Norderstedt. Pläne in Norderstedt für Nutzung von Bürogebäude im Bornbarch stoßen in der Politik sowohl auf Zustimmung als auch auf starke Kritik.
Wohl selten stand Norderstedt vor einem derartigen Dilemma. In diesen Tagen müssen die Verwaltung und die Politik drei unterschiedliche Interessen abwägen. Und schon jetzt deutet sich an: Es wird schwer, eine Lösung zu finden, die alle Seiten zufrieden stellt. Die Stadt braucht dringend Wohnraum für Flüchtlinge, also wäre die leerstehende Gewerbeimmobilie am Bornbarch prädestiniert mit bis zu 300 Plätzen. Doch ebenso wollen die Norderstedter Werkstätten hier einen neuen Standort schaffen, und dafür ihr Grundstück an der Stormarnstraße verlassen – und das benötigt der Getränkehersteller Magnus dringend für seine Expansionspläne.
Im Sozialausschuss am Donnerstag (18.30 Uhr, Sitzungsraum 1, Rathaus) wird es darum gehen, ob die Parteien das Vorgehen der Stadt mittragen, oder ob sie den Flüchtlings-Deal der Stadtverwaltung sogar ausbremsen. Das Abendblatt hat mit den Fraktionsvorsitzenden gesprochen. Und diese sind geteilter Meinung über die Pläne.
Norderstedt: Große Debatte um Flüchtlinge im Gewerbegebiet Nettelkrögen – Ja oder nein?
„Die Norderstedter Werkstätten leisten wertvolle Arbeit für unsere Stadt und unsere Gesellschaft. Die Firma Magnus Mineralbrunnen ist ein wichtiges Wirtschaftsunternehmen, Arbeitgeber und Aushängeschild für Norderstedt. Die Zukunftssicherung beider Norderstedter Institutionen ist für uns wichtig“, sagt Gunnar Becker (CDU). Allgemein stehe man Wohnraum in Gewerbegebieten „skeptisch gegenüber“, er verweist auf Untersuchungen der IHK, wonach dies die Zahl der Firmen reduziere.
Die Infrastruktur im Gewerbegebiet ist aus seiner Sicht ungeeignet. „Es gibt keine Einkaufsmöglichkeiten für den täglichen Bedarf, auf den Straßen im Gebiet sind viele Lkw unterwegs. Querungshilfen für Fußgänger sind nur rudimentär vorhanden, Ampeln gar nicht, was für den fließenden Gewerbeverkehr auch richtig ist. Die gesamte Verkehrssicherheit ist auf Gewerbeverkehre ausgelegt.“ Zudem gebe es noch keinen Vorschlag der Verwaltung, „wie sich über 300 Menschen, die dort wohnen sollen, sowie die vielen Helferinnen und Helfer aus Sozialamt, Willkommen-Team usw. sicher und ohne Beeinträchtigung der Gewerbebetriebe bewegen können.“
CDU: Infrastruktur ist ungeeignet
Becker verrät: Schon vor den Sommerferien habe es die erste Information über die mögliche Anmietung am Bornbarch gegeben. Aber von dem Parallel-Interesse der Werkstätten erfuhr man erst vor wenigen Tagen. Das bestätigen auch andere Parteien. Mit Blick auf die veränderte Migrationspolitik auf Bundesebene stellt die CDU in Frage, ob es Sinn mache, die Immobilie langfristig zu mieten. Vielmehr sollte „es eine mit der Politik abgestimmte, zukunftsorientierte Planung geben, die das Thema Integration ganzheitlich betrachtet und die Wohnraumversorgung ergänzend berücksichtigt“.
Für die SPD äußert sich Nicolai Steinhau-Kühl ein wenig zurückhaltender. Der Vorschlag, Geflüchtete am Bornbarch unterzubringen, sei „nicht die optimalste, aber in dem Moment die beste Lösung, um unserer Pflicht zur Aufnahme von Geflüchteten in menschenwürdiger Weise nachzukommen“. Er meint, es sei „bisher kaum vorsehbar“, wie die sich die aktuellen bundespolitischen Entwicklungen auf die Kommunen auswirken könnten.
