Norderstedt/Pinneberg. Verband kritisiert Gebührenordnung für Tierärzte. Sie haben großen Ermessensspielraum. Besitzer können hohe Preise nicht mehr zahlen.

„Es ist ein politischer Skandal, wie mit den Tierhaltern umgegangen wird.“ So kommentiert Sabine Reimers-Mortensen die neue Gebührenordnung für Tierärzte (GOT). Sie ist Vorsitzende der Vereinigung Deutscher Tierhalter (VDTH) und kämpft seit mehr als zwei Jahren gegen das Gebührenwerk. Die Gebühren seien zum Teil derart explodiert, dass Tierhalter sie kaum bezahlen könnten.

Zugleich betont die Lutzhornerin: „Dass die Preise für Untersuchung und Behandlung gestiegen sind, ist grundsätzlich richtig.“ Die Gebühren seien zuletzt in größerem Rahmen 1999 erhöht worden. Seitdem müssten die Veterinäre steigende Kosten für Personal und den Unterhalt der Praxen verkraften. Neue und anspruchsvolle Untersuchungsmethoden und Behandlungstechniken, die in der GOT von 1999 teilweise nicht berücksichtigt waren, seien hinzugekommen.

Tierarztkosten explodieren – Behandlung um bis zu 300 Prozent teurer

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Sabine Mortensen-Reimers, hier mit Zwergschnauzer Dolly, kritisiert die Gebührenordnung für Tierärzte: „Viele Tierhalter können die Preise nicht mehr bezahlen.“ © Michael Schick | Michael Schick

„Ein Anstieg von durchschnittlich gut 20 Prozent wäre gerechtfertigt“, sagt Reimers-Mortensen. Doch was da seit November 2022 in Kraft ist, sprenge diese Vorgabe gewaltig. Die allgemeine Untersuchung mit Beratung für Hunde kostet jetzt 23,62 Euro – 10,15 Euro oder 75 Prozent mehr als vorher. Die gleiche Leistung für Katzen schlägt jetzt auch mit 23,62 Euro zu Buche, vorher waren es 8,98 Euro, eine Steigerung um 163 Prozentpunkte. 11,50 Euro fallen an, wenn Hund oder Katze geimpft werden sollen, 7,01 Euro oder 156 Prozentpunkte mehr als nach der alten GOT. „Die Bundestierärztekammer selbst hat Beispielrechnungen für typische Behandlungsfälle wie die Zahnbehandlung eines Kaninchens erarbeitet, die Kostensteigerungen zwischen 50 und 300 Prozent ausweisen“, sagt Reimers-Mortensen.

„Wir bekommen sehr viele Rechnungen von verzweifelten Tierhaltern“, berichtet sie und nennt ein Extrembeispiel. So habe eine Hündin mit einem Riss der Gebärmutter fünf Tage in einer Tierklinik verbracht und musste dann doch eingeschläfert werden. Die Kosten: 10.500 Euro. „Wer kann solche Summen noch bezahlen?“, fragt Reimers-Mortensen.

Tierarztkosten: Versicherungen erhöhen Beiträge

Zwar könne eine Tierversicherung die Ausgaben für den Tierarzt deutlich dämpfen, aber: „Ältere oder vorerkrankte Tiere lassen sich nicht mehr oder nur sehr teuer versichern.“ Und: Die GOT hat dazu geführt, dass die Versicherungen ihre Beiträge angehoben haben. „Seitdem die neue GOT gilt, haben rund 80 Prozent der Anbieter Ihre Prämien für eine Tierkrankenversicherung erhöht, und zwar zwischen fünf und 60 Prozent“, sagt Claes Christiansen, Geschäftsführer des Vergleichsportals Check 24.

Doch nicht nur die Gebührenhöhe sei teilweise ungerechtfertigt. Die GOT verschaffe den Tierärzten einen enormen Ermessensspielraum. Sie könnten den einfachen, aber auch den zwei- oder dreifachen Gebührensatz berechnen. Und das, im Unterschied zur Humanmedizin, ganz ohne Begründung. Wer Zweifel an der Rechnung hat, müsse selbst in die GOT schauen und beurteilen, ob der erhöhte Aufwand gerechtfertigt ist.

Tierarztgebühren: Wer Klarheit haben will, muss vor Gericht ziehen

Die Pferdehalterin, die das Gestüt Grenzhöhe in Lutzhorn betreibt, hat einzelne Rechnungen einer Tierklinik geprüft und um eine auf den Einzelfall bezogene Begründung gebeten, aber von den Kliniken nicht erhalten. Die Erfahrung habe gezeigt, dass die Kliniken lieber auf Gebühren verzichten als einen Rechtsstreit zu riskieren. „Bei der GOT fehlt es an jeglicher Transparenz, die Tierhalter und ihre Versicherungen können die Rechnungsbeträge und Leistungen nicht nachvollziehen“, sagt die Vorsitzende der VDTH.

