Norderstedt. MBOA-Blog: Tausende feiern Versengold, Mr. Hurley & Die Pulveraffen, Dritte Wahl und noch mehr. Warum das Festival so gut funktioniert.
Eine Bühne, zwei Tage, zehn Bands, so groß wie nie: Das Match Börner Open Air im Stadtpark Norderstedt ist mit einer Riesen-Rockparty gestartet. „Level III“, das Motto hält, was sich die Organisatoren des Festivals erhofft hatten. Denn der Zuspruch am ersten Abend, mit den Folk-Rockern von Headliner Versengold und der kultigen Piraten-Kombo Mr. Hurley & Die Pulveraffen als Stimmungsmacher, ist mehr als je zuvor. Viele Tausend Fans feiern friedlich zusammen. Und so ist es auch Tag zwei, mit energiegeladenen Auftritten unter anderem von Liedfett, Das Lumpenpack und zum Abschluss Dritte Wahl. Das Abendblatt war mittendrin – das sind die schönsten Bilder und besten Eindrücke.
Match Börner Open Air im Stadtpark Norderstedt: Ein Wochenende mit Kobolden, Punk und klarer Kante
Torsten Grass muss es wissen. Und wenn der Tourmanager einer Band wie Dritte Wahl, die mehr als drei Jahrzehnte Erfahrung im Musikgeschäft hat, das Match Börner Open Air lobt, dann wurde hier in Norderstedt vieles richtig gemacht. „Es ist wie ein Rummel hier. Eine schöne Mischung, vom Normalo bis zum Punk.“ Der Hauptact des zweiten Abends zieht, im Publikum tragen nicht wenige den Band-Merchandise. „Sehr textsicher“ seien die Fans. Stimmt, das ist nicht zu überhören.
Grass gibt einen Einblick darin, wie die 1988 in Rostock gegründete Gruppe im Stadtpark gelandet ist. „Wir wurden angefragt, dann gucken wir uns das natürlich an und gesagt: Passt. Man merkt es daran, wie die Kommunikation ist, wie der Schriftverkehr ist. Und wir haben auch andere Bands gefragt, die hier gespielt haben.“ Das ist nicht immer so, es gebe auch „Open Airs, wo du von vornherein sagst: Nee, machst du nicht.“
Positionieren gegen Rechtsextremismus: Für Dritte Wahl ist es „das A & O“
Mit „Urlaub in der Bredouille“, einem Album voller Anspielungen („Baby, ist das nicht schön, wie wir zusammen in den Abgrund sehen“), druckvollen Songs, die gleichzeitig Botschaften haben, ohne belehrend zu wirken, haben sie ihren neuesten Release dabei. „Wir haben Glück, haben ein sehr treues Publikum. Die Platte war auf Platz fünf in den Charts.“ Das sei für Musiker auch weiterhin wichtig, trotz Streaming.
Dass ein Festival die richtige politische Attitüde hat, also insbesondere klar gegen Rechtsextremismus ist, das sei „das A & O, wir informieren uns schon, auch, welche Leute hier schon gespielt haben. Wir passen auf“. Genau diese Positionierung ist für die Veranstalter aber sowieso zentral. Auch Jonas Frömming, Sänger von Das Lumpenpack, spricht das an beim Blick in die Menge. „Wenn ich mich umsehe, wenn ich die Bandshirts sehe, gibt es hier sehr viele Menschen, die ticken, die funktionieren wie ihr.“
Lumpenpack: „Sie hassen uns aus dem richtigen Grund“
Eine „demokratie- und menschenfeindliche Alternative ist keine Option“, sagt er. „Jeden Tag bekommen wir Nachrichten von Menschen, die uns scheiße finden. Aber das ist gut“, so der Frontmann. Denn: „Sie hassen uns aus dem richtigen Grund.“ Und dann geht er über in „Hauch mich mal an“, einen Song gegen Verschwörungsideologie-Quatsch.
Ein vernünftiges Miteinander, das wünschen davor auch Liedfett, und zwar einen „riesigen Mosh Pit der Liebe, von 6 bis 80, egal welche Geschlechter. Seid lieb zueinander“, ruft Sänger Daniel Michel, der übrigens barfuß performt. Die Hamburger Band sorgt für Begeisterung, das ist unverkennbar, und dürfte einige neue Fans gewonnen haben.
Für einen guten Zweck sind auch Martin Schütt und Sebastian Uerz von Cuts And Shaves, dem Friseursalon an der Ohechaussee, vor Ort. Wer sich die Haare schneiden lässt, hilft einer wichtigen Einrichtung. „In diesem Jahr sammeln wir für die TAS (Tagesaufenthaltsstätte für Obdachlose; d. Red.).“ Diese wird bekanntlich derzeit am Herold-Center neu gebaut, da gibt es immer Bedarf. Uerz: „Wir wachsen auch ständig, haben in diesem Jahr einen Masseur dabei. Das ganze Team von uns sind 30 Leute, die hier mit aktiv sind.“ Das Open Air sei diesmal „wirklich groß, wir sind dankbar, dabei sein zu dürfen“.
