessung im Kreis zu laufen, stehen jetzt Cross- oder Geländeläufe auf dem Programm. Da muss ja auch Leistung erbracht werden.“

Schlegel
Kreisschulsportbeauftragter Olaf Schlegel: „Es geht darum, die Bundesjugendspiele attraktiver zu gestalten.“ © Werner Langmaack | Werner Langmaack

Die Messkriterien seien nur nicht mehr so standardisiert wie zuvor. Kein Einzelfall übrigens: Sportvereine arbeiten in der Kinderleichtathletik seit Längerem mit vielfältigen Bewegungsformen, um zunächst die grundlegenden, motorischen Fähigkeiten auszubilden, ehe eine Spezialisierung auf technische oder läuferische Disziplinen erfolgt.

Olaf Schlegel sieht den generellen Bewegungsmangel von Kindern als das größere Problem

Das dringendere Problem bestehe darin, klagt Oberstudienrat Schlegel, dass Kinder sich allgemein zu wenig bewegen und zwei Schulstunden pro Woche dagegen wenig auszurichten vermögen. Die Forderung nach der täglichen Sportstunde ist nicht neu, scheitert aber unter anderem an fehlendem Fachpersonal. Immerhin: Dort, wo Ganztagesschulen Kooperationen mit örtlichen Sportvereinen geschmiedet haben, gibt es schon jetzt Zusatzangebote.

Einwände kommen auch von Eltern, die sich ängstigen, ihren Kindern komme der Spaß am Sport abhanden, wenn die ganze Klasse dabei zusieht, wie sie beim Wettrennen abgehängt werden oder einen Schlagball kaum weiter werfen als sie selbst groß sind. In keinem anderen Schulfach würden minderbegabte Kinder öffentlich derart vorgeführt. Kein Pennäler mit Leseschwäche werde gezwungen, sich bei Vorlesewettbewerben zu blamieren.

Der Sport gibt den in anderen Fächern schwachen Kindern die Chance, auf diesem Gebiet zu glänzen

Dabei lässt sich auch andersherum argumentieren: Nicht selten glänzen auf dem Sportplatz gerade diejenigen, die bei Deutschaufsätzen oder Mathearbeiten schwächeln. Denen sollte man Erfolge in der Weitsprunggrube oder beim 100-Meter-Sprint gönnen, wirken sie doch dem dumpfen Gefühl entgegen, hoffnungslose Versager zu sein. Fakt ist, dass nicht jeder alles können kann und dass junge Menschen unterschiedliche Talente besitzen.

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Flankierende Angebote stärken sogar den Wettkampfgedanken. Die Talentförderung „Jugend trainiert für Olympia“ ist so eine Form. An einigen Schulen wird ferner gezielt für die Abnahme des Deutschen Sportabzeichens geübt. An der Hasloher Peter-Lunding-Schule veranstalten sie jährlich einen „Lauftag“. Kurzum: In den Lehrerkollegien ist längst angekommen, wie unverzichtbar Sport und Bewegung für die Entwicklung sind.

Die neuen Schulsportfeste sollen das Selbstwertgefühl der Kinder fördern

Olaf Schlegel (53), der als Oberstudienrat am Johannes-Brahms-Gymnasium Sport- und Mathematikstunden gibt, kommt zu dem Ergebnis: „Wenn wir alles zusammenrechnen, werden im Sportunterricht Leistungen sogar stärker überprüft als es noch vor einigen Jahren der Fall war.“ Übertrieben also scheint die artikulierte Befürchtung, jener Leistungsgedanke, der unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhält, könnte durch die aktuelle Reform untergraben werden.

Anneke Kriebel jedenfalls bleibt Verfechterin der Schulsportfeste. Die seien förderlich „fürs Selbstwertgefühl der Kinder, für Zusammengehörigkeit und Sozialgefüge“, sagt die engagierte Pädagogin. „Am Tag der Bundesjugendspiele, an denen alle teilhaben, erleben Schüler und Lehrkörper Schule einmal anders. Das ist wichtig.“