Schließlich kritisiert die Vereinigung das Verfahren, mit dem die Gebührenordnung zustande gekommen ist. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat 2020 ein externes Unternehmen damit beauftragt, angemessene Gebührensätze für die Tierärzte zu ermitteln. Um die Arbeitszeit pro Leistung festzustellen, hat die AFC Public Services bundesweit Tierärzte befragt und die Aussagen ergänzt durch Angaben wie Praxiskosten und Umsatz.

Gebührenordnung basiert auf Angaben der Tierärzte

„Die Kalkulation der Gebühren basiert fast ausschließlich auf den gefühlten Angaben der Tierärzte. Die tatsächliche Behandlungszeit wurde nicht objektiv validiert, also von externen Experten in den Praxen nicht gemessen“, sagt Sabine Reimers-Mortensen. Schon dieses Vorgehen sei mehr als fragwürdig und keineswegs, wie vom zuständigen Ministerium behauptet, eine wissenschaftliche Grundlage. Zudem habe der Gesetzgeber im Verfahren auf den verpflichtenden Interessenausgleich zwischen Tierärzten und Tierhaltern verzichtet.

Im Rahmen des Anhörungsverfahrens sei die Deutsche Reiterliche Vereinigung als Interessenvertretung der Pferdehalter nicht um eine Stellungnahme gebeten worden. Der Bundesverband Verbraucherzentralen als Interessenvertretung für die Haus- und Heimtierhalter habe sich nicht geäußert, weil er sich nicht mit Veterinärmedizin beschäftige. Die kritische Stellungnahme des Bauernverbands habe zu keiner Anpassung der Gebührensätze geführt.

GOT muss schnellstmöglich überprüft werden

Damit hätten sich die Veterinäre nicht nur ein „komfortables finanzielles Sicherheitsnetz“ verschafft. Die großen Spielräume der GOT würden große Klinikketten anlocken. Sie fühlten sich nicht mehr wie freiberuflich praktizierende Tierärzte dem Gemeinwohl verpflichtet, sondern sähen die Chance, schnell Gewinn und Unternehmenswert zu steigern.

Die VDTH fordert: Die Gebührenordnung muss schnellstmöglich überprüft werden und nicht, wie vorgesehen, erst 2026. „Und es stellt sich die Frage, ob wir sie überhaupt noch brauchen“, so Sabine Reimers-Mortensen und verweist auf europäische Nachbarn wie die Niederlande, wo Tierärzte in freiem Wettbewerb untereinander stünden und die Kosten deutlich unter denen in Deutschland lägen.

Bundestierärztekammer rechtfertigt neue Tierarztgebühren

Auf die Bitte um eine Stellungnahme verweist die Tierärztekammer Schleswig-Holstein auf ein Informationsblatt der Bundestierärztekammer, das auf die Kritik der VDTH und die zum Teil drastisch gestiegenen Gebühren nicht eingeht. Die Gebührenordnung sei erstmals seit 1999 umfassend geändert worden, um zu gewährleisten, dass sich neuere medizinische Verfahren darin finden.

Grundlage sei die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2020 in Auftrag gegebene und von der VDTH kritisierte Studie, die wissenschaftlich fundiert kostendeckende Gebühren für die tierärztlichen Leistungen ermittelt habe. „Sollte Ihnen der Preis als nicht angemessen vorkommen, bitte ich Sie zu bedenken, dass die Höhe der aktuellen Anpassung noch nicht einmal dem Inflationsausgleich entspricht und dementsprechend äußerst maßvoll ist“, heißt es in der Mitteilung.

Tierarzt: Kosten explodieren – Behandlung um bis zu 300 Prozent teurer

Die Praxiskosten, die bis zu 75 Prozent des Umsatzes betragen, seien in weit höherem Maße gestiegen als die Inflationsrate. Die Kosten für medizinische Geräte, Personal, Versicherungen, Entsorgung und Energie seien gestiegen. Die beratende Rolle von Tierarzt und Tierärztin sei immer anspruchsvoller geworden und müsse entsprechend honoriert werden.

.„Die gesetzliche Gebührenordnung sorgt für Transparenz und schützt den Tierhalter/die Tierhalterin vor Übervorteilung“, heißt es weiter – auch hier kein Wort zur Kritik, wonach es gerade an der Transparenz fehle. Eine angemessene gesetzliche Vergütung stelle sicher, dass Tierärzte und -ärztinnen dem Qualitätsanspruch der Tierhalter und -innen zum Beispiel durch Fortbildung und Investitionen nachkommen können und sichere die angemessene Bezahlung des Fachpersonals, teilt die Bundesärztekammer mit.