Norderstedt. Stadt Norderstedt will hier Flüchtlinge unterbringen. Die Diakonie Menschen mit Behinderung – was Kommunalpolitiker nun unterstützen.
Selten hat es in Norderstedt ein derartiges Dilemma gegeben, bei dem es so schwierig ist, eine für alle Seiten optimale Lösung zu finden. Seitdem Mitte September bekannt wurde, dass die Stadt eine leerstehende Büroimmobilie im Gewerbegebiet Nettelkrögen langfristig anmieten will, um dort im Bornbarch potenziell Hunderte Flüchtlinge unterzubringen, wird hierüber öffentlich diskutiert. Denn die Pläne durchkreuzen ausgerechnet die Interessen der Norderstedter Werkstätten und des Getränkeherstellers Magnus, also von zwei hoch angesehenen Akteuren.
Die Werkstätten gehören zur Norddeutschen Gesellschaft für Diakonie, sie leisten unverzichtbare Arbeit bei der Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Jobleben und im gesellschaftlichen Leben. Aber da es am bisherigen Standort in der Stormarnstraße eng geworden, der teils bereits 1958 errichtete Gebäudekomplex zudem in die Jahre gekommen ist, will man umziehen.
Und zwar in den Bornbarch, eben in jenes Gewerbeobjekt, das auch die Stadt gerne nutzen würde – wobei es im Falle der Werkstätten um einen Kauf geht. Würde dieser gelingen, wäre das alte Werkstätten-Grundstück an der Stormarnstraße frei, was wiederum dem dortigen Nachbarn Magnus Mineralbrunnen die dringend nötige Expansion des Firmengeländes ermöglichen würde.
Konflikt um Bornbarch-Gebäude in Norderstedt: Gegenwind für Stadt, Unterstützung für die Werkstätten
Im Hintergrund laufen derzeit Gespräche, auch Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder hat sich eingeschaltet. Ihr Spielraum ist aber begrenzt, denn letztlich müsste die Stadtpolitik das Vorhaben der Verwaltung wegen des hohes Investitionsvolumens absegnen. Doch ob die Fraktionen diesen Kurs mehrheitlich mittragen, darf zumindest bezweifelt werden.
Mehrere Parteien beziehungsweise Wählergemeinschaften haben zuletzt die Norderstedter Werkstätten besucht, um sich bei einer Führung durch Einrichtungsleiter Mathias Schneeloch und Diakonie-Geschäftsführerin Silke Kuleisa ein eigenes Bild zu machen, darunter die SPD, Wir in Norderstedt/Freie Wähler sowie die FDP.
Die WiN veröffentlichte im Anschluss ein Statement in sozialen Medien, sprach von einer „prekären baulichen Situation“, und nannte Beispiele: „Die Zugänge sind teilweise nicht barrierefrei, die Aufzüge alt und störungsanfällig, das Dach teilweise undicht, die Fenster thermisch nicht richtig isoliert und bei den immer häufiger auftretenden Starkregenereignissen dringt an mehreren Stellen Wasser in die Gebäude ein.“
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FDP-Fraktionschef Tobias Mährlein kam zu einem ähnlichen Schluss: „Der bauliche Zustand der Gebäude ist wirklich erschreckend.“ Für ihn mache der Umzug an den Bornbarch „wirklich Sinn“, dort würden die Standorte zusammengefasst, „die Werkstätten können ohne große Unterbrechung des Geschäftsbetriebes umziehen, es gibt ein gutes ÖPNV-Angebot, neue Angebote können geschaffen werden, und vor allem: Das Ganze ist auch finanzierbar!“
300 Flüchtlinge im Gewerbegebiet: FDP lehnt Pläne der Stadt ab
Aus Sicht der FDP wäre eine Sanierung genauso wie ein Neubau an der Stormarnstraße der falsche Ansatz. Auch, weil dann der Betrieb bei den Norderstedter Werkstätten stark beeinträchtigt wäre. Zudem steht die Partei einer Flüchtlingsunterkunft in Nettelkrögen sehr kritisch gegenüber.
Mährlein: „Es verschließt sich uns auch völlig, wie mit der Unterbringung von 300 Geflüchteten in einem Industriebau im Gewerbegebiet wirkliche Integration gelingen soll. Und die von uns jetzt gewünschte Lösung sichert die Zukunft für zwei wichtige alteingesessene Norderstedter Unternehmen, die beide seit Jahrzehnten verantwortungsvoll in unserer Stadt wirtschaften.“
Wann es eine Entscheidung geben wird, ist nicht bekannt. Zuletzt beriet die Politik über das komplexe Problem in nichtöffentlicher Sitzung, weil Vertragsangelegenheiten betroffen sind.