Norderstedt. Es gibt mehrere Interessenten für das ehemalige Gieschen-Grundstück. Norderstedts Oberbürgermeisterin berichtet, wie es weitergeht.
Die Fläche ist leer. Auf dem ehemaligen Gieschen-Gelände in Norderstedt am Umspannwerk befindet sich kein einziges Häufchen Müll mehr. Wer am Montagmittag das geräumte Grundstück betritt, kann gar nicht glauben, dass sich hier bis vor Kurzem ein Müllberg bis zu sechs Meter in die Höhe türmte und es wohl keinen Quadratmeter gab, der nicht von Abfall belagert war. Nun steht nur noch ein Bagger mit offener Schaufel in der Mitte – als Symbol für die getane Arbeit. Innerhalb von sechs Monaten hat die Firma Ehlert & Söhne es geschafft, 15.000 Kubikmeter illegalen Müll abzutragen.
„Vor wenigen Monaten stand ich noch hier mit FFP2-Maske vor einem riesigen Haufen Müll“, erinnert sich Tobias Goldschmidt. Anfang Februar kam Schleswig-Holsteins Umweltminister nach Friedrichsgabe, um offiziell den Beginn der Räumungsarbeiten einzuläuten. Alle Besucherinnen und Besucher mussten Masken tragen, um auszuschließen, dass sie gesundheitsgefährdende Mineralfasern einatmen. „Und jetzt scheint die Sonne und der Müllberg ist weg. Ich bin einfach total glücklich“, sagt Goldschmidt und lächelt Norderstedts Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder zu.
Müllberg Norderstedt: Land übergibt leer geräumte Fläche
Die Verwaltungschefin nimmt stellvertretend für die Stadt das frei geräumte Grundstück in Empfang. Zahlreiche Medienvertreterinnen und -vertreter sind vor Ort. So viele Journalisten kommen nur nach Norderstedt für wirklich bedeutende Ereignisse. Es ist ein weiterer Beleg für die Strahlkraft des Themas, das die Menschen weit über die Stadtgrenzen hinaus beschäftigte. Denn: Mit der Räumung des Müllbergs geht eine lange Geschichte zu Ende.
Angefangen hat wohl alles mit einem Mann, der die Gieschen Containerdienst GmbH von seinem plötzlich verstorbenen Vater geerbt hat. Bis dahin hatte er als Lkw-Fahrer im Betrieb gearbeitet, doch auf einmal sollte er die Geschäfte leiten. Mit dieser Rolle war er überfordert. Über Jahre sammelte er immer mehr Müll an – ohne ihn wieder abzutransportieren.
Verantwortlicher wurde zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt
2018 verschwand der Geschäftsführer schließlich spurlos. Er hinterließ Norderstedt einen über Jahrzehnte gewachsenen Müllberg. Lange stritten sich Stadt und Land um die Verantwortlichkeit: Wer ist für dieses Abfallungeheuer und seine millionenschwere Entsorgung zuständig?
Nach langem Ringen einigte sich die Stadt mit dem schleswig-holsteinischen Umweltministerium auf einen Deal: Bei einer Zwangsversteigerung erwarb die Stadt Norderstedt das vermüllte Grundstück. Dieses soll nun weiterverkauft werden. Der Erlös wird an das Land „ausgekehrt“. Von dem Geld wiederum wird ein Teil der Räumung finanziert, den Rest bezahlt das Land mit Steuergeldern.
Dann passierte etwas, mit dem viele nicht mehr gerechnet hatten: Der vermisste Geschäftsführer der Container-Firma tauchte wieder auf. Das Amtsgericht Norderstedt verurteilte ihn für seine Umweltvergehen Ende 2022 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, ausgesetzt zur Bewährung. Dazu muss er 598.000 Euro zahlen und 150 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.
Räumung des Gieschen-Grundstücks war aufwendig
Die Räumung des Grundstücks war überaus aufwendig. Mitarbeiter in weißen Schutzanzügen und Überdruckmasken untersuchten den Müll und sortierten gefährliche Abfälle wie Asbestplatten und künstliche Mineralfasern aus. Diese wurden wiederum von Experten eines Schadstofflabors analysiert. Alles, was den Hof verlassen hat, wurde genau beleuchtet. Die Sicherheitsvorkehrungen waren hoch. Auch Luft-, Partikel- und Gasmessungen wurden vor Ort vorgenommen, um die Menge von herumfliegenden Asbestfasern zu messen und mögliche Gefahren auszuschließen. Das Grundwasser wurde ebenfalls regelmäßig überprüft.
Der übrig gebliebene Abfall wurde in Containern zu externen Entsorgungsfirmen gebracht. Dort wurde der Müll erneut sortiert. Kunststoffe, Bauschutt oder Teppiche wurden nochmals voneinander getrennt. Zum Schluss blieben nur „sortenreine“ Abfälle übrig, die dann fachgerecht entsorgt wurden. Viele vermuteten „böse Überraschungen“, die sich womöglich in den Tiefen des Müllbergs verbargen. Diese habe es laut Christian Strauch aber nicht gegeben. „Wir haben nichts Spektakuläres gefunden“, sagt der Geschäftsführer von Ehlert & Söhne.
