Norderstedt. Kai Vogel, Leiter der Norderstedter Willy-Brandt-Gemeinschaftsschule, äußert sich im Interview zum Privatschulboom in der Region.

Privatschulen – eine geordnete Welt, in der noch richtig gelernt werden kann? Eine Alternative zur bisweilen chaotischen, kaputtgesparten staatlichen Regelschule? Zumindest ein Teil der Eltern in Norderstedt, Kaltenkirchen und Umgebung scheint das so zu sehen. Denn die Leibniz-Privatschule in Kaltenkirchen freut sich über regen Zulauf, in Norderstedt hat sich jetzt die erste private Grundschule gegründet. Werden die Privatschulen zu einer echten Konkurrenz für die staatlichen Schulen und bieten sie wirklich für das Geld eine bessere Qualität?

Über Fragen wie diese haben wir mit Kai Vogel gesprochen, dem Leiter der Willy-Brandt-Schule in Norderstedt. Die ist eine staatliche Gemeinschaftsschule mit Oberstufe, hat rund 800 Schüler – und ist so etwas wie das Gegenmodell zum exklusiven Club der „Privaten.“

Vogel: Eltern kehren staatlichen Schulen gar nicht den Rücken

Hamburger Abendblatt: Herr Vogel, Die Privatschulen im Kreis Segeberg boomen. Die Leibniz-Privatschule in Kaltenkirchen hat in den letzten 7 Jahren ihre Schülerzahl verdoppelt, mit der Regenbogenschule in Norderstedt hat jetzt eine private Grundschule ihren Betrieb aufgenommen. Womit erklären Sie sich, dass immer mehr Eltern dem staatlichen Schulsystem den Rücken kehren?

Kai Vogel: Ich würde sagen, das tun sie gar nicht. Wir haben zum Beispiel in Norderstedt deutlich steigende Schülerzahlen, die Anmeldezahlen gehen Jahr für Jahr in die Höhe, auch und gerade an staatlichen Schulen. Wir bringen die neuen Schülerinnen und Schüler mit viel Mühe unter. In Norderstedt gehen knapp 3000 Kindern auf Grundschulen, jetzt startet die Regenbogenschule mit 16 Kindern. Das ist keine dramatische Zahl. Und wenn wir auf Schleswig-Holstein schauen, da gehen gerade einmal 5 Prozent der Schüler auf Privatschulen, die meisten davon sind dänischsprachige Schulen für die dänische Minderheit. Die staatlichen Schulen müssen also nach wie vor sehr vieles richtig machen.

„Zu hoher Ausländeranteil“? Was Kai Vogel dazu sagt

Abendblatt: Aber die Leibniz-Schule berichtet von einer Verdoppelung der Schülerzahlen…

Vogel: Ins Bild gehört, dass die Leibniz-Schule über Jahre sehr schwache Schülerzahlen hatte. Die mussten auch daran arbeiten, die zu steigern, sonst hätte sich deren Schule nicht mehr gerechnet. Aber ich blicke überhaupt nicht mit Häme auf Privatschulen. Sie bieten eine Alternative und wenn Eltern diese für ihre Kinder passender finden, dann ist das in Ordnung.

Abendblatt: Egon Boesten, Leiter der Leibniz-Privatschule, nennt einen „zu hohen Ausländeranteil“ an staatlichen Schulen als einen Hauptgrund, weshalb Eltern sich für seine Schule entscheiden. Wie bewerten Sie diese Aussage? Ist etwas dran an der These, dass in vielen Regelklassen Kinder und Jugendliche sind, die nur wenig Deutsch sprechen – was dann das Lernniveau senkt?

Vogel: Die Gesellschaft ist vielfältiger geworden. Das bildet sich natürlich auch an Schulen ab. Dadurch kommt es in allen Schulformen vor, dass sich manche Schülerinnen und Schüler mit der deutschen Sprache noch sehr schwertun. Das ist eine Herausforderung, aber auch eine, der wir uns sehr gerne stellen. Für solche Kinder haben wir an der WBS zwei DaZ (Deutsch-als-Zweitsprache)- Klassen, in denen diese Kinder zunächst gesondert unterrichtet werden und Deutsch lernen. Dann werden sie nach und nach in die Regelklassen integriert. Bei dem Großteil der Schülerinnen und Schüler funktioniert das sehr gut.

