Norderstedt. Bengt Bergt, Bundestagsabgeordneter aus Norderstedt, im Interview über Bedrohungen, Erfolge im Wahlkreis, Energiewende und SPD-Krise.

Er betrat die politische Bühne als Newcomer, gewann dann den Wahlkreis Segeberg/Stormarn-Mitte direkt und sitzt seit 2021 für die SPD im Deutschen Bundestag: Bengt Bergt (42) aus Norderstedt ist stellvertretender Sprecher seiner Fraktion für Klimaschutz und Energie, Mitglied im dazugehörigen Ausschuss sowie im Petitionsausschuss. 2025 bewirbt er sich um die Wiederwahl. Seine Hauptkonkurrentin wird die Wahlstedter Christdemokratin Melanie Bernstein sein, die 2023 für den verstorbenen Gero Storjohann in den Bundestag nachrückte. Im Abendblatt-Interview spricht Bergt über Bedrohungen, das negative Image der Bundesregierung sowie darüber, was ihm gelungen ist – und was nicht.

Herr Bergt, Sie sitzen seit 2021 im Deutschen Bundestag. Was hat sich in Ihrem Leben seitdem verändert?

Alles. Ich arbeite viel mehr als früher. Nicht, dass ich früher faul war, aber das Pensum ist enorm hoch, Arbeit und Freizeit verschwimmen, weil Parteiarbeit auch ein Stück weit Ehrenamt ist. Das Land hat sich verändert, die Härte in den Diskussionen. Aber wir haben auch viele Erfolge, die uns begleiten und die wir besser vorstellen müssen, ob nun bei der Migration, beim Thema Sicherheit. Der Haushalt ist da, wir merken, dass die Sozialsysteme funktionieren. Der Wind hat sich gedreht.

Bengt Bergt: „Die Tücke eines Anschlags hinterrücks hat mich überrascht“

Hat Sie der Politik-Alltag abgehärtet?

Ein bisschen. Aber gerade, wenn es online zur Sache geht, das macht etwas mit einem. Und wenn es physisch wird, ist es unangenehm. Wir müssen schauen, dass wir die Debatten etwas herunterkochen, diesen Riss in der Bevölkerung kitten.

Sie sprechen es an: Am 7. Juni gab es in Bargteheide einen Böllerwurf auf Sie. 

Das hätte anders ausgehen können. Die Polizei war schnell da, alles wurde super geregelt. Aber was mich überrascht hat, war die Tücke eines Anschlags hinterrücks. Wenn Leute direkt auf mich zukommen und mich attackieren, damit kann ich umgehen. Aber wenn es aus dem Hinterhalt passiert, ist es widerwärtig, das gibt zu denken. Wir dürfen die Straßen nicht den Rechten und den Schwurblern überlassen, wir müssen mit der nötigen Präsenz draußen sein, aber dabei friedfertig bleiben.

Nicht viele Deutsche finden, dass die Bundesregierung einen guten Job macht. Was entgegnen Sie dieser Einschätzung?

Ja. Mit dem Mindestlohn haben wir sechs Millionen Leuten mehr Geld in der Tasche beschert, auch wenn es von der Inflation etwas aufgefressen worden ist. Wir haben die geringsten Arbeitslosenzahlen, die höchsten Beschäftigungszahlen seit Jahrzehnten, wir sehen, dass die Produktion wieder anläuft, dass die Steuereinnahmen sprudeln – und wir haben die Energiepreise runterbekommen. Wir haben es geschafft, uns ein Stück weit vom Gas abzukoppeln. Die Ausbauzahlen für erneuerbare Energien sind enorm, das schafft hier im Norden Arbeitsplätze.

„Einen gerechten Staat schaffen, die Mitte entlasten“

Das passt nicht zum negativen Bild in der Öffentlichkeit.

