Norderstedt. 52 Therapieplätze, 45 Mitarbeiter: In der Tagesklinik bekommen Menschen mit psychischen Problemen Hilfe. Was den Ort besonders macht.
Burn-out, Depressionen, Angststörungen: Die wenigsten Menschen setzen sich mit diesen Themen auseinander, bevor es sie selbst oder eine Person im nahen Umfeld trifft. Wenn das aber passiert, sind viele überfordert damit, möglichst schnell die passende Hilfe zu finden. Denn es gibt viele unterschiedliche Therapieansätze, zudem sind die Wartezeiten bei niedergelassenen Therapeuten oft sehr lang.
In Norderstedt aber gibt es eine Institution, in der viele Ärzte mit unterschiedlichen Schwerpunkten zusammenarbeiten – und die Menschen in Not vergleichsweise schnell aufnehmen kann. Das ist die Tagesklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Einblicke in ein Krankenhaus, das eine sehr wichtige Aufgabe erfüllt – und von dessen Existenz manche Norderstedter gar nichts wissen.
Depressionen: Wie die Tagesklinik Norderstedt Menschen aus der Krise hilft
„Zu uns kommen Patienten, bei denen eine ambulante Therapie nicht mehr ausreicht, aber bei denen ein vollstationärer Aufenthalt noch nicht nötig ist“, sagt Chefarzt Clemens Heise, der die Klinik seit ihrer Eröffnung im Jahr 2015 leitet. Damals begann man mit fünf Mitarbeitern in dem hellen, modernen Haus am Stadtrand. Heute sind es 45 Mitarbeiter, darunter psychologische Psychotherapeuten, Sport- und Kunsttherapeuten, Ergotherapeuten, Psychiater, Sozialpädagogen, Ärzte und Krankenpfleger.
Die Tagesklinik ist untergliedert in einen Bereich für Erwachsene mit 36 Plätzen und einen für Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 18 bis 25 Jahren, hier gibt es 16 Plätze. Außerdem gibt es eine Psychiatrische Institutsambulanz. Hier werden Personen betreut, die nach einem Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik noch etwas Unterstützung brauchen. „Manche Patienten kommen dreimal die Woche, andere nur einmal im Monat“, sagt Oberarzt Dr. Benedict Skalski.
„Manche Patienten über 50 haben Angst, im Job aussortiert zu werden“
Träger der Tagesklinik ist der Landesverein für Innere Mission in Schleswig-Holstein, eine Institution der evangelischen Kirche, die zahlreiche Unterstützungs-Einrichtungen in der Region betreibt, unter anderem auch das Psychiatrische Krankenhaus in Rickling. Die Tagesklinik hat dabei einen Versorgungsauftrag für Norderstedt und das Umland, deshalb kommen auch die meisten Patienten aus dem Stadtgebiet, wie Clemens Heise sagt.
Auf die Frage, mit welchen Problemen die meisten Patienten kämen, sagt er: „In 95 Prozent der Fälle sind es Depressionen.“ Diese würden sehr oft durch „akute Belastungssituationen“ ausgelöst, etwa am Arbeitsplatz. „Da geht es zum Beispiel um Mobbing. Und viele Patienten über 50 haben das Gefühl, im Job nicht mehr Schritt halten zu können, sie haben Angst, aussortiert zu werden.“ Aber auch private Extremsituationen führen Menschen in die Tagesklinik, wie „Trennung, Tod eines Ehepartners, Tod eines Kindes.“
Viele junge Menschen haben Ängste und „versacken vor dem PC“
Auch „Erziehungsschwierigkeiten“ seien nicht selten. „Etwa dann, wenn der Sohn plötzlich vor dem Abi die Schule abbricht und nur noch in seinem Zimmer sitzt und Computer spielt.“ Dahinter stehen wiederum oft Probleme bei den Jugendlichen, die dann auch in der Tagesklinik für junge Erwachsene beobachtet werden: „Das große Thema ist Überforderung. Viele junge Leute können sich heute überhaupt nicht entscheiden, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen, entwickeln große Ängste. Es gibt immer mehr junge Menschen, die nicht ins Leben kommen, kaum Kontakte pflegen, stattdessen vor dem PC versacken“, sagt Heise.
Eng damit verknüpft: „Bei vielen Jugendlichen heutzutage funktioniert die natürliche Ablösung vom Elternhaus nicht“, sagt er. Während es Jugendliche in früheren Generationen nicht abwarten konnten, von zu Hause auszuziehen, lebten viele heute noch mit 21 bei Mama und Papa. Aber das sei eben Teil einer allgemeinen Antriebslosigkeit und Entscheidungsschwäche, die in einer Depression münden könnten.