SPD: „Nicht die optimalste, aber im Moment die beste Lösung“
„Wir schätzen die Situation so ein, dass wir uns auch in Zukunft dieser Aufgabe werden stellen müssen. Aber wie viele Menschen zu uns flüchten werden, hängt vor Allem von der Situation in den Ländern ab, aus denen die Menschen flüchten.“ Geänderte Gesetze würden die Anzahl „aber sicher nicht komplett auf Null setzen“. In Norderstedt sollten nun Stadt, Magnus und Werkstätten „zu einer konstruktiven Lösung kommen, mit der alle Seiten einverstanden sind“, fordert er.
Die Grünen stützen den Kurs der Stadt. Fraktionschefin Ingrid Betzner-Lunding sieht mehrere Vorteile. Durch eine Nutzung am Bornbarch könne die „derzeit prekäre Unterbringung in Fadens Tannen und in den angemieteten Hotels“ beendet werden, das werde seit längerer Zeit gefordert. „Den Standort Fadens Tannen benötigt die Stadt Norderstedt, um dort eine Ausweichschule zu errichten, die aufgrund der dringend notwendigen Sanierung unserer Schulen notwendig ist, wie gerade auch das Beispiel der WBS zeigt.“
Grüne: „Auch eine spätere Nutzung als Azubiwohnheim wäre möglich“
Im Gewerbegebiet könnten Integrationsmaßnahmen vor Ort angeboten werden, in der Nähe seien mögliche Arbeitsplätze. Die Bundespolitik spiele keine Rolle. „Es geht um die Unterbringung der Menschen, die schon in Norderstedt sind. Selbst wenn perspektivisch die Zahl der Geflüchteten abnehmen sollte, kann das Gebäude gut genutzt werden, um andere Zielgruppen unterzubringen, wie zum Beispiel Wohnungslose. Auch eine spätere Nutzung als Azubiwohnheim wäre möglich.“
Während Betzner-Lunding sagt, dass Stadt und Entwicklungsgesellschaft die Norderstedter Werkstätten aktiv unterstützen werden bei der Standortsuche, fügt sie in Richtung Magnus an: Der Firma wurde schon 2020 durch eine Änderung des Bebauungsplans „die Möglichkeit gegeben, den Betrieb erheblich zu erweitern. Bislang wurde diese Chance jedoch nicht genutzt“.
FDP: Wichtiger, dass Norderstedter Werkstätten an dem Standort unterkommen
Für Tobias Mährlein (FDP) sei es wichtiger, „dass die Werkstätten an dem Standort unterkommen“. Denn die Stadt plane auch anderen Stellen Flüchtlingsunterkünfte, etwa am Henstedter Weg. Die FDP habe sich „von Anfang an gefragt, ob Bornbarch der geeignete Platz für die Integration ist. 300 Flüchtlinge auf einem Fleck ist nicht leicht“.
Reimer Rathje (Wir in Norderstedt/Freie Wähler) betont: „Flüchtlinge aufzunehmen, ist weiterhin eine Verpflichtung der Stadt.“ Aber es sei „keine gute Situation“, dass Magnus als wichtiges Unternehmen und die Werkstätten als Sozialpartner „gegen Flüchtlinge konkurrieren müssen“.
WiN: „Es sind noch zu viele Fragen offen“
Er sagt, es gebe auch weitere Standorte für Flüchtlingsunterkünfte, „auch wenn sie nicht sehr zahlreich sind“. Aus seiner Sicht geht es um eine „weitreichende Entscheidung“, die nicht unter Zeitdruck getroffen werden dürfe. „Es sind für uns noch zu viele Fragen offen, so dass wir zu diesem Zeitpunkt weitere Verhandlungen nicht unterstützen möchten.“
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Erwartungsgemäß ablehnend ist die Haltung der AfD. Sven Wendorf befürchtet einen „Domino-Effekt“ für Norderstedter Unternehmen. „Gerade in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten sollte die Stadt Arbeitgeber weitestgehend unterstützen und ihnen nicht durch eigene Pläne das Leben erschweren.“
AfD befürchtet Domino-Effekt für Unternehmen in Norderstedt
Auch er sagt, dass eine langfristige Anmietung angesichts der seitens der Bundesregierung „versprochenen Maßnahmen zu einer nachhaltigen drastischen Verringerung der Flüchtlingsströme“ nicht angemessen sei.
Durch Kontrolle und Begrenzung könne der Druck reduziert werden, „auch können konsequente Abschiebungen enorme Kapazitäten freisetzen, da bedarf es gegebenenfalls keiner weiteren Baumaßnahmen. Erst dann kann beurteilt werden, ob und wie viel Steuergelder für Unterkünfte in Norderstedt überhaupt noch benötigt werden“.