Natürlich müssen wir besser kommunizieren, die Leute bei den Themen besser mitnehmen. Und wir müssen den Rechtsruck beherrschen – nicht, indem wir nach rechts rücken, sondern indem wir klar sagen, wo wir hinwollen. Das muss heißen, einen gerechten Staat zu schaffen, die Mitte zu entlasten, das tun wir im nächsten Jahr extrem, und die Transformation der Industrie so umzusetzen, dass niemand hinten runterfällt. Das werden wir gemeinsam mit den Gewerkschaften schaffen.

Welche Themen, welche Projekte schreiben Sie sich persönlich zu?

Dass wir den Gaspreis in dieser Geschwindigkeit runterbekommen haben, dass wir eine stärkere Entkopplung von Russland haben, den Ausbau von Wind- und Solarenergie, die Auftragsbücher sind knackevoll bei den Windturbinenbauern. Und den Netzausbau, also dass die Ostküstenleitung schneller vorankommen kann. Bei all diesen Themen habe ich direkt bei der Gesetzgebung mitgewirkt.

„Es kann nicht sein, dass Reiche immer reicher werden“

Wo hätten Sie gerne mehr erreicht?

Ich hätte mir gewünscht, dass wir mit der Schuldenbremse anders umgehen, dass wir einen Ausweichmechanismus finden, um die Investitionen sicherzustellen. Die Vermögenssteuer wird ein Thema werden, die werden wir angehen müssen – es kann nicht sein, dass Reiche immer reicher werden und wir die arbeitende Mitte mehr und mehr belasten, die Rentensysteme unter Druck geraten.

Was haben Sie konkret für Ihren Wahlkreis geschafft?

Wir haben eine feste Zusage von Verkehrsminister Volker Wissing zur A20, eine verbindliche, daran messe ich ihn. Beim Ausbau erneuerbarer Energien schauen einige Landwirte mittlerweile anders auf das Thema, wir haben viele Gemeinden, die beim Thema Wind und Solar konstruktiv dabei sind, die vorher klar auf der Verhinderungsseite waren. Sie haben gemerkt, dass man damit für die Gemeinde, für die Bürgerinnen und Bürger, Geld verdienen kann. 0,2 Cent pro Kilowattstunde gehen direkt als Umlage in die Gemeindekasse.

Bei den Bauernprotesten im Winter suchte Bengt Bergt das Gespräch mit der Landwirtschaft wie hier mit dem Norderstedter Schweinezüchter Jens-Walter Bohnenkamp. Einer Meinung war man dabei nicht immer.
Bei den Bauernprotesten im Winter suchte Bengt Bergt das Gespräch mit der Landwirtschaft wie hier mit dem Norderstedter Schweinezüchter Jens-Walter Bohnenkamp. Einer Meinung war man dabei nicht immer. © Christopher Mey | Christopher Mey

„Die meisten Landwirte wollen nicht am Subventionstropf hängen“

Hat sich die Bundesregierung von der Landwirtschaft über den Tisch ziehen lassen?

Die meisten Forderungen der Landwirte haben wir erfüllt, die Streckung der Einkommensteuer war sehr wichtig. Der Bauernverband haut trotzdem drauf, auch wenn Herr Rukwied (der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Anm. d. Red.) mit am Tisch saß. Aber wir sind noch nicht fertig. Die meisten Landwirte wollen nicht am Subventionstropf hängen, wir müssen die Subventionen wegbekommen, ohne einen Bruch zu haben.

Wären Mindestpreise für Grundnahrungsmittel ein Ansatz?

Diejenigen, mit denen ich spreche, wollen eine freie Preisbildung haben. Denn ein Festpreis kappt auch Gewinne. Wir haben dafür gesorgt, dass der Milchpreis fair gestaltet wird, dass die Abnahmepreise feststehen, wenn ein Vertrag geschlossen wird. Und wir müssen an den Einzelhandel ran, eine Regulatorik finden, damit auf eine Preissteigerung von 20 bis 30 Prozent in der Erzeugung nicht einfach 100 Prozent draufgeschlagen werden können. Wir müssen mit den Landwirten zusammenarbeiten, damit sich die Proteste nicht nur in Richtung Politik, sondern auch an den Einzelhandel richten. Da muss mehr Fairness rein, die Preise müssen nach unten.

