Kreis Segeberg. Schleswig-Holstein sorgt sich um seine Schutzräume für den Kriegsfall. Norderstedt hat seine funktionierende Anlage 2011 aufgelöst.
Krieg ist mitten in Europa wieder Realität: russische Truppen bombardieren täglich die Ukraine und Diktator Wladimir Putin droht westlichen Nato-Ländern immer wieder mit konventionellen und atomaren Angriffen. Eine Bedrohungslage, die in Deutschland lange verkannt, aber zunehmend ernst genommen wird.
Damit gerät die Frage nach dem Bevölkerungsschutz in den Mittelpunkt: Tatsächlich sollen in Schleswig-Holstein Bunker und Schutzräume reaktiviert oder wieder gebaut werden. Die Kieler Landesregierung hat die Initiative ergriffen und entwickelt ein Schutzraumkonzept. Der Städte- und Gemeindebund spricht sich aber dafür aus, stillgelegte Schutzräume wieder in Betrieb zu nehmen.
Lost Place: Norderstedts ABC-Bunker unter dem Rathaus
Schleswig-Holstein will laut Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack künftig eine IT-Lösung oder App anbieten, die den Menschen die nächstgelegenen Schutzorte über das Handy mitteilt. Geplant sind Info-Kampagnen über die Möglichkeiten des Selbstschutzes und die Bedeutung von Schutzräumen. Das Land will zudem die Bevölkerung darüber informieren, wie man private Räume, insbesondere Keller, zu Schutzräumen umbauen kann. Außerdem sollen landesweit 4000 Sirenen neu angeschafft oder alte aufgerüstet werden.
Zudem will die Landesregierung neben einer Bestandsaufnahme von Bunkern auch alle öffentlichen Gebäude und privaten Immobilien erfassen, die als Zufluchtsorte genutzt werden können. Das könnten etwa Untergeschosse von Rathäusern oder auch Tiefgaragen sein.
ABC-Bunker: Schutz für 1200 Menschen
Norderstedt ist die einzige Kommune im Kreis Segeberg, die lange Zeit über einen voll funktionsfähigen ABC-Bunker für 1200 Bürgerinnen und Bürger verfügte. Heute kennt man die Fläche als Tiefgarage unterhalb des Rathauses und des Rathausplatzes. Beim Bau des Verwaltungsgebäudes im Jahre 1984 wurde sie als Schutzraum angelegt. Mit allen Einrichtungen, die es für die Abwehr von atomaren, biologischen und chemischen Gefahren braucht.
Die Geschichte der Notunterkunft für den Krisen- und Kriegsfall begann 1979, als das Projekt zum ersten Mal in den Bebauungsplänen der Stadt auftauchte und eine städtische Projektgruppe Mindestgröße und Ausstattung des Schutzraums festlegte, der im Frieden als Tiefgarage genutzt werden sollte. Das Projekt wurde mit 977.000 D-Mark gefördert. 400.000 D-Mark musste Norderstedt aufbringen und weitere 7000 für den jährlichen Unterhalt, den das THW erhielt. Dafür stellten die ehrenamtlichen Helfer sicher, dass Türen, Lüftung und Wasserversorgung funktionierten. Am 2. Oktober 1984 wurde das Kombi-Projekt eröffnet.
Kostenfrage beendete das Bunker-Projekt
Bis zu drei Wochen hätten in der „beschuss- und strahlungssicheren“ Tiefgarage 1200 Menschen im Kriegsfall aushalten sollen. Tonnenschwere Türen hätten die Tiefgarage abgeschottet, Pumpen einen Unterdruck erzeugt, der potenziell radioaktive Luft abgehalten hätte, eine Anlage hätte für gereinigtes Wasser gesorgt. Außerdem waren Vorkehrungen für Stromversorgung und Funkkontakt nach draußen getroffen worden.
