Flensburg. Klimaaktivistin erwartet Prozess vor Landgericht. Gleiche Einstufung wie Rechtsextreme? Warum Oberstaatsanwalt zuversichtlich ist.

  • Frühere Buddhismus-Studentin aus dem Kreis Segeberg ist Gesicht des radikalen Klimaschutzesder Letzten Generation
  • Staatsanwaltschaft in Flensburg will wegweisendes Urteil erreichen
  • Letzte Generation droht gleiche Einstufung wie Neonazi-Gruppierungen

Wie auch immer man zur Letzten Generation und ihren Aktionen steht: Die kompromisslose Konsequenz, mit der die 32-jährige Miriam Meyer aus Nehms im Kreis Segeberg als Aktivistin daran arbeitet, die Menschen inmitten eines sich zuspitzenden Klimawandels aufzurütteln, kann ihr niemand absprechen.

Ihr altes Leben als Studentin des Tibetischen Buddhismus ließ sie vor drei Jahren hinter sich und sie sieht sich nun als hauptberufliche Klimaaktivistin, klebt sich auf Straßen fest, dreht Ölpipelines zu, besprüht Privatjets auf Sylt, beschmiert Luxus-Shops und Bundesministerien oder gräbt das Grün auf Golfplätzen um.

Letzte Generation: Klimaaktivistin Miriam Meyer droht Anklage in Flensburg

Doch zurzeit kann sich Meyer weniger den Aktionen der Letzten Generation widmen, weil eine Anklageschrift nach der anderen ins Haus flattert und – ob sie will oder nicht – ihre Aufmerksamkeit fordert. Vor dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin schickte sie ein Richter unlängst mit einem Paukenschlag-Urteil für zehn Klima-Aktionen 16 Monate in Haft – ohne Bewährung. Zwar läuft die Revision und eine Haftstrafe hält selbst die Staatsanwaltschaft in der nächsten Instanz für unwahrscheinlich. Doch ausgestanden ist die Sache eben noch nicht.

Klimaaktivistin Miriam Meyer (32) aus dem Kreis Segeberg mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Flensburg. 
Klimaaktivistin Miriam Meyer (32) aus dem Kreis Segeberg mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Flensburg.  © Letzte Generation | Letzte Generation

Und am juristischen Horizont baut sich schon längst ein weitaus größeres Rechts-Gewitter auf. Denn die Staatsanwaltschaft in Flensburg will im Fall der Angeklagten Miriam Meyer das versuchen, was bislang anderen Staatsanwaltschaften in Deutschland mit anderen Aktivisten nicht gelang. Flensburg will den Paragraf 129 des Strafgesetzbuches anwenden und nachweisen, dass Meyer Teil einer kriminellen Vereinigung ist, quasi als einer der Köpfe der Letzten Generation nicht nur Straftaten verübt, sondern diese auch organisiert und professionell vorbereitet hat, zudem gezielt Menschen dafür anwarb.

Ist die Letzte Generation eine kriminelle Vereinigung?

Im Mai 2022 soll Miriam Meyer eine Rohöl-Pipeline in Woldegk (Mecklenburg-Vorpommern) manipuliert haben.
Im Mai 2022 soll Miriam Meyer eine Rohöl-Pipeline in Woldegk (Mecklenburg-Vorpommern) manipuliert haben. © Jonas Gehring | Jonas Gehring

In Flensburg und an der Person Miriam Meyer soll also verhandelt werden, ob sie und die Letzte Generation in einem Club sind mit kriminellen Vereinigungen wie der neonazistischen Kameradschaft Sturm 34, den Hooligans Elbflorenz oder der Freien Kameradschaft Dresden (allesamt höchstrichterlich nach § 129 verurteilt).

