Kreis Segeberg. Melanie Bernstein, Bundestagsabgeordnete der CDU, spricht über die Ampel, mögliche Partner, ihren Gegner und die Themen der Region.
Melanie Bernstein rückte 2023 für den verstorbenen Gero Storjohann für den Wahlkreis Segeberg/Stormarn-Mitte nach, saß zuvor bereits von 2017 bis 2021 im Deutschen Bundestag, als sie den Wahlkreis Plön-Neumünster direkt gewann. 2021 verlor sie das Mandat an einen SPD-Herausforderer. Nun wird sie 2025 gegen Bengt Bergt (SPD, Norderstedt) antreten. Das Abendblatt hat mit der 47-Jährigen, die auch Co-Geschäftsführerin einer Werbeagentur in Neumünster ist, über Probleme ihrer Heimatregion, die Ampel-Koalition und das politische Klima gesprochen.
Frau Bernstein, Sie sitzen – mit Unterbrechung – seit 2017 im Bundestag. Wie hat sich die politische Kultur seitdem verändert?
Mein Blickwinkel war von 2017 bis 2021 als Mitglied einer Regierungsfraktion, jetzt aus der Opposition. Die Arbeit hat sich verändert, es sind unterschiedliche Rollen. Aber insgesamt ist es eine schwierigere Lage mit den unterschiedlichen Parteien, die zum Teil sehr polarisierend auftreten. Das macht es nicht einfacher. Und wir haben eine Ampel mit drei Parteien, die sehr unterschiedliche Ausrichtungen und Programme haben, und die Schwierigkeiten haben, sich selbst im Koalitionsvertrag wiederzufinden und sich daran zu halten.
Melanie Bernstein (CDU) im Interview: „Wenn man die Ampel nach einer Haltung fragt, bekommt man drei Antworten“
Die Opposition bekommt viele Steilvorlagen, um hart gegenzuhalten.
Das tut man wegen der politischen Sachthemen. Aber es macht die Arbeit für die Opposition nicht einfacher, wenn die Regierung schon so zerstritten ist, dass sie ihre eigene Opposition ist.
Wieso?
Wenn man die Ampel nach einer Haltung fragt, bekommt man drei Antworten.
Die jüngsten Wahlergebnisse, die aktuellen Umfragen und Prognosen, zeigen, wie sich das Parteienspektrum verändert. Was bedeutet das für künftige Koalitions- und Mehrheitsfindungen?
Wir als CDU müssen unsere Haltung klar darstellen. Als Volkspartei sind wir sehr breit aufgestellt und möchten gerne jedem Bürger ein Angebot unterbreiten. Mit dem aktuellen Grundsatzprogramm haben wir den Markenkern neu erarbeitet. Für CDU und CSU ist klar, dass wir nicht mit dem rechten Rand zusammenarbeiten werden, genauso ist es aber auch mit dem linken Rand. In der Mitte muss man Koalitionen finden.
Eine Koalition mit Sahra Wagenknecht? „Ich schließe das aus“
Hätten Sie einen favorisierten Partner?
Ich werde für ein starkes CDU-Ergebnis kämpfen. Und dann muss man schauen, mit wem man die meisten Überschneidungen hat.
Könnte das auch Sahra Wagenknecht sein?
Die Partei ist nicht wirklich greifbar für mich, ich kenne nur sie, kenne kein Programm, keine anderen Mitglieder. Ich schließe das aus.
Die Union hat die Wahlrechtsreform der Bundesregierung scharf kritisiert. Kann es passieren, dass ein Direktmandat in Ihrem Wahlkreis nicht zum Direkteinzug nach Berlin reicht?
Ich finde an dieser Reform alles schlecht, was die Erststimme und den Wahlkreis schwächt. Es kann sein, dass ein Kandidat, der im Wahlkreis gewählt wurde, durch das Verhältnis der Zweit- und Erststimme nicht in den Bundestag einzieht. Es ist schwierig, das den Wählern zu erklären. Das finde ich undemokratisch. Kriegt man die Leute noch dazu, ein weiteres Mal wählen zu gehen, wenn sie feststellen, dass ihre Stimme nicht zählt?
Kleinerer Bundestag? „Aber nicht mit geschwächter Erststimme“
Aber einen kleineren Bundestag wollte die CDU doch auch.
Ja, aber nicht mit einer geschwächten Erststimme und nicht mit einer starken Streichung der Wahlkreise. Mein Job als Abgeordnete ist es, die Bürgerinnen und Bürger aus meinem Wahlkreis zu vertreten. Dieser umfasst in meinem Fall Segeberg und einen Teil des Kreises Stormarn, das ist eine ganz schön große Fläche mit vielen Gemeinden, vielen Themen, dem Hamburger Rand, Norderstedt als großer Stadt und viel ländlichem Raum, mit strukturschwächeren Regionen, das muss man alles bedienen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir in der Großen Koalition eine Wahlrechtsreform hinbekommen, am Ende hat es die SPD blockiert.
