Elmshorn. Michael Schernick steuert nach Zerfall des ersten Männerteams das neue Flaggschiff des GFL-Aufsteigers. Neues Gewässer: die Landesliga
Ende 2020 war das Aus der Elmshorn Fighting Pirates besiegelt – zumindest der Traum des ersten Teams vom Erstliga-Football nach erfolgreichem Aufstieg 2019 war geplatzt. Wegen einer explosiven Mischung aus Corona-Krise und einer parallel entstandenen Abwanderungswelle einiger Coaches und vieler Leistungsträger in Richtung der neugegründeten Hamburg Sea Devils ist Leistungsfootball in der Krückaustadt vorerst Geschichte.
Wegen finanzieller Lücken im Etat gab es den Rückzug. Doch was in der öffentlichen Wahrnehmung ziemlich untergegangen ist: Nun ist die zweite Herrenmannschaft das erste Pirates-Team. Stört es Headcoach Michael Schernick, dass die Piraten jetzt so aus dem Fokus geraten sind und quasi als nicht existent registriert werden? „Nein. Manchmal ist es auch besser unter dem Radar zu fliegen. Und dann müssen wir die PS auf die Straße bekommen“, sagt Schernick.
Im Mai soll es in der Landesliga für die neue Erste losgehen
So Corona will, soll die Landesliga-Saison Ende Mai starten. Dann wollen die Elmshorner nach langer Pause wieder in Pflichtspielen auftrumpfen. Die Gegner in der Landesliga (6. Liga) heißen Bredstedt Riptides, Frisia Warriors aus Risum-Lindholm, die Heide Saints und Steinburg Panthers aus Itzehoe. Der in den letzten Jahren altbekannte Elmshorner Erfolgshunger ist auch geblieben. Schernick: „Unser Plan sieht zunächst einen direkten Durchmarsch vor. Die kommenden beiden Jahre wollen wir bis in die vierte Liga kommen. Dort ist in der Planung ein Jahr Gewöhnungszeit vorgesehen. 2025 sollen die Pirates wieder in der Regionalliga sein.“
Die geflickte Piraten-Kogge muss jetzt flott gemacht werden, um wieder auf Kurs zu kommen. Temporär abtauchen und dann wieder aufsteigen kann Schernick persönlich auch ganz gut: Der 43 Jahre alte Wandsbeker ist Berufsindustrietaucher und allein dadurch schon mit einigen Wassern gewaschen. Und ein gesundes Selbstbewusstsein scheint jedem Footballer ohnehin angeboren zu sein. Ist Erstliga-Football in Elmshorn in der Zukunft möglich? „Ja, warum denn nicht? Wenn die Rahmenbedingungen dann stimmen und es vielleicht auch ein zuschauerfreundlicheres Stadion als das Krückaustadion geben wird, ist das nicht ausgeschlossen“, sagt Schernick, der schon knapp 25 Jahre Football-Erfahrung hat. Erst einmal sei die GFL realistisch betrachtet aber Utopie, weil sportlicher Erfolg im American Football ab der 3. Liga auch an das liebe Geld gekoppelt ist.
Gern hätten die Pirates nicht ganz unten angefangen, aber in einer Zeit von fristgerecht eingereichten Lizenzunterlagen für die GFL 1 Mitte Dezember 2020, um die Option zu wahren und dem Rückzug Ende 2020, von dem dann auch der Football-Landesverband SH nach eigener Aussage überrascht worden war, flogen anschließend die verbalen Pfeile und Schuldzuweisungen hin und her. Üblicherweise wäre auch ein Start in der Oberliga oder Regionalliga – also zwei beziehungsweise drei Spielklassen über der Landesliga möglich. Letztendlich entschied der Verband jedoch so und die angriffslustigen Piraten hissten auf diplomatischer Ebene die weiße Fahne.
Zwei bisherige Trainer sind den Fighting Pirates erhalten geblieben
Vom ehemaligen Coaching-Staff sind zwei Trainer übrig geblieben: „Ich wollte weiter an Bord bleiben“, sagt Fabian Adler (42), den man getrost als Ur-Pirat bezeichnen kann. Seit der Jahrtausendwende ist er dabei, als Spieler hielt er bis 2013 die Knochen hin. Anschließend ist er stets im Trainerstab des ersten Herrenteams aktiv geblieben. Auch Adler ist „total enttäuscht“, dass man am Ziel GFL 1 angekommen war und dann der Kollaps folgte. Er koordiniert nun die Defense.
