Wahlstedt. Im Segeberger Forst stehen noch Relikte aus der NS-Zeit. Die Geschichte der Bunker wird in einem Dokumentationszentrum wieder lebendig.
- Im Segeberger Forst wurden von 1937 an 233 Bunker gebaut
- Eine Schmalspurbahn verband Bunker und die Produktionsstätten in Wahlstedt
- Die Munition wurde für die Kriegsschiffe Scharnhorst und Gneisenau benötigt
Der Segeberger Forst bei Wahlstedt, wenige Kilometer nördlich des Mözener Sees, ist ein schönes Naherholungsgebiet, perfekt geeignet für Familienausflüge. Wanderwege gibt es hier und Kinderspielplätze, Hundeauslaufflächen und Trimm-Dich-Pfade. Und Lost Places, in Form ehemaliger Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg, gibt es auch. Denn Wahlstedt und ein großer Teil des Forstes waren einmal Teil einer riesigen, geheimen Produktions- und Lagerungsstätte für Marine-Munition.
Am Rande des Forstes, am Alten Barker Weg, stehen wir vor einem zugewucherten und mit Bäumen bewachsenen Hügel. Zwischen massiven, mit Moos bewachsenen Betonplatten lugt eine Stahltür hervor. „Das hier war ein Bunker, der als Munitionsdepot diente“, sagt Angelika Remmers. Sie ist Leiterin der Volkshochschule Wahlstedt, arbeitete als Lehrerin und widmet sich seit Jahren intensiv der Erforschung und Dokumentation der besonderen Geschichte des Ortes.
Wahlstedt: Lost Place – Die versteckten Nazi-Bunker im Segeberger Forst
Angelika Remmers weist auf den Boden, im Beton sind zwei eingelassene Spuren erkennbar. „Hier ist eine Schmalspurbahn mit der Munition ins Lager hereingefahren. An den Wänden im Bunker hingen Laufkatzen für die Einlagerung.“ Von Bunkern wie diesem, zwischen 40 und 180 Quadratmeter groß, gab es einmal 233 Stück im Segeberger Forst. Sie waren Teil des Marineartilleriearsenals Wahlstedt-Fahrenkrug, das im Krieg eine wichtige Rolle für die Kriegsmarine spielte.
Den Beschluss, in dem damals kleinen Dorf bei Bad Segeberg eine riesige Produktionsstätte für die Rüstung aufzubauen, fassten die Militärführung in Berlin im Jahr 1935. Die Kriegsmarine sollte massiv aufgerüstet werden, dafür suchte man einen Ort in der Nähe von Kiel, mit Bahnanschluss, wo sich Produktions- und Lagerstätten zumindest teilweise im Wald verstecken ließ.
Ab 1937 wurde das Marineartilleriearsenal Fahrenkrug-Wahlstedt gebaut
Die Wahl fiel auf Wahlstedt, das mit dem Nachbarort Fahrenkrug über einen Bahnhof verfügte. Ab 1937 wurde das Marinearsenal aus dem Boden gestampft, es entstanden etwa 100 Gebäude im Wahlstedt und dazu die Bunker im Wald. „Der ganze Segeberger Forst war im Prinzip unterkellert“, sagt Angelika Remmers. Eine Schmalspurbahn verband Bunker und Produktionsstätten, dafür wurde ein Schienennetz von 60 Kilometern Länge in den Wald hinein gebaut.
„Die Gleise wurden nach dem Krieg abgebaut, aber die Schneisen sind noch sichtbar“, sagt Angelika Remmers. Es sind die heutigen Wanderwege, die durch den Forst führen. Wer sich Luftbilder auf Google Maps anschaut, sieht ihre auffällig symmetrische Struktur.
Hergestellt wurde die Munition in großen, rotgeklinkerten Gebäuden in Wahlstedt, die noch heute im ganzen Ort zu sehen sind. Rund 1100 Menschen arbeiteten hier ab 1939, darunter viele Zwangsarbeiter aus Polen, Lettland, Litauen, Italien, Frankreich, Holland und der Ukraine. Auch russische Kriegsgefangene schufteten in den Gebäuden und in den Bunkern im Wald. Zu den Arbeitskräften kamen noch einmal 680 Soldaten und 170 Zivilangestellte. „Die Munition wurde für die Kriegsschiffe Gneisenau und Scharnhorst produziert“, sagt Angelika Remmers.
Im Mai 1945 besetzten britische Truppen das Gelände
Im Mai 1945 besetzten britische Truppen das Marineartilleriearsenal Fahrenkrug-Wahlstedt. Es wurde abgewickelt, die Munition wurde im Wald gesprengt, in sogenannten Sprenggruben. „Reste davon hat man noch viele Jahre später immer wieder gefunden, in den Baumkronen“, sagt Angelika Remmers. Und auch fast alle Bunker wurden gesprengt, bis auf sieben, die noch heute erhalten sind. „Für manche Kinder in der Nachkriegszeit war der Wald ein großer Abenteuerspielplatz. Aber es sind leider auch Unglücke passiert“, sagt Angelika Remmers.