Sie haben es angesprochen, ihr Wahlkreis ist sowohl urban als auch ländlich geprägt. Beschäftigen sich die Menschen auch mit unterschiedlichen Themen?
Grundsätzlich sind wir alle Segeberger oder Stormarner, vor allem aber auch Schleswig-Holsteiner. Es gibt unterschiedliche Herausforderungen in Norderstedt zum Beispiel hinsichtlich des Wohnungsbaus, mit hohen Mietpreisen, oder dort, wo ich herkomme, wo seltener der Bus kommt und man eine andere Art der Mobilität hat.
Was hören Sie aus der Bevölkerung?
Es sind kritische Stimmen, man spricht über Probleme, aber auch über das, was gut läuft. Es ist die Verkehrs-Infrastruktur mit der A20, die Bahn, da sind wir in Schleswig-Holstein nicht gut aufgestellt. Gerade bei uns in der Region steht man viel im Stau. Dann sind es auch wirtschaftspolitische Themen, ob jetzt der Fachkräftemangel oder der Bürokratieabbau. Es geht auch um das Bürgergeld. Mir sagte eine Friseurmeisterin: Wie soll ich Leute animieren, arbeiten zu gehen, wenn sie am Ende gar nicht viel mehr haben als diejenigen, die nicht arbeiten gehen?
„Die Politik sollte sich nicht in das Lohngefüge einmischen“
Müsste man nicht dann die Löhne erhöhen?
So einfach ist das nicht! Das würde im Zweifel zu einer Teuerung von allem anderen führen. Ich halte relativ wenig davon, nur an der Lohnschraube zu drehen. Es muss alles wirtschaftlich sein. Und: Die Politik sollte sich nicht in das Lohngefüge einmischen. Das ist Aufgabe der Wirtschaft und gegebenenfalls der Tarifpartner.
Schleswig-Holstein gilt als Vorzeigeland für die Energiewende. Dennoch gibt es in der CDU viele Stimmen, die ein Comeback der Atomkraft wollen. Was ist Ihre Meinung?
Wir haben eine super Lage hier mit viel Windenergie, aber durch die Netzausbaukosten auch hohe Strompreise. Es ist sauberer Strom, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass wir ihn komplett nutzen können. In erster Linie möchte ich, dass die Energiewende bezahlbar ist. Was bringt es uns, auf alles zu verzichten und auf eine Energieform zu setzen, die dafür sorgt, dass der Strom wahnsinnig teuer ist? Ich halte es für einen Fehler, dass wir die Atomkraftwerke abgeschaltet haben. Und Atomstrom zuzukaufen aus dem Ausland – ist das wirklich sinnvoll?
Sie sind gut vernetzt in der Landwirtschaft. Nach dem Protest-Winter: Hat sich die Lage verbessert?
Nein. Es gab nach den Bauernprotesten das Versprechen eines großen Entlastungspaketes. Das ist deutlich zu gering. Die Betriebe haben es durch veränderte klimatische Bedingungen, aber auch durch politische Entscheidungen immer schwerer. Wenn wir die Ernährungssicherheit in den Fokus nehmen wollen, muss mehr passieren. Ich kenne keinen einzigen Landwirt, der nicht bei der Energiewende, beim Klimaschutz mitmacht. Und daher verstehe ich, warum die Akzeptanz für Erdkabel-Stromtrassen nicht da ist. Denn das sind wieder Flächen, die der Landwirtschaft für Generationen verlorengehen.
Kontakt zu Kontrahent Bengt Bergt? „Haben nicht viel miteinander zu tun“
Bengt Bergt ist Ihr Hauptkonkurrent im Wahlkreis. Laufen Sie sich in Berlin eigentlich über den Weg?
Wir haben nicht viel miteinander zu tun, weil wir in unterschiedlichen Themenfeldern unterwegs sind – ich mache hauptsächlich Familien- und Verkehrspolitik. Wir sind beide im Petitionsausschuss, allerdings ist es dort so, dass nicht alle Themen diskutiert werden, sondern nur über Dringlichkeit abgestimmt wird, man also nur mit den Berichterstatter-Kollegen im Vorfeld Kontakt hat.
Das heißt, gemeinsame Initiativen für den Wahlkreis gibt es keine?
Ich nehme sehr stark wahr, dass die Zusammenarbeit mit der Ampel weniger eng ist. In der Wahlperiode davor hat man auch parteienübergreifend etwas für den Wahlkreis gemacht.
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Stört Sie das?
Natürlich, alles was für die Region gut ist, würde ich mir wünschen.
Was unterscheidet Sie und Bengt Bergt?
Wir sind sehr unterschiedlich politisch ausgerichtet, und auch deshalb unterschiedliche Menschen. Ich bin anders geprägt, ein Kind des ländlichen Raumes, habe auch in der Stadt gelebt, kenne beide Seiten. Ich bin ein absoluter Familienmensch und seit meinem Studium unternehmerisch, auch als Arbeitgeberin, tätig, ich kenne den Spagat zwischen Kindern und Job. Dadurch habe ich vielleicht einen anderen, sehr praktischen Blick auf viele Dinge und einfach andere Schwerpunkte.