Norderstedt. Bundeswirtschaftsminister unterwegs im Norden: Grünen-Politiker bei den Stadtwerken zu Gast. Viel Lob für ein besonderes Projekt.
Die schwarze Limousine fährt um kurz vor 18 Uhr auf den Betriebshof der Stadtwerke Norderstedt. Und wer dann aussteigt, ist einer der wichtigsten Politiker in Deutschland. Der Besuch von Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, war minutiös geplant worden. Der Vizekanzler hat schließlich einen engen Terminkalender auf seiner derzeitigen Sommerreise durch den Norden, bei der er sich wichtige Projekte im Sinne der Energiewende zeigen lässt. So wie in Norderstedt. Und was der Gast hier in rund einer Stunde präsentiert bekommt, gefällt ihm tatsächlich sehr gut.
Es geht um die Fernwärme-Strategie der viertgrößten Stadt in Schleswig-Holstein, also Habecks Heimat-Bundesland. 84 Kilometer lang ist das Netz, mit 13 Blockheizkraftwerken. Direkt am Sitz der Stadtwerke ist eine Innovation in die Tat umgesetzt worden. Denn die Abwärme des großen Rechenzentrums verpufft nicht einfach. Hier sind Ende April zwei Großwärmepumpen der Firma Carrier in Betrieb genommen worden, die wiederum dafür sorgen, dass die Energie umgehoben wird in das Fernwärmenetz. Maximal 1,8 Megawatt Leistung könne so gewonnen worden, heißt es.
Blitzbesuch bei den Stadtwerken: Was Wirtschaftsminister Robert Habeck in Norderstedt machte
Habeck hörte aufmerksam zu, während unter anderem Werkleiter Nico Schellmann und Projektmanager Robert Roß das System erläuterten. „Eine besonders kluge Kombination“ nannte er die Anlage. „Es gibt überall Perlen, die Vorreiterfunktionen einnehmen. Norderstedt ist so eine – im norddeutschen Raum, aber auch insgesamt, weil sie das so konsequent gemacht haben. Hier kommen viele Dinge glücklich zusammen: Das Rechenzentrum liegt auf dem Gelände der Stadtwerke, und quasi über den Fernwärmeleitungen.“
Das dürften die Stadtwerke-Chefs und auch Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder (sie und Habeck duzen sich als Parteifreunde) mit Freude vernommen haben. Und der Minister sagte ebenso wohlwollend: „Norderstedt hat schon den Ruf, dass es hier zügig geht, dass die Verwaltung top aufgestellt ist und die Entscheidungen zügig getroffen werden. Was das Energiesystem angeht, ist die Größe der Kommune eigentlich nicht entscheidend.“
Sondern: „Wenn man eine größere Wärmepumpe haben will, braucht man ein Fernwärmesystem und eine Energiequelle, die die Pumpe nutzen kann.“ Das könne „ein Quartier in einer Metropole sein, das kann eine kleine Kommune mit deutlich weniger Einwohnern sein“, so Habeck.
Norderstedt ist „hoffentlich Beispiel für viele Kommunen“
Laut Stadtwerken habe die Kopplung von Rechenzentrum und Wärmepumpen bereits 2,8 Millionen Kilowattstunden Wärme in das Fernwärmenetz abgegeben. Umgerechnet ist das der Jahresbedarf von rund 280 typischen Zwei-Personen-Haushalten.
So etwas ist theoretisch überall in Deutschland möglich, wo es eine „Wärmedifferenz“ gibt, „beispielsweise am Hafen“, so Robert Habeck. „Das ist hoffentlich ein Beispiel für viele Kommunen, sich in der Wärmeplanung, die alle machen müssen, auf diese Wärmequellen, die ja sowieso da sind, zu konzentrieren.“ Er deutete an, dass die Genehmigungsverfahren für Großwärmepumpen vereinfacht werden müssten.
„Der Hintergrund ist: Man hat kaum Erfahrung damit in Deutschland.“ Er zählte auf, welche Punkte dann diskutiert werden: Wasserrecht, Bodenrecht, „möglicherweise kommt Abwärme aus anderen Industrieanlagen, dann sind Gefahrgutverordnungen zu beachten, sie kommt aus Müllverbrennungsanlagen – fällt das dann unter die Abfallverordnung?“ Man überlege, diese Verfahren zu bündeln. Aber man müsse vorsichtig sein. „Jedes gut geplante Gesetz kann umschlagen dahin, dass es noch viel komplizierter wird. Wir machen uns viele Gedanken, es schlanker und effizienter zu machen.“
„So machen wir die kommunale Wärmewende möglich“
Für Nico Schellmann, Werkleiter bei den Stadtwerken und dort verantwortlich für Netze und Technik, war die Stippvisite ein Gewinn. „Termine wie dieser sind wichtig, weil jeder über seinen Tellerrand guckt. Jeder möchte Ideen und Anregungen haben. Dazu können wir beitragen. Es gibt Chancen für die Stadtwerke, aber auch für die Stadtplanung, die zuverlässig Wärmequellen wie ein Rechenzentrum in ein Konzept integrieren kann. So machen wir die kommunale Wärmewende möglich.“
Ob kommunale Versorger in Berlin auch Gehör finden? „Grundsätzlich ja. Wir haben hier in Norderstedt schon große Vorteile, haben kurze Wege zur Genehmigung. Robert Habeck war sehr interessiert daran, weitere Erleichterungen zu ermöglichen.“ Spannend werde es bei Weiterentwicklungen, etwa bei neuen Rechenzentren, „die müssen in der örtlichen Politik, bei den Behörden genehmigt werden“.
Das Rechenzentrum soll leistungsfähiger werden
Vor Ort, am Sitz der Stadtwerke, geht es aber künftig um etwas anderes. „Rein flächenmäßig ist das Rechenzentrum komplett ausgebucht.“ Die Stadtwerke sind hier auch Dienstleister für externe Nutzer. Aber: „Ein Hardware-Upgrade ist möglich, das wird auch kommen.“ Unter anderem durch den steigenden Bedarf in Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz. Und damit auch mehr Futter für das Fernwärmenetz.
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Jungheinrich: Unternehmen kann Abwärme nicht nachhaltig nutzen
Was im Rechenzentrum sehr gut funktioniert, kann hingegen mit Jungheinrich ausgerechnet eines der größten Unternehmen in Norderstedt nicht umsetzen. Die Produktionsprozesse im Werk wurden gemeinsam mit den Stadtwerken kürzlich analysiert. 95.000 Quadratmeter groß sind die Hallen an der Lawaetzstraße, die Wärmeversorgung ist von großer Bedeutung. Die alte Heizungstechnik wurde etwa durch Deckenstrahlplatten ersetzt mit integrierten LED-Leuchten.
Nur: Die Abwärme kann hier nicht nachhaltig genutzt werden. Sowohl bei der Kälte- und Drucklufterzeugung als auch bei den Brennöfen wurden zwar Konzepte erstellt. Doch als daraufhin die Kosten erhoben worden, wurde klar: Die Amortisationszeiten sprechen gegen eine Umsetzung. Dennoch war auch diese Prüfung wichtig. Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass Unternehmen Abwärme vermeiden oder verwenden müssen, sofern möglich und zumutbar. Bei Jungheinrich wurde nachgewiesen, dass dies nicht realisiert werden könne. Stadtwerke und Unternehmen suchen nun aber bereits nach alternativen Vorgehensweisen. Auch dieser Ansatz dürfte Robert Habeck gefallen.