Die Gebäude in Wahlstedt hingegen wurden stehengelassen. Und schon bald begann hier etwas ganz Neues. „Die Gebäude konnte man billig pachten. Und viele haben das bald nach dem Krieg getan, um dort Unternehmen aufzubauen“, so Angelika Remmers. Und so wurden, wo noch wenige Jahre zuvor Patronenhülsen befüllt wurden, Pantoffeln, Unterwäsche oder Glasscheiben gefertigt.
Unternehmen wie Arko wurden auf Gelände des ehemaligen Arsenals heimisch
Einige große Namen finden sich unter den Unternehmen, die kurz nach den Krieg in Gebäuden des ehemaligen Marineartilleriearsenals heimisch wurden. Darunter der kürzlich insolvent gegangene Kaffee-, Tee- und Süßwarenhändler Arko oder die Firma Pelz, die unter anderem Windeln und die bekannten Q-Tips herstellt. Pelz ist noch heute der größte Arbeitgeber der Stadt. Sein Hochregallager liegt am Alten Barker Weg, direkt gegenüber vom Segeberger Forst mit seinen Bunkern.
Von innen besichtigen kann man diese nicht. Die Stahltüren sind fest verschlossen, vier der Bunker befinden sich im Privatbesitz und werden als Lagerräume genutzt, drei weitere Bunker werden „zu Quartieren für Fledermäuse umgerüstet“, wie Angelika Remmers sagt. Aber man kann den Bunker am Alten Barker Weg mit einer Treppe besteigen, oben sieht man noch die alten Belüftungsrohre. Kinder können mit einer Rutsche wieder herunterrutschen, denn der Bunker ist heute in einen Kinderspielplatz integriert. Ein anderer Bunker-Hügel ist Teil des Trimm-Dich-Pfades.
Sehenswert: Das Dokumentationszentrum Marineartilleriearsenal in Wahlstedt
Geschichtliche Info-Tafeln informieren heute im Segeberger Forst und im Wahlstedter Stadtgebiet über die Geschichte des Marineartilleriearsenals, das seit 2014 ein offizielles Denkmal ist. Wer etwas mehr wissen möchte, sollte unbedingt einmal dem Dokumentationszentrum Marinearsenal einen Besuch abstatten. Hier kann man dann auch einen Eindruck gewinnen, wie es in den Munitionslagern im Wald aussah – denn das Zentrum ist in einem Bunker an der Waldstraße untergebracht, der gleichzeitig ein Wasserwerk war.
Eine gut gemachte, sehr anschauliche Ausstellung zeigt, wie das Leben der Zwangsarbeiter, Arbeitskräfte und Soldaten in Wahlstedt aussah. Alte Maschinen und Uniformen werden gezeigt, Briefe, Munitionshülsen, Landkarten, einst geheime Pläne und spätere Fundstücke aus dem Wald. Gezeigt wird auch, wie aus dem eben noch durch und durch militärisch geprägten Wahlstedt nach dem Zweiten Weltkrieg eine typische Wirtschaftswunder-Stadt wurde. Und nicht zuletzt ist dokumentiert, wie Wahlstedter Schüler viele Jahrzehnte später Kontakt zu ehemaligen Zwangsarbeitern aufnahmen, unter anderem in der Ukraine.
Wahlstedts Geschichte ist Angelika Remmers‘ großes Lebensthema
Angelika Remmers hat das Dokumentationszentrum gemeinsam mit einer Gruppe von Ehrenamtlichen aufgebaut. Beim Aufbau halfen Spenden, unter anderem von ortsansässigen Unternehmen. Die Geschichte Wahlstedts ist ihr großes Lebensthema, denn es ist auch ihre eigene Geschichte: Remmers, Jahrgang 1948, ist die Tochter einer ehemaligen Arbeiterin des Arsenals, die als ausgebombte Hamburgerin nach Wahlstedt kam. Ihr Großvater arbeitete hier als Wachsoldat. Heute unterstützt Angelika Remmers Menschen aus ganz Europa, die nach Wahlstedt kommen, um ihre Familiengeschichte besser zu verstehen. „Kürzlich war zum Beispiel eine Familie aus Belgien bei uns“ erzählt sie.
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Wer das Dokumentationszentrum besuchen möchte, wendet sich bitte an die VHS Wahlstedt für einen Termin. Die organisiert auch geschichtliche Rundgänge und Wanderungen durch den Wald zur Geschichte der NS-Zeit. Das Thema ist im Ort, fast 80 Jahre nach Kriegsende, noch immer sehr präsent im Ort: „Wahlstedt lebt mit seinem Marinearsenal“, sagt Angelika Remmers.
Kontakt: VHS Wahlstedt, Waldstraße 1, Tel. 04554/5912, E-Mail: vhs.wahlstedt@t-online.de, www.vhs-wahlstedt.de
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