Bad Segeberg/Norderstedt. Norderstedter spielt mit Stars am Kalkberg: Manchmal fühlt er sich wie ein Rockstar. Und am Saisonende heult er wie ein Schlosshund.
Die schönsten Geschichten schreibt bekanntlich immer noch das Leben – oder Karl May. Das gilt zumindest für den langjährigen Norderstedter Zeitungsredakteur und Redaktionsleiter vom Heimatspiegel (2010–2019), Bert Langbehn (58). Der gebürtige Segeberger lebt jetzt seinen Kindheitstraum und ist Komparse bei den Karl-May-Spielen im Freilichttheater am Kalkberg in Bad Segeberg.
Schon 2023 war er in „Winnetou I“ dabei, als Eisenbahnarbeiter. Dieses Jahr, in „Winnetou II – Ribanna und Old Firehand“, spielt er an der Seite von Alexander Klaws (Winnetou), Jan Hartmann (Old Firehand), Sila Sahin (Ribanna), Dustin Semmelrogge (William Fayette) und Nick Wilder (Emery Forster) einen Öl-Arbeiter. 72 Vorstellungen inmitten des Wilden Westens von Bad Segeberg.
Komparse bei Karl-May-Spielen: Viel Zeit ist nötig
„Ich bin mit den Karl-May-Spielen aufgewachsen. Solange ich denken kann, war ich als Zuschauer schon dabei und wollte immer mal mitspielen“, sagt Bert Langbehn. „Als Schüler war ich aber nicht bereit, meine ganzen Sommerferien dafür zu opfern. Jetzt bin ich als Chefredakteur vom Rudersport Magazin, dem Fachmagazin vom Deutschen Ruderverband, seit drei Jahren selbstständig und kann mir meine Arbeitszeiten einteilen.“
Das Leben als Komparse ist zeitaufwendig. Es beginnt jedes Jahr mit vierwöchigen Proben im Mai, dann folgen bis zum 8. September 72 Vorstellungen. Donnerstags, freitags und sonnabends jeweils zwei Aufführungen, um 15 Uhr und um 20 Uhr. Sonntags noch eine um 15 Uhr.
Zwei Stunden dauert das Stück jeweils. Spätestens eine Stunde vor Spielbeginn ist Bert Langbehn meist am Kalkberg. In den Pausen zwischen zwei Vorstellungen legt er sich auch schon mal zum Ausruhen auf die Sitzbänke im Publikum. Nach Feierabend gegen 22.30 Uhr geht es dann zurück nach Hause an den Norderstedter Stadtrand.
Karl-May-Spiele: „Aufpassen, nicht über den Haufen geritten zu werden“
In acht von 21 Spielszenen, den sogenannten Bildern, ist Langbehn bei „Winnetou II“ im Einsatz. Als Öl-Arbeiter trägt er eine typische Kluft. Dazu noch ein schmutzig geschminktes Gesicht. In einer Szene fungiert er als Sargträger. In einer anderen spielt er neben Nick Wilder und Dustin Semmelrogge die Geige. Immer wieder kümmert er sich auch um den Anstrich des Öl-Turms, hat mal ein paar Western-Ladys im Arm und muss auch mal die Pistole zücken und in einer Kampfszene seinen Mann stehen.
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Die bis zu 7700 Besucher, die pro Vorstellung in die Arena am Kalkberg kommen und auch ihm zuschauen, nimmt Langbehn kaum wahr: „Das hat gar nichts mit mir gemacht. Man ist so in seiner Rolle drin und muss darauf achten, wann man wohin läuft“, sagt Langbehn. Es passiere einfach so viel. Schüsse, Explosionen, Pferde, Kutschen. „Gerade in einer Kampfszene, die von A bis Z durchchoreografiert ist, muss man aufpassen, dass man nicht über den Haufen geritten wird. Aber da unten auf der Bühne zu stehen, ist schon ein gutes Gefühl. Gerade in der Abendvorstellung, wenn das Licht an ist und das Volk tobt, denkt man, dass es so wohl auch bei einem Rockkonzert sein muss“.
Komparse bei Karl-May-Spielen: Bewerbung im Februar
Wer auch mal ein Rockstar im Wilden Westen sein will, kann sich immer ab Februar oder März bewerben. Online steht bei den Karl-May-Spielen dann ein Komparsen-Formular abrufbereit. „Wir suchen immer Komparsen aller Altersgruppen. Männlich und weiblich. Es können auch mal welche mit Vollbart sein. Da weiß man dann wenigstens, dass sie keine Indianer spielen, sondern vielleicht im Eisenbahnerlager eingesetzt werden“, sagt Michael Stamp, der seit 25 Jahren auch als Autor zum Kalkberg-Team gehört und das Buch für „Winnetou II“ geschrieben hat.
Regisseur Nicolas König und Produktions- und Spielleiter Stefan Tietgen suchen die Komparsen dann in Vorstellungsgesprächen aus. Wer angenommen wird, erhält für die vier Monate Spielzeit einen Vertrag, bezahlt wird der Mindestlohn, als 12,41 Euro die Stunde.
„Wir haben in diesem Jahr 35 Fuß-Komparsen gesucht. Also Komparsen, die nicht reiten. Darauf haben wir zwischen 150 und 180 Bewerbungen erhalten. Dazu kommen nochmal zwölf Reiterkomparsen. Für diese Jobs gab es um die 200 Bewerbungen“, sagt Stamp. „Es ist ein Vorteil, wenn man schon einmal in einer Laienspielgruppe mitgewirkt hat oder wenn Tanzen und Kampfsport zu den Hobbys zählen. Das sind aber keine zwingenden Kriterien. Man sollte auf alle Fälle jedoch sportlich sein, weil das, was wir hier machen, nicht von schlechten Eltern ist.“
Karl-May-Spielen: Der Abschied schmerzt
Bert Langbehn kann das bestätigen. „Letztes Jahr habe ich in dieser Zeit sechs Kilo abgenommen. Jetzt sind es auch schon wieder drei.“ Der Großteil der Spielzeit ist nun vorbei. Am Sonntag, 8. September, fällt der Vorhang für die Abschiedsvorstellung. Einen Moment, den Langbehn nur zu gut noch aus dem Vorjahr kennt: „Im letzten Jahr habe ich da wie ein Schlosshund geheult. Auch die Woche danach noch. Da sind so viele Erlebnisse, Erfahrungen und Gefühle in dir drin. Das kannst du aber nur mit Leuten verarbeiten und teilen, die auch dabei gewesen sind. Das ist wie eine Parallelwelt.“ Und die würde er gerne auch 2025 wieder erleben. Dann steht das Stück „Halbblut“ auf dem Spielplan an dem Michael Stamp fleißig schreibt.
Von seiner Frau Myriam hat Langbehn das Okay für eine dritte Saison am Kalkberg erhalten. Wenn es beruflich passt und ihn die Macher des neuen Stückes erneut auswählen, wäre Langbehn bereit: „Für mich ist das Komparsen-Dasein wie Yoga: Ich kann den ganzen Arbeitsstress vergessen und habe nur noch Spaß“.