Leibnizschule Kaltenkirchen: Über 800 Schülerinnen und Schüler (Stand: Beginn Schuljahr 2024/2025) besuchen die private Bildungseinrichtung mittlerweile.
Scharfer Kritiker des staatlichen Schulsystems: Egon Boesten, Schulleiter und Geschäftsführer der Leibniz-Privatschule. © Christopher Mey | Christopher Mey

Abendblatt: Aber Privatschulen haben diese Herausforderung nicht, oder in viel geringerem Ausmaß…

„Gebühren an Privatschulen sind soziale Barrieren“

Vogel: Privatschulen suchen sich ihre Schülerschaft anders aus. An Privatschulen in Schleswig-Holstein müssen Eltern zwischen 150 und 1500 Euro monatlich Gebühren zahlen. Damit ist natürlich klar, dass sich Familien, die aus einem Land flüchten mussten, in dem Krieg herrscht, so etwas nicht leisten können. Die Schulgebühren an Privatschulen sind soziale Barrieren. Ich bin stolz darauf, dass es die an den staatlichen Schulen in Deutschland so nicht gibt. Dass der Schulbesuch nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt, ist für mich ein Grundpfeiler des Bildungssystems in Deutschland, das unterscheidet uns zum Beispiel von den USA, Großbritannien und manchen asiatischen Ländern.

Abendblatt: Dass die Schulgebühren soziale Barrieren sind, wird an Privatschulen bestritten. Die Gebühren seien nach dem Einkommen der Eltern gestaffelt, wird dann betont. Und man könnte auch argumentieren, manche Eltern leisten sich eben gern die 150 oder 200 Euro monatlich für die Bildung ihrer Kinder….

Vogel: Bei den 150 oder 200 Euro bleibt es ja nicht. Wer auf Nachmittagsbetreuung angewiesen ist, muss die zusätzlich bezahlen. Und dann kommen noch Klassenreisen in richtig ferne Länder hinzu… für die betreffenden Schüler ist das natürlich toll, aber im Ergebnis schließt all so etwas bestimmte Kinder vom Besuch solcher Schulen aus. Ein realistisches Abbild der Gesellschaft entsteht dort bestimmt nicht. Es ist enorm wichtig, dass junge Menschen auch an der Schule eine diverse, vielfältige Gesellschaft kennenlernen.

„Qualitativer Unterschied zur Lehrerschaft an staatlichen Schulen massiv“

Abendblatt: Privatschulbefürworter sagen aber oft, die staatlichen Schulen seien unterfinanziert. Guter Unterricht sei so gar nicht möglich. Kann man dann nicht verstehen, wenn sich Eltern bessere Qualität kaufen wollen?

Vogel: Die Qualität ist überhaupt nicht besser! Das Gegenteil ist der Fall. Schauen Sie sich einmal die Lehrerschaft an Privatschulen an. Der größere Teil dort ist ursprünglich nicht ausgebildet worden, um mal Klassen zu unterrichten. Da sind sehr viele Quereinsteiger darunter. Der qualitative Unterschied zur Lehrerschaft an staatlichen Schulen ist massiv. Zudem verdient man an regulären Schulen mehr, hat bessere Arbeitszeiten und mehr Urlaub. Man kann sich also überlegen, in welchem System die gut ausgebildeten Kräfte vermutlich lieber arbeiten…

Regenbogenschule
Sie trieb die Gründung der ersten privaten Grundschule in Norderstedt voran: Stefanie Neruda, heute Leiterin der Regenbogenschule. Zuvor arbeitete sie an staatlichen Schulen, sagt heute aber, dort fehle „der Rahmen, um gute Schule zu machen“. © FMG | Claas Greite

Unterfinanzierung? Vogel sieht Hamburg als Vorbild für Schleswig-Holstein

Abendblatt: Das staatliche Bildungssystem ist nicht unterfinanziert?

