Norderstedt. Onkologie-Praxis Norderstedt: Hier wird krebskranken Menschen geholfen. Doch Mitarbeiter beklagen katastrophale Missstände.
Sie arbeiten jeden Tag mit schwer krebskranken Menschen zusammen. Mit Menschen, die um ihr Leben fürchten. Die dringend eine Chemotherapie brauchen, um gesund zu werden. Um weiterleben zu können. Das Team der Onkologie-Praxis am Langenharmer Weg in Norderstedt besteht aus Ärzten, Krankenschwestern und Medizinischen Fachangestellten, die sich schon seit teils vielen Jahren um genau diese Patienten kümmern – aus Überzeugung und mit Herz. Doch nun sind sie selbst in Not geraten.
Seit März werden Gehälter erst mit Verspätung gezahlt, zum Teil müssen die Mitarbeitenden bis zu 18 Tage auf ihren Lohn warten. Ebenso bleiben Beitragszahlungen für die Sozialversicherung aus. „Ich lebe nicht von der Hand in den Mund. Aber ich spüre eine Wut, weil wir uns die Beine hier ausreißen, kaputt nach Hause kommen, wir aber für unsere erbrachte Leistung nicht bezahlt werden“, sagt eine Mitarbeiterin, die genauso anonym bleiben möchte wie die anderen, die in diesem Artikel zu Wort kommen.
Onkologie-Praxis Norderstedt: Neue Patienten können nicht aufgenommen werden
Eine weitere Angestellte berichtet, dass Telefon und Internet zeitweise abgeschaltet worden seien, weil Rechnungen nicht bezahlt wurden. „Das hat zur Folge, dass wir wichtige Ergebnisse vom Labor nicht erhalten – davon hängt die Behandlung der Patienten aber ab“, sagt sie. Zwei Krankenschwestern und eine Ärztin hätten in den vergangenen Monaten wegen der schlechten Arbeitsbedingungen bereits gekündigt. „Die Psyche ist belastet. Man nimmt die Probleme mit nach Hause, das macht einen krank.“
Die Personalnot sei groß. Die Beschäftigten wissen nicht, ob ihr Arbeitgeber, die HOA Hämatologisch-Onkologische-Allianz Stormarn GmbH, die offenen Stellen nachbesetzen will. Generell sei die Kommunikation nicht gut, sagen sie. „Wenn noch einer kündigt, kann man hier das Licht ausmachen“, sagt eine langjährige Mitarbeiterin. Um der Lage irgendwie gerecht zu werden, nehmen sie keine neuen Patienten mehr auf. „Es ist eine große Katastrophe, dass Menschen, die dringend eine Therapie brauchen, wegen dieser Umstände einfach nicht versorgt werden können“, sagt sie und betont eindringlich: „Es geht um Menschenleben.“
„Wenn ich gehe, wer behandelt dann die Menschen?“
Um auf ihre Notlage aufmerksam zu machen, den Gerüchten entgegenzuwirken und sich den Patienten gegenüber zu erklären, hat sich das Praxisteam entschieden, ein gemeinsames Schreiben in den Räumen auszuhängen. Dieses wurde von einem besorgten Patienten auch an das Abendblatt weitergeleitet. „Viele haben schockiert, aber sofort hilfsbereit reagiert. Wir wollen unsere Patienten nicht in Panik versetzen, aber wir wollen gehört werden, weil wir es einfach nicht mehr ertragen haben“, sagt eine Krankenschwester.
Sie mache ihren Job wirklich gern, sagt sie. „Ich bin Krankenschwester aus Überzeugung. Für mich gab es nie einen anderen Beruf. Ich möchte gern in der Onkologie bleiben, aber nicht unter diesen Umständen.“ Eine andere Kollegin quält vor allem eine Frage: „Wenn ich gehe, wer behandelt dann die Menschen? Da hängen Schicksale dran. Zu uns kommen Patienten jeglicher Altersklassen, auch die junge, alleinerziehende Mutter.“
Onkologie: Vor zwei Jahren wurde Praxis übernommen
Die Praxis in Norderstedt wird von der HOA Hämatologisch-Onkologische-Allianz Stormarn GmbH als Teil eines ärztlich geleiteten medizinischen Versorgungszentrums betrieben. Weitere Standorte befinden sich in Ahrensburg, Billstedt und Reinbek. „Wir haben die HOA, vormals MVZ Stormarn, vor fast zwei Jahren als Sanierungsfall aus einem Restrukturierungsverfahren vom Voreigentümer übernommen. Die Onkologie stellte damals aus unserer Sicht eine inhaltlich gute Ergänzung zu unserem eigenen medizinischen Leistungsangebot dar“, teilt Geschäftsführer Dr. Sekander Scherzai auf Anfrage des Abendblattes mit.
Der Arzt, der auch Geschäftsführer der miamedes MVZ GmbH ist, hat zuvor bereits Medizinische Versorgungszentren in sozial schwächeren und unterversorgten Regionen Hamburgs gegründet, wie zum Beispiel in Horn und Steilshoop. Das Angebot weitete er auf Pflegeheime und schließlich den onkologischen Bereich aus. Letzteres entwickelte sich aber vielmehr zu einer finanziellen Belastung. „Unter wirtschaftlichen Aspekten hat sich unser Engagement leider bis heute nicht rentiert. Zu keinem Zeitpunkt war der Betrieb rentabel“, sagt Scherzai über die Onkologie-Praxen.
Norderstedt: 2025 soll es neue Partnerschaft und Räume geben
Im Gegenteil: Die Gesellschaft musste permanent durch Einlagen gestützt werden, inzwischen sei ein hoher sechsstelliger Betrag geflossen, erklärt Scherzai. „Das übersteigt unsere eigenen Möglichkeiten.“ Im Hintergrund wird deswegen offenbar bereits seit längerem nach einer Lösung gesucht, um die Praxen in Norderstedt und an den anderen Standorten zu retten. „Wir haben im vergangenen Sommer den Entschluss gefasst, für die HOA-Praxen nach einem wirtschaftlich starken, strategischen Partner zu suchen, der das nötige Know-how und die erforderliche Stabilität mit einbringt, um das Unternehmen erfolgreich weiterzuführen und zum Wohle von Patienten und Mitarbeitern zu entwickeln“, sagt der Geschäftsführer weiter. Er sei „sehr zuversichtlich“, diese Partnerschaft zum 1. Januar „unter Dach und Fach zu haben und damit den Turnaround zu schaffen“.
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Zur Situation seiner Mitarbeitenden äußert er sich wie folgt: „Wir haben sehr viel Lehrgeld bezahlt, und die Mitarbeiter haben das an der einen oder anderen Stelle leider auch zu spüren bekommen. Das bedauern wir sehr“, sagt er. Es handele sich um „hervorragende Fachkräfte und Ärzte“. Ihnen könne er in keiner Weise einen Vorwurf wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten machen. „Die Ursachen sind eher struktureller Art“, betont er.
Scherzai ist es wichtig, eine Schließung der Praxen „unbedingt zu vermeiden“, wie er sagt. Denn das wäre in einer Situation, in der in der Metropolregion Hamburg nicht genügend Therapieplätze für krebskranke Patienten zur Verfügung stünden, „eine medizinische Katastrophe“. Stattdessen sei man kurz davor aus der Not eine Tugend zu machen, meint er. Die Praxis in Norderstedt am Langenharmer Weg soll innerhalb der Stadt in „geeignetere, moderne Räume“ umziehen, die zudem zentral gelegen und barrierefrei zugänglich sein sollen.