Im Vorjahr sollte zudem der US-Amerikaner Josh Hartigan eigentlich unter anderem die Defense-Line coachen und weitere Tätigkeiten für die Jugend-Teams im Club ausüben. Nach einem Heimaturlaub ist er auch 2021 wieder Teil der Pirates-Crew. Er trainiert die Wide Receiver und Tight Ends, die im Angriff Bälle aus der Luft abgreifen und ist zudem neuer Jugend-Koordinator. Headcoach Schernick ist gleichzeitig für die Koordination der Offense und die Ausrichtung der Runningbacks zuständig.
Die Offense-Line trainiert Hannes Thiele, ein Coach für die Quarterbacks (Spielmacher) wird demnächst verpflichtet. Um die D-Line kümmert sich Patrick Möller. Linebacker- und Special-Teams-Coach ist Kevin von Borstel, Justin Hands ist Trainer der Defensive Backs.
Schernick schließt sich vor drei Jahren den Fighting Pirates an
Schernick selbst, der als ehemaliger Bundeswehr-Soldat in seinen zehn Jahren bei Einsätzen der Marine (Aufgabengebiet: Flugkörpersysteme) auch in Gewässern vor Ägypten, Israel oder im Golf von Aden vor Somalia (Afrika) unterwegs war, ist vor gut drei Jahren als Footballer zu den Elmshornern gekommen. Und er war auch zielgerichtet mit dem Aufbau eines zweiten Herren-Teams beschäftigt. Das sollte eigentlich im Vorjahr seine Premieren-Saison begehen – aber bekanntlich war 2020 ein Jahr zum Vergessen.
Auch 2021 bleibt ein Überraschungs-Ei, aber die Piraten wollen bereit sein. Zweimal pro Woche wird auf dem weitläufigen EMTV-Gelände am Koppeldamm – zurzeit noch in Zehner-Gruppen – kontaktkonform trainiert. Von April an soll in der Theorie auch der Kunstrasenplatz in Elmshorn genutzt werden. Los ging es am 17. März. „Beim ersten Training waren 35 Spieler da. Aufgrund der Situation, sei es nun beruflich oder privat, schwankt die Teilnehmerzahl. Aber über 50 Akteure stehen offiziell im Kader“, sagt der Exil-Erfurter, der Mitte der 90er-Jahre den Bundeswehrstandort Bremerhaven zugeteilt bekam und dort dann bei den Bremerhaven Seahawks anheuerte. Es werde Spieltage geben, an denen nicht alle aufs Feld kommen könnten. Zwölf Spieler aus dem Aufstiegskader sind geblieben, darunter zum Beispiel Kicker und Safety Sören Becker, die Wide Receiver Johannes Stolzenberg (ehemals Jermies), Björn Moescher oder Jan Meininghaus (Defensive End).
2018 und 2019 war Schernick als Linebacker, der gegnerische Durchbrüche hinter der ersten Verteidigungsreihe unterbinden soll, selbst noch Spieler der Pirates. Nebenbei absolvierte er den C-Lizenzlehrgang, um auch offiziell als Coach arbeiten zu können.
Der Gewinn des EFL-Bowl mit den Kiel Baltic Hurricanes zählt zu seinen größten Erfolgen
„Die Aufstiege mit den Pirates zählen neben dem Sieg im EFL-Bowl mit Kiel und dem Aufstieg mit Jena in die 2. Bundesliga ohne zusätzlich verpflichtete Importspieler zu meinen größten sportlichen Erfolgen. Ich bin über die Entwicklung hier natürlich bestürzt“, sagt der Kraftsport-Fan, der auch gern Radtouren unternimmt oder auf dem Wake-Board Wassersport betreibt. Aber es gehe eben darum, nach dem Zusammenbruch des bisher Aufgebauten wieder nach vorn zu schauen.
Dem Vernehmen nach hat der sportliche Erfolg der vergangenen Jahre bei den Elmshorn Fighting Pirates lange Zeit als Fugenkitt einiger Spannungsfelder innerhalb des Teams, Trainerstabs und dem Vereinsumfeld gedient. Nun geht es mit weniger Sponsoren und Finanzkraft – selbstverständlich ist der Club stets auf der Suche nach interessierten Firmen in Unterstützerlaune – zwar nicht ganz bei Null los. Aber der Reset-Knopf bei den Pirates ist mindestens mit halber Stärke gedrückt worden.