Was würden Sie gerne verändern?

Ich glaube, wir brauchen eine inhaltlich verantwortliche Person, die sich ausschließlich um die Transformation der Wirtschaft kümmert. Nicht nur Ansiedlungen, das macht das Wirtschaftsministerium. Mittelstand und Gewerbe brauchen eine Adresse, an die sie sich wenden können, jemanden, der als Ansprechpartner fungieren kann und Netzwerke schafft.

Atomkraft? „Debatte ist für Befürworter nicht mehr zu gewinnen“

Es gibt weiterhin Stimmen, die eine Rückkehr zur Atomkraft fordern...

Diese Debatte ist nicht mehr zu gewinnen für die Befürworter. Wir haben über 600.000 Tonnen Atommüll geschaffen, der weiter strahlt. Wir wissen nicht, wohin damit. Das Endlager Asse hat ein Wasserproblem. Mindestens 500 Jahre müssen wir das lagern. Und: Wir haben die Energie aus dem System raus, wir benötigen sie schlicht nicht mehr. Backup-Kraftwerke sind Quatsch. Wir sind effizient in der Strombeschaffung, viel, viel grüner. Dieses Narrativ, das einzige CO₂-neutrale sei die Atomenergie – Blödsinn.

In Schleswig-Holstein wird viel erneuerbare Energie erzeugt. Wann bekommen wir endlich günstigere Strompreise?

Ende des Jahres. Die Bundesnetzagentur hat ein Anhörungsverfahren vorgelegt, wonach wir im Bereich der SH Netz eine Absenkung von 39 Prozent der Netzentgelte hätten. Das wären umgerechnet drei bis vier Cent. Das können wir verbindlich sagen. Dann wird es endlich fair.

Mehr zum Thema

SPD: „Wir müssen vom verkopften Erklären wegkommen“

Die Umfragewerte der SPD sind seit langer Zeit schlecht. Wie lässt sich das drehen?

Dadurch, dass wir mehr Emotionalität hinbekommen. Nicht mit Hetze oder Negativität, sondern mit positivem Framing, also benennen, was wir gut gemacht haben. Und wir müssen vom verkopften Erklären wegkommen. Die Leute müssen es spüren. 

Das bedeutet konkret?

Ein Beispiel: Wenn Energieversorger ihre Strompreise nicht senken, weil sie eine konservative Einkaufstrategie haben, aber wir sagen, dass sie sinken, dann wirkt es nicht. Im nächsten Jahr wird durch die Steuerreform merkbar mehr Geld in der Tasche sein, die Menschen werden sehen, dass wir viel für junge Leute und für alte Menschen getan haben. Wir haben ein massives Wohnungsbauprogramm aufgesetzt. Und wir leben trotz der Krisen, trotz der Bedrohungslagen in einem sicheren Land, mit einer zwar maroden, aber gut funktionierenden Infrastruktur hier im Wahlkreis. Wir haben geliefert, und wir liefern weiter.

Konkurrentin Melanie Bernstein: „Profiltechnisch kann ich noch nicht viel erkennen“

Melanie Bernstein von der CDU wird ihre Herausforderin sein. Was halten Sie von ihr?

Ich habe erstaunlich wenig Kontakt zu ihr. Wir sitzen zusammen im Petitionsausschuss, da habe ich sie noch nicht so wortstark wahrgenommen. Wir grüßen uns, und ich denke, sie versucht, den Wahlkreis zu vertreten. Momentan mit etwas einseitigem Ampel-Bashing, was aber sicherlich auch Oppositionsaufgabe ist. Profiltechnisch kann ich noch nicht viel erkennen. Ich freue mich auf die Auseinandersetzung, die wird fair und offen sein.