Chefarzt: „Jede Form von Sport wirkt antidepressiv“
In der Tagesklinik werden die Probleme angegangen, auf verschiedenen Ebenen. Die Basis ist das therapeutische Konzept. „Wir kombinieren tiefenpsychologische und verhaltenstherapeutische Ansätze miteinander“, sagt Heise. Und erklärt die Grundzüge: „In der Tiefenpsychologie wird nach den Ursachen einer Angst geforscht, oft in der Kindheit. Bei der Verhaltenstherapie wird ganz pragmatisch versucht, die Angst zu löschen.“ Das passiere durch konkrete Übungen wie der Expositionstherapie, in der etwa eine Person, die Angst hat, U-Bahn zu fahren, genau das – mit therapeutischer Begleitung – tun muss.
Ein weiteres wichtiges Element ist die Bewegung. „Jede Form von Sport wirkt antidepressiv“, stellt Heise klar. Also machen die Patienten mehrmals in der Woche Sport, etwa Nordic Walking oder Fahrradtouren. Bei der Ergotherapie wird handwerklich gearbeitet, zum Beispiel mit Materialien wie Speckstein und Filz. Es geht unter anderem darum, sich auf etwas zu konzentrieren, andere Patienten sollen lernen, einen ungesunden Perfektionismus abzulegen.
Kunsttherapie: Manchmal ist es einfacher, sich in einem Bild auszudrücken
Ein weiteres Angebot ist Kunsttherapie. Die Therapeutin Ulrike Martini erklärt: „Manchmal ist es für einen Menschen in der Krise einfacher, sich in einem Bild auszudrücken, als mit Worten. Über das Gestalten wird etwas sichbar. In solchen Bildern suche ich dann nach Brüchen in der Erzählung, die für uns wichtige Anhaltspunkte sind.“ Manchmal wird in der Tagesklinik aber auch ganz einfach mit den Patienten Brot gebacken. „Das ist ein gemeinschaftliches Erlebnis, bei dem auch Achtsamkeit trainiert werden kann“, sagt Sarah Weiser, Sprecherin des Landesvereins.
Der Aufenthalt in der Tagesklinik dauert in der Regel sechs Wochen. Und in denen gibt es dann ein „recht straffes Programm“, wie Clemens Heise sagt. Ein Tag beginnt um 8.15 Uhr mit der Morgenrunde. Dann geht es in Gruppen mit acht bis zehn Patienten, denn „oft ist es ein gutes Gefühl, wenn man sich unter Gleichen austauscht“, wie Sarah Weiser sagt. Dann geht es zu den speziellen Therapieangeboten und in die Einzelgespräche, denn jeder Patient hat einen „Bezugstherapeuten“. Um 15.30 Uhr endet das Tagesprogramm. Die Patienten schlafen zu Hause, in ihrem gewohnten Umfeld – ein wichtiger Baustein dieses Therapiekonzeptes.
Wie man in der Klinik einen Platz bekommt
Bleibt die Frage, wie man aufgenommen werden kann. Das ist einfacher als gedacht: „Man kann einfach bei uns klingeln“, sagt Clemens Heise. Danach finde ein Aufnahmegespräch statt. Wird ein Therapiebedarf festgestellt, geht der Patient zu seinem Hausarzt und holt sich dort eine Überweisung. Die Behandlung übernimmt auch die gesetzliche Krankenkasse. Die Wartezeit ist deutlich kürzer als bei niedergelassenen Psychotherapeuten: Patienten warten bei der Tagesklinik „zwei, maximal drei Monate“, sagt Clemens Heise.
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Eine Patientengruppe kann die Klinik nicht aufnehmen. Wer suizidgefährdet ist, müsse zunächst in eine geschlossene Einrichtung, sagt der Chefarzt. Ansonsten sei man „großzügig“ bei der Aufnahme. Zwar gelte prinzipiell das Kriterium, dass das Leiden eines Patienten zu gravierend sein müsse, um ambulant behandelt zu werden. Aber Heise sagt auch: „Wer behandlungsbedürftig ist und Therapiemotivation hat, der wird auch aufgenommen.“
Tagesklinik Norderstedt für Psychiatrie und Psychotherapie und für junge Menschen sowie Psychiatrische Institutsambulanz, Beim Umspannwerk 6-8, Norderstedt. Kontakt: 040/357 71 94 00, weitere Infos auf der Webseite der Tagesklinik.