Norderstedt. Ministerin will Zahl der Amtsgerichte im Norden verringern. Warum die viertgrößte Stadt im Land eine eigene Rechtssprechung braucht.

Das Amtsgericht in Norderstedt muss bleiben. Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder bekennt sich mit viel Nachdruck zum Standort. Das klare Bekenntnis scheint nötig, plant Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) doch, die Zahl der derzeit 22 Amtsgerichte in Schleswig-Holstein einzudampfen. Pro Kreis soll es bald nur noch ein Amtsgericht geben – im Kreis Segeberg gibt es derzeit außer in Norderstedt auch ein Amtsgericht in Bad Segeberg.

Die OB nennt viele Gründe dafür, dass auch noch in zehn Jahren in Norderstedt Recht gesprochen wird. Und sie hat eine ganz persönliche Beziehung zu den Menschen, die dort arbeiten, und zum Gerichtsgebäude, das sie durch das Fenster ihres Arbeitszimmers im Rathaus sehen kann: Ihr Vater Peter Feldmann war mehr als 20 Jahre lang Direktor des Norderstedter Amtsgerichts.

Vater war Direktor: OB kämpft für Norderstedter Amtsgericht

„Wie viele Väter hat auch er abends von seiner Arbeit erzählt. Sein Beruf war ganz normaler Bestandteil unseres Familienlebens“, sagt Schmieder, die in Garstedt aufgewachsen ist und, 1968 geboren, noch nicht mitbekommen konnte, wie ihr Vater bundesweit Schlagzeilen machte: Er führte 1967 die „Schnellgerichtstage“ ein. Das Schnellgericht unter Vorsitz von Peter Feldmann verurteilte Geschwindigkeitssünder, die unmittelbar zuvor auf der B 432 von der motorisierten Verkehrsbereitschaft Neumünster erwischt worden waren. 

Erinnern kann sich die Verwaltungschefin aber noch an die Zeit, als Richter und Mitarbeitenden im Gebäude des heutigen Finanzamtes an der Europaallee hinter dem Herold-Center Urteile verhängten oder Insolvenzen bearbeiteten. „Norderstedt wuchs und damit auch die Aufgaben. Es war klar, dass die Kapazitäten an der Europaallee auf Dauer nicht ausreichen würden.“

Sauna im Amtsgericht Norderstedt? Schleswig-Holstein amüsierte sich

Heute hängen die Akten sauber und trocken im Schrank: Reinhard Wrege, Direktor des Amtsgerichtes Norderstedt, im Grundbuchamt.
Heute hängen die Akten sauber und trocken im Schrank: Reinhard Wrege, Direktor des Amtsgerichtes Norderstedt, im Grundbuchamt. © HA

1986 zog das juristische Personal in das jetzige Gebäude an der Rathausallee, nur wenige Schritte vom Rathaus entfernt. Drei Jahre später entfachten heftige politische Debatten im Kieler Landtag. Der Landesrechnungshof hatte nämlich herausgefunden, dass nicht nur Büro- und Sitzungszimmer eingebaut wurden, sondern auch eine Sauna, ein Fitnesskeller und ein Partyraum, angeblich ungenehmigt.

Das hat Peter Feldmann, der vor zwei Jahren gestorben ist, immer bestritten. Alles sei mit Genehmigung und unter Aufsicht des Landes eingebaut worden. Auf die Sauna mussten die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dann doch verzichten. Auf Weisung von Justizminister Klaus Klingner (SPD) wurde der Schwitzkasten wieder ausgebaut. Alles andere blieb, weil Innenminister Claussen (CDU) vor dem Regierungswechsel ja ausdrücklich empfohlen hatte, Fitnessräume in neue öffentliche Gebäude einzubauen. Die Gerichtssauna animierte Karikaturisten, Schleswig-Holstein amüsierte sich über das Amtsgericht in Norderstedt.