Käme es zu einer Verurteilung, würde Meyer nicht nur ein Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Haft drohen. Der Paragraf 129 ist auch so etwas wie die Bazooka im Arsenal des Rechtsstaates bei der Strafverfolgung. Die Letzte Generation und ihre Mitglieder müssten ab dann damit rechnen, dass Ermittler ihre Telefone abhören, ihre Briefe öffnen, ihre Räume verwanzen, ihre Mails anzapfen, sie observieren und V-Leute in ihre Kreise einschleusen.

Miriam Meyer: Sieben Tatvorwürfe

Miriam Meyer wird am 25. Februar auf dem Berliner Flughafen nach einer Ballon-Aktion vorläufig festgenommen.
Miriam Meyer wird am 25. Februar auf dem Berliner Flughafen nach einer Ballon-Aktion vorläufig festgenommen. © Letzte Generation | Letzte Generation

Gegen Miriam Meyer geht die Staatsanwaltschaft darüber hinaus wegen Sachbeschädigung, gemeinschädliche Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch und der Störung öffentlicher Betriebe vor, wobei insgesamt ein Schaden im vier- bis siebenstelligen Euro-Bereich entstanden sein soll. Meyer werden sieben Mitwirkungen vorgeworfen. Im Mai 2022 soll sie laut Anklage an der Rohöl-Pipeline in Woldegk (Mecklenburg-Vorpommern) manipuliert haben. Im Oktober 2022 schließlich soll ihr in Woldegk die Unterbrechung des Ölflusses gelungen sein.

Im Dezember 2022 soll sie auf das Flugfeld des Flughafens München vorgedrungen sein und sich mit Mittätern auf der Start- und Landebahn festgeklebt haben. Im Sicherheitsbereich des Flughafens Berlin-Brandenburg soll sie im März 2023 mit anderen auf dem Fahrrad unterwegs gewesen sein und ein Flugzeug mit Farbe besprüht haben.

Spektakuläre Aktion: Privatjet auf Sylt mit Farbe besprüht

Miriam Meyer hatte den Jet auf Sylt mit einem präparierten Feuerlöscher besprüht.
Miriam Meyer hatte den Jet auf Sylt mit einem präparierten Feuerlöscher besprüht. © Jonas Gehring | Jonas Gehring

Schließlich eine der spektakulärsten Aktionen, die Miriam Meyer spätestens dann für ein bundesweites Publikum zur relativen Persönlichkeit der Zeitgeschichte machte: Sie drang auf den Flughafen Sylt vor und besprühte mit einem umgebauten Feuerlöscher einen Privatjet mit Farbe, danach setzte sie sich auf eine der Tragflächen. Ebenso medienwirksam war das Umgraben und „Renaturieren“ von Loch 15 auf dem Golfplatz des Budersand Hotels auf Sylt (Juni 2023) und das Bewerfen des denkmalgeschützten Bayerischen Landtages mit in Farbe getränkten Tennisbällen.

Der Flensburger Oberstaatsanwalt Bernd Winterfeldt macht keinen Hehl daraus, dass dieses Verfahren für die Staatsanwaltschaft Flensburg juristisch äußerst interessant ist. Noch kein Gericht in Deutschland hat die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung eingestuft, unter Juristen ist das hochumstritten. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt seit einem Jahr gegen fünf Aktivisten (darunter auch Miriam Meyer) wegen des Verdachts, Mitglieder einer kriminellen Vereinigung zu sein. Die Kollegen in Neuruppin haben im Mai die erste Anklage auf Basis des Paragrafen 129 gegen zwei Aktivisten erhoben. Vor Berliner Gerichten scheiterte die Staatsanwaltschaft mit dem Versuch.