Vogel: So pauschal würde ich das nicht sagen, nein. Aber es wäre natürlich schon schön, wenn den Schulen mehr Geld zugutekäme. Am Beispiel Hamburg kann man sehen, was das bringt. Die Stadt investiert viel Geld in die Schulen, so ist Hamburg im Länder-Ranking auf Platz 3 aufgestiegen. Das ist ein beachtlicher Erfolg. Schleswig-Holstein ist aktuell auf Platz 10, aber ich glaube, allen Beteiligten ist klar, dass mehr Geld in Bildung klug investiert ist.

Unterrichtsausfall und Disziplin: Privatschulen kein Modell

Abendblatt: Weiterhin heißt es, an staatlichen Schulen falle oft der Unterricht aus. Stimmt das?

Vogel: An Grundschulen darf der Unterricht gar nicht ausfallen, das ist in Schleswig-Holstein vorgeschrieben, im Rahmen der verlässlichen Grundschule. Bei uns fällt in den Jahrgängen 5 und 6 auch kein Unterricht aus. Aber in höheren Jahrgängen kann das leider vorkommen. Ich denke aber, es dürfte auch an Privatschulen passieren, dass Lehrkräfte ausfallen oder krank werden. Ich gehe davon aus, dass dann sehr kreative Lösungen gefunden, um pro forma einen Unterrichtsausfall zu vermeiden – zum Beispiel, dass dann eine Lehrkraft pauschal zwei oder drei Klassen unterrichtet. Ob man das besser findet, muss jeder für sich selbst entscheiden…

Abendblatt: Stichwort Disziplin. Manche Privatschulen setzen auf Uniformen wie in Großbritannien, Handys werden vor dem Unterricht eingesammelt. Wirkt sich das positiv auf das Verhalten aus? Wie steht es generell um das Thema Disziplin in Schulen?

Vogel: Wir stellen tatsächlich fest, dass die disziplinarischen Probleme nach Corona anders geworden sind, aber die Pandemie hat auch dazu geführt, dass ein Großteil der Elternschaft stärker anerkennt, was Lehrkräfte leisten. Was Uniformen anbetrifft: Das ist ja auch etwas, mit dem sich Schulen von anderen abgrenzen wollen. Das ist nicht unser Weg. Handyverbote finde ich ebenfalls schwierig. Wir versuchen, Kinder auf das digitale Zeitalter vorzubereiten, da kann ich nicht den Schülern im nächsten Moment sagen, dass diese Geräte generell schlecht sind. Aber wir gehen schon auch davon aus, dass das Handy ab Betreten des Schulgeländes in der Schultasche bleibt. Das hat auch etwas mit gegenseitigem Respekt zu tun.

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Staatliches Schulsystem unreformierbar? „Das ist Quatsch.“

Abendblatt: Sie zeichnen ein eher positives Bild vom staatlichen Schulsystem. Egon Boesten von der Leibniz-Schule sagt hingegen, dieses sei „unreformierbar“, nur die Gründung immer neuer Privatschulen könne positive Effekte für die Bildungslandschaft haben. Was entgegnen Sie ihm?

Vogel: Das ist Quatsch. Staatliche Schulen sind genauso veränderungsfähig wie private. Reformen hat es immer wieder gegeben, zum Beispiel nach dem Pisa-Schock Anfang der Nullerjahre. Auch beim Thema Digitalisierung hat sich an staatlichen Schulen sehr, sehr viel getan in den letzten Jahren.

Wie Kai Vogel die Konkurrenz der Privaten sieht

Abendblatt: Wie sehen Sie denn die Konkurrenz durch die Privatschulen? Entspannt? Belebt sie einfach ein bisschen das Geschäft?

Vogel: Konkurrenz belebt immer das Geschäft, auch zwischen staatlichen Schulen. Es ist schon sinnvoll, wenn sich Schulen ein bestimmtes Profil geben und um Schüler werben. Wir schauen auch immer wieder über den Tellerrand, hospitieren zum Beispiel an anderen Schulen, wenn die gerade einen bestimmten Preis gewonnen haben. Dieser Austausch nützt uns sehr. Dass Privatschulen die Angebotspalette erweitern, macht mir zumindest aktuell gar keine Sorgen. Die Gefahr, dass die uns das Wasser abgraben, dass Schülerinnen und Schüler massiv dorthin abwandern, sehe ich überhaupt nicht. Aber lernen von anderen kann man immer, Schule kann immer besser werden. Das ist unser Anspruch.