Entsorgungskosten liegen laut Umweltminister bei 2,3 Millionen Euro
Noch vor der Räumung wurden die Entsorgungskosten auf rund vier Millionen Euro geschätzt. „Wir gehen davon aus, dass wir unter dem Budget bleiben“, sagt Umweltminister Goldschmidt am Montag. Vielmehr dürfte die Summe bei etwa 2,3 Millionen Euro liegen. „Auch in Zeiten einer schweren Haushaltslage sind wir ins Risiko gegangen, um den ,Scheiß‘ wegzuräumen“, sagt der Grünen-Politiker unverblümt und nicht ohne Stolz. Sobald das Grundstück durch die Stadt Norderstedt verkauft werde, würden die Gelder zurück an das Land beziehungsweise die Steuerzahler fließen.
Und was passiert jetzt mit der leer stehenden Fläche? Gibt es schon einen Käufer? „Ein Gutachter wird erst einmal den Wert des Grundstücks bestimmen, das ist der nächste Schritt“, sagt Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder. Interessenten gebe es mehrere aus dem umliegenden Gewerbegebiet, berichtet sie. Tim Kiesow, Geschäftsführer der Autorecyclingfirma Kiesow, hat schon vor langer Zeit öffentlich bekundet, dass er das rund 4800 Quadratmeter große Gelände gerne kaufen würde. Sein Unternehmen liegt direkt nebenan.
Was passiert mit dem Grundstück?
Die Stadt könne sich aber auch vorstellen, das Grundstück selbst zu nutzen und dem Land einen Ausgleich zu zahlen. „Für Wohnungsbau ist das Gelände nicht gedacht, es hat keine richtige Zufahrt“, sagt Schmieder. Auch Flüchtlinge könnten hier wegen der Hochspannungsleitung des nahe gelegenen Umspannwerks nicht untergebracht werden. Allerdings könnte die Stadt die Fläche, zumindest temporär, zur Zwischenlagerung gebrauchen, sagt die Oberbürgermeisterin.
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Die Arbeiten auf dem früheren Gieschen-Areal sind jedenfalls abgeschlossen. Zuletzt wurden im Boden noch Reste von Bauabfällen gefunden. Daraufhin wurde eine 30 Zentimeter dicke Schicht des Erdbodens abgetragen und durch ein „mineralisches Recyclingmaterial“, also kleingemahlene Beton- und Dachziegelreste, ersetzt. Eine weitere Aushebung sei nicht notwendig. „Wir haben Probebohrungen gemacht und viele Wasserproben entnommen. Es ist alles unauffällig und es geht keine Gefahr von dem Bauschutt aus“, versichert Katrin Schmieder.
Emotionaler Tag für BUND
Für Maike Hinrichsen ist es ein besonders emotionaler Tag. Sie engagiert sich seit vielen Jahren für die Ortsgruppe Norderstedt des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Gemeinsam an der Seite ihres Mannes Winfried Günnemann hat sie dafür gekämpft, dass der Müllberg, der Norderstedter Schandfleck, endlich geräumt wird. Günnemann arbeitete als früherer Rechtsanwalt unermüdlich Akten durch. Er wollte einfach nicht akzeptieren, dass die vielen Tonnen Abfall verrotteten, möglicherweise die Umwelt gefährdeten – und niemand etwas dagegen unternahm.
„Wir wünschen uns alle, dass Winfried heute bei uns gewesen wäre“, sagt Maike Hinrichsen. Sie hält ein gerahmtes Foto ihres Mannes in den Händen, das ihn vor dem Müllberg zeigt. Obwohl es ihm bereits schlecht ging, hatte sich Günnemann noch zu dem Auftakt der Räumung im Februar geschleppt. „Für ihn war es großartig, zu erleben, dass der Bagger anrollte“, sagt Hinrichsen. Fünf Tage später verstarb der Norderstedter im Alter von 81 Jahren.
An diesem Montag haben sich viele BUND-Mitglieder an der Tycho-Brahe-Kehre nahe der geräumten Fläche versammelt. An einem Stand liegt ein Ordner, in dem sie alle Zeitungsartikel der vergangenen Jahre über den Müllberg eingeheftet haben. In einem Baum haben sie Banner aufgehängt, auf weißem Leinenstoff ist geschrieben: „Der Müllberg ist weg – ein Fest für alle Bürger“. Auf dem Tisch steht ein weiteres Foto von Winfried Günnemann. Es zeigt den Umweltjuristen im Gespräch mit Minister Goldschmidt, im Februar, kurz vor seinem Tod. Günnemann trägt darauf den für ihn so markanten, braunen Hut und lächelt breit. Die Räumung, ja, das ist auch sein Werk. Sein Verdienst.
Heute, sechs Monate später, schenkt seine BUND-Gruppe gemeinsam mit seiner Frau Maike Hinrichsen Limonade aus. Für sie ist es ein Tag zum Feiern. Und sie sind sich sicher: Winfried, der sie immer wieder motiviert und mitgerissen hat, hätte es genauso gewollt.