Staatsanwaltschaft Flensburg: „Viele Beweismittel“

Eingang zum Gebäude des Landgerichts Flensburg: Staatsanwaltschaft hat viele Beweisemittel gegen Miriam Meyer gesammelt.
Eingang zum Gebäude des Landgerichts Flensburg: Staatsanwaltschaft hat viele Beweisemittel gegen Miriam Meyer gesammelt. © dpa | Frank Molter

„Die Kollegen in Berlin sind aber auch mit Tausenden Verfahren rund um Klimaaktivisten überlastet“, sagt Winterfeldt. „Wir haben uns in Flensburg die Akten aus München, aus Berlin und aus Neuruppin besorgt und sie mit unseren Akten übereinander gelegt und ausgewertet. Erst dann ergibt sich das ganze Bild.“

Viel Mühe hätten sich die Kolleginnen und Kollegen mit der Strukturermittlung gemacht. „Wer sitzt bei der Letzten Generation an welcher Stelle, klebt sich eine Person nur fest oder ist sie in die Organisation eingebunden?“, sagt Winterfeldt. Dabei hätten sie Miriam Meyer und die Rolle, die sie in der Organisation spiele, immer im Blick gehabt. „Wir sind gespannt auf den Prozess, die Anklage ist sehr umfangreich, wir haben viele Beweismittel gesammelt und sind zuversichtlich, dass das Gericht unserer Argumentation folgen wird“, sagt Winterfeldt.

Miriam Meyer: „Warum wird nicht die Bundesregierung verklagt?“

Miriam Meyer (r.) protestiert im Oktober 2022 mit Mirjam Herrmann und Aimee van Baalen (v. l.) vor dem Verkehrsministerium an der Invalidenstraße in Berlin.
Miriam Meyer (r.) protestiert im Oktober 2022 mit Mirjam Herrmann und Aimee van Baalen (v. l.) vor dem Verkehrsministerium an der Invalidenstraße in Berlin. © Letzte Generation | Letzte Generation

Als Miriam Meyer die 361 Seiten umfassende Anklageschrift gegen sie Anfang Juni aus ihrem Briefkasten holte, setzte sie auf Bluesky sofort einen Post ab. „Hat die Staatsanwaltschaft Flensburg wirklich nichts Besseres zu tun, als während Süddeutschland unter Wasser steht, diejenigen anzuzeigen, die davor warnen? Warum wird eine Bundesregierung, die die Verfassung bricht, nicht angezeigt?“ Gegenüber der „taz“ sagte sie am Rande ihrer Gerichtsverhandlung in Berlin, dass sie sich durch die Anklage nicht einschüchtern lasse.

Die Letzte Generation verurteilte die Anklage in Flensburg als den Versuch, die „Klimagerechtigkeitsbewegung als Ganzes kleinzuhalten“ und „friedlichen Protest“ zu kriminalisieren. „Eine Justiz, die ihr schärfstes Schwert gegen Klimaaktivist:innen zieht, während sie fossile Verbrechen ungestraft geschehen lässt, sägt an unserer Demokratie. Demokratie braucht Protest. Auch, oder gerade, wenn er stört.“

Letzte Generation: „Intention spielt eine Rolle beim Strafmaß“

Die Klimaaktivisten beklagen immer wieder, die Justiz solle ihre Ressourcen nicht für die Verfolgung des Protestes, sondern für die Verhinderung der Klima-Katastrophe einsetzen. Doch die Justiz kümmert sich ausschließlich um die strafrechtliche Verfolgung und juristische Einordnung der Taten im Rahmen des Klimaprotestes.

„Die Intention der Angeklagten spielt aber gleichwohl eine Rolle“, sagt Oberstaatsanwalt Winterfeldt. „Es ist schließlich ein Unterschied, ob ich als Teil einer kriminellen Vereinigung Menschen Geld abzocken möchte oder ob ich für ein gutes Ziel und die Allgemeinheit kämpfe. Bei der Zumessung des Strafmaßes wirkt der Unterschied erheblich.“

Wann dieses Strafmaß für Miriam Meyer verhandelt wird, ist noch offen. Das Landgericht Flensburg kann zum jetzigen Zeitpunkt noch keine belastbare Aussage dazu machen, wann mit einer Hauptverhandlung gegen die Klimaktivistin zu rechnen ist.