Bis 2005 kümmerte sich das THW in regelmäßigen Übungen um die Funktionsfähigkeit des Bunkers. Aber 2007 wurde die Anlage aufgelöst und endgültig zur Tiefgarage umfunktioniert. 2011 wurden die Schutzraum-Pläne ganz zu den Akten gelegt: Die Kosten für die Vorhaltung eines solchen Schutzraumes, schienen damals nicht mehr gerechtfertigt.
ABC-Bunker Norderstedt: Reaktivierung ungewiss
„Ob eine Reaktivierung als Bunker möglich ist, können wir zum aktuellen Zeitpunkt nicht sagen“, sagt Nina Wrage, Sprecherin des Norderstedter Rathauses. Diese Aussage gilt auch für alle in Norderstedt vorhandenen Tiefgaragen und U-Bahn-Schächte: Es existiert nach Angaben der Stadt Norderstedt eine Auflistung, aber diese wurde in erster Linie für den Brandschutz erstellt.
Nina Wrage schränkt ein: „Die Zivilschutzeigenschaften dieser Bauwerke beinhaltet jedoch lediglich einen ungeprüften Schutz gegen eingeschränkte externe Gefahren.“ Das bedeutet: Es sind Schutzräume vorhanden, ob die aber tatsächlich im Falle einer atomaren oder sonstigen kriegsähnlichen Bedrohung wirklich Schutz bieten, wurde noch nicht überprüft.
Weltkriegsbunker: Zu Fledermausquartieren umfunktioniert
Im Kreis Segeberg existieren ansonsten keine intakten Bunker oder Schutzräume. Die Weltkriegs-Bunker, die es noch gibt, sind in einem eher verwahrlosten Zustand und werden für andere Zwecke genutzt. Zum Beispiel im Segeberger Forst in der Nähe von Wahlstedt: Sie dienten den Nazis einst als Waffenlager. Sieben Bunker sind heute noch erhalten, vier befinden sich im Privatbesitz und werden als Lagerräume genutzt, drei weitere dienen als Quartiere für Fledermäuse.
So steht es auch um die Bunker auf dem Klingberg bei Sülfeld. Sie wurden während des Zweiten Weltkriegs nicht für Menschen, sondern für die Aufbewahrung von Munition gebaut, sie sind nicht geräumig, aber gut geschützt. Drei Stahltüren müssen überwunden werden, um in das Innere zu gelangen. Es gibt noch eine ganze Anzahl dieser Mini-Bunker, aber sie dienen gleichermaßen nur als Behausung für Fledermäuse.
Lesen Sie auch
Einen Bunkerraum gibt es auch als Anbau am Segeberger Kalkberg. Er wurde einst von den Segeberger Nationalsozialisten gebaut, damit sich zumindest einige Bürger vor Fliegerbomben in Sicherheit hätten bringen können. Später wurden in dem Raum Waffen gelagert. Allerdings keine echten: Es waren die Requisiten für die Karl-May-Spiele. Heute bietet der Raum den Karl-May-Darstellern Schutz vor Hitze und Regen.
Kalkberghöhlen eignen sich nicht als Schutzräume
Viel Platz wäre in den Kalkberghöhlen vorhanden, die von den Nazis 1944 als Produktionsstätte für Sauerstoffanlagen in der engeren Wahl waren. Aber in den 1950er-Jahren stellte der Geologe Dr. Jürgen Hagel, Akademischer Direktor der Uni Stuttgart, fest, dass eine aktive Nutzung des verzweigten Höhlensystems wegen des „mürben Gesteins“ nicht infrage komme.
Im Katastrophenschutz des Kreises Segeberg gebe es keine gesonderte Planung für die „Gefährdungslagen Angriff oder Krieg“, teilt Sabrina Müller, Sprecherin der Kreisverwaltung, mit. Der Umbau oder die Reaktivierung der Schutzräume liege in der Verantwortung beim Bund, der Kreis sei nicht zuständig. „Die Katastrophenschutzarbeit auf Kreisebene läuft natürlich wie gewohnt weiter, dazu gehört die Vorbereitung auf ganz unterschiedliche Gefahrenlagen.“