Norderstedt. Gericht an der Rathausallee muss bleiben, sagt dessen Direktor. Warum die viertgrößte Stadt im Land ein eigenes Amtsgericht braucht.
„Norderstedt ohne eigenes Amtsgericht? Einfach undenkbar!“ Das sagt der Mann, den die derzeitige Debatte um eine Justizreform in Schleswig-Holstein unmittelbar betrifft: Dr. Wolf Reinhard Wrege, seit 2008 Direktor des Amtsgerichts an der Rathausallee.
Wie berichtet, plant Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) im Rahmen einer Justizreform auch die Zahl der derzeit 22 Amtsgerichte im Land einzudampfen. Pro Kreis soll es in Schleswig-Holstein bald nur noch ein Amtsgericht geben, so ihr Plan – im Kreis Segeberg gibt es derzeit außer in Norderstedt auch ein Amtsgericht in Bad Segeberg.
Amtsgericht Norderstedt übernimmt zahlreiche freiwillige Aufgaben
Mit rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, darunter zwölf Richterinnen und Richter, ist das Norderstedter Gericht größer als das in Bad Segeberg, wo etwa 70 Männer und Frauen arbeiten (zehn Richter und Richterinnen).
Doch nicht allein die Größe spreche für den Erhalt des Norderstedter Amtsgerichts, betont Direktor Wrege: „Das Amtsgericht in Norderstedt erfüllt in der Stadt nicht nur seine Pflichtaufgaben, sondern übernimmt auch zahlreiche freiwillige Aufgaben“, sagt der 58-Jährige und nennt den Kriminalpräventiven Rat, Arbeitsgemeinschaften zu Themen wie Trennung und Scheidung sowie die Unterstützung unterschiedlicher Initiativen in der Stadt als Beispiele.
Wrege ist es wichtig zu betonen, dass es in Norderstedt eine „sehr wache Bürgergesellschaft“ gebe, und dieses gesellschaftliche Engagement werde auch am Amtsgericht gelebt. Dass diese Strukturen „kaputtgehen“, sei für ihn nicht vorstellbar.
Amtsgericht Norderstedt hat eine große Bedeutung für die Wirtschaft der Stadt
Hinzu komme die große wirtschaftliche Bedeutung Norderstedts als viertgrößte Stadt Schleswig-Holsteins. So gebe es am Amtsgericht in Norderstedt, im Gegensatz zum Amtsgericht in Segeberg, beispielsweise ein Insolvenzgericht: „Wir sind sehr wirtschaftskompatibel“, sagt Wrege, der gleichzeitig betont, dass er angesichts der desolaten Finanzsituation des Landes durchaus Verständnis für die Sparpläne des Justizministeriums habe.
„Natürlich sind wir gesprächsbereit“, sagt der Direktor und meint damit die anstehenden Sanierungsarbeiten, die unter anderem im Zusammenhang mit der Einführung der E-Akte am Norderstedter Amtsgericht geplant sind beziehungsweise bereits begonnen haben. Ohne konkrete Zahlen zu nennen, sagt Wrege, dass es sicherlich möglich sei, die „Planungen zu entschlacken“.
Am Amtsgericht Bad Segeberg wird zurzeit saniert
Kurzum: Wrege kann sich sehr gut vorstellen, dass es auch künftig zwei Amtsgerichte im Kreis Segeberg geben werde.
Wie berichtet, hatte bereits der Direktor des Segeberger Gerichts, Dr. Jörg Grotkopp, in einem Gespräch mit dem Abendblatt darauf hingewiesen, dass es aus seiner Sicht schlicht unmöglich sei, dass bei einer möglichen Auflösung des Norderstedter Amtsgerichts alle Verfahren in Bad Segeberg stattfinden werden – und umgekehrt sei es genauso.
Am Amtsgericht in Bad Segeberg investiert das Land gerade einen zweistelligen Millionenbetrag, um den Gerichtsbau auf den neusten Stand zu bringen. Bereits im kommenden Jahr sollen dort die Arbeiten abgeschlossen sein. Allein deswegen sei es, so Grotkopp, kaum vorstellbar, dass der Standort in der Kreisstadt aufgegeben werde.
Bundestagsabgeordneter Bengt Bergt (SPD) lehnt die Justizreform ab
Auf diesen Aspekt geht auch der Norderstedter Bundestagsabgeordnete Bengt Bergt (SPD) ein, der die Bemühungen, die Justizreform der Landesregierung zu stoppen, unterstützt. Er lehnt den CDU-Plan „Ein Kreis, ein Amtsgericht“ mit Nachdruck ab. „Es geht auch um die Beschäftigten. Es ist völlig unklar, welche Auswirkungen die Pläne in der Praxis haben: Können alle Fälle an einem gebündelten Standort bearbeitet werden? Können alle Beschäftigten dort ihre Arbeit weiterführen? Für mich ist klar: Wir sind angewiesen auf unsere Justiz-Beschäftigten. Mehr Arbeit, Tausende unbearbeitete Akten und weniger Personal – das passt nicht zusammen!“, betont der Sozialdemokrat.
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Bengt Bergt unterstützt eine aktuelle Petition, die sich dafür einsetzt, dass die Gerichte für alle Menschen im Land erreichbar bleiben. „Die Petition ist beim Landtag eingegangen. Ich unterstütze das Anliegen und freue mich, wenn es noch mehr Unterstützerinnen und Unterstützer erhält“, so der Abgeordnete, der im Bundestag Mitglied des Petitionsausschusses ist.