Jugendamt im Rathaus und Amtsgericht arbeiten eng zusammen

Davon hat Schmieder nichts mitbekommen. Sie schaut aber aus einem anderen Blickwinkel auf die Arbeit von Richtern, Richterinnen und Justizangestellten: „Als Sozialdezernentin habe ich erfahren, wie intensiv und harmonisch die Zusammenarbeit zwischen Rathaus und Gericht läuft“, sagt die 56-Jährige, die den Job als Dezernentin innehatte, bevor sie Anfang 2024 auf dem Chefsessel im Rathaus Platz nahm.

Ob es um Inobhutnahme von Jugendlichen, Vormundschaft, Scheidungen und die Folgen oder Jugendkriminalität geht – zwischen den Fachabteilungen im Rathaus, der Polizei und den zuständigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ist die Kooperation eng, hat sich ein gut funktionierendes Netz entwickelt. Dabei hilft, dass die Wege kurz sind. „Davon profitieren auch die Anwälte in Norderstedt, die teilweise mit dem Rad zum Gericht fahren oder die gute U-Bahnanbindung nutzen, um zu Prozessen in Hamburg zu kommen“, sagt Schmieder.

Norderstedt ohne Amtsgericht? „Undenkbar“, sagt die OB

Das Amtsgericht Norderstedt.
Das Amtsgericht Norderstedt muss bleiben, sagt die Oberbürgermeisterin. © Annabell Behrmann | Annabell Behrmann

Am Amtsgericht in Norderstedt gibt es, im Gegensatz zum Amtsgericht in Bad Segeberg, ein Insolvenzgericht. Ein Pluspunkt in einer wirtschaftlich starken Stadt. „Zudem ist das Amtsgericht ein wichtiges Element unserer Stadtgesellschaft“, sagt die Verwaltungschefin. Die Beschäftigten machten beispielsweise beim Stadtlauf mit oder engagierten sich in Kirchengemeinden. Es gebe Lesungen im Amtsgericht, freiwillige Initiativen wie den Kriminalpräventiven Rat und Arbeitsgemeinschaften zu Themen wie Trennung und Scheidung.

Norderstedt ist die viertgrößte Stadt im Norden, eine Stadt ohne Amtsgericht? „Undenkbar“, sagt Schmieder. In Kiel, Lübeck oder Flensburg stehe die Zahl der Amtsgerichte nicht zur Disposition. „Nur weil wir uns als Große kreisangehörige Stadt zum Kreis bekennen und nicht kreisfrei sein wollen, wird in Kiel offenbar die Zukunft unseres Amtsgerichtes infrage gestellt.“

Norderstedts Oberbürgermeisterin: „Wir wollen keine bösen Überraschungen“

Die Oberbürgermeisterin hat durchaus Verständnis für den sorgenvollen Blick, den die Justizministerin auf die Amtsgerichte wirft. Sanierung und Digitalisierung seien teuer, das Land habe kein Geld. „Wir stehen vor der gleichen Aufgabe, müssen beispielsweise Schulen modernisieren und neue bauen. Hier denkt aber niemand daran, deswegen vier Gymnasien auf zwei zu schrumpfen.“

Sollte das Land, das für das Gerichtsgebäude zuständig ist, bauliche Maßnahmen einleiten wollen, könnten die 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter zwölf Richterinnen und Richter, auf einen anderen Standort ausweichen. Die Stadt sei dabei, ein Gebäude zu kaufen, damit die Beschäftigten im Rathaus umziehen können, wenn das Verwaltungsgebäude saniert wird. Anschließend könnte es dem Team des Amtsgerichts zur Verfügung stehen.

In jedem Fall stünden sie und der Direktor des Norderstedter Amtsgerichts, Dr. Wolf Reinhard Wrege, in engem Kontakt mit dem Justizministerium. Im November stehe das nächste Gespräch über die Zukunft des Amtsgerichts an. „Wir wollen rechtzeitig Pflöcke einschlagen und keine bösen Überraschungen erleben“, sagt die Oberbürgermeisterin, die sich vorstellen kann, dass beide Amtsgerichte im Kreis Segeberg erhalten bleiben.