„3000 bis 4000 Leute, für das dritte Jahr ist das gut“
Das Gesamtkonzept passt, findet Torsten Grass. „Hier sind 3000 bis 4000 Leute, für das dritte Jahr ist das gut. Eine Pflanze muss gegossen werden.“ Er wünscht dem „MBOA“ alles Gute, ist sowieso optimistisch. „Wenn das hier gegen den Baum fährt, weiß ich auch nicht. Die Organisatoren haben nichts verkehrt gemacht.“ 2025 geht es auf jeden Fall weiter, die „Katze im Sack“-Tickets gab es auf dem Gelände, also Karten, ohne zu wissen, wer im kommenden Jahr hier spielt. So machen es auch die großen Festivals, zum Beispiel Wacken. „Manchmal fährt man auch gar nicht hin wegen der Bands, sondern wegen der Freunde. Man sieht die Leute, freut sich, das ist wie auf dem Campingplatz, hat Vertrauen zu den Veranstaltern. Die wissen schon, was sie machen.“
Erschöpft, aber auch glücklich, stehen die, also Patricia Kahl und Tony Groß, zum Abschluss auf der Bühne. „Was ich sehe, ist eine Sache. Aber was ich draußen fühle – die Leute sind so geil drauf, sie unterstützen sich, ich bin wirklich stolz auf dieses Publikum. Und das bescheinigen uns die Bands und die Managements – die Atmosphäre ist außergewöhnlich. Dafür danken wir euch allen, ihr macht das Match Börner Open Air zu dem, was es ist“, so Groß.
Kahl dankt „unseren Familien und Freunden“, denn die arbeiten überall mit, allen voran an den Getränkeständen, „die schwitzen da draußen“. Und zur Dritten Wahl hat sich eine ganz besondere Beziehung entwickelt: „Die haben uns ein Jahr lang supportet, durch die Social-Media-Beiträge, die sie immer wieder geliket und geteilt haben. Das ist für uns kleine Veranstalter wahres Gold. Das hat noch nie eine Band so krass gemacht.“
Match Börner Open Air: So war der erste Tag des Festivals im Stadtpark Norderstedt
Festival ist nur einmal im Jahr: Viele Musikfans wollen möglichst keine Sekunde des „MBOA“ verpassen. Und so bildet sich schon lange vor dem offiziellen Einlass zum Gelände auf der Hangwiese im Stadtpark eine Schlange bis zur Seepromenade hinab. Begrüßt werden die Besucher von mittelalterlicher Musik – ein Dudelsackspieler dreht am Eingang seine Runden.
Illegal 2001: „Nie wieder Alkohol“ – Kultsong zum Auftakt
Um 17.36 Uhr eröffnet Norderstedts Oberbürgermeisterin Katrin Schmieder das Festival, auch ihre Stellvertreter, Baudezernent Christoph Magazowski und Sozialdezernentin Kathrin Rösel, lassen sich das Event nicht entgehen. Inklusive Selfie für Instagram mit Moderator Michael Eggert. Dann starten Illegal 2001 durch, die Band aus Schleswig-Holstein gibt es schon seit 1988, auch aus dem Kreis Segeberg kommen Mitglieder. „Nie wieder Alkohol“, skandiert Sänger Thomas Lötzsch. Und: „Finger weg von Facebook, trink lieber mal ein Dosenbier, oder auch mal zwei.“
Ohrenfeindt: 30. Geburtstag für die Rocker aus St. Pauli
„Danke, dass ihr trotz der Flüssigsonne hier seid“, so begrüßt Chris Laut, Sänger der Hamburger Rockgruppe Ohrenfeindt, das Publikum. In diesem Jahr feiert die Band aus St. Pauli bereits ihren 30. Geburtstag. „Du brauchst Rock!“, ruft der Frontmann. Der Sound ist gradlinig, manchmal erinnert Laut mit seinem Organ an AC/DC. Sein Motto: „Auf die Fresse gibt‘s umsonst! Den Rest musst du bezahlen!“
„Kein Bock auf Nazis“: Initiative gegen Rechtsextremismus ist in diesem Jahr Partner in Norderstedt
Sie stoßen im Stadtpark auf offene Ohren: Die Initiative „Kein Bock auf Nazis“, 2006 mitgegründet von ZSK, ist in diesem Jahr ein Partner des Festivals, informiert über ihr Engagement gegen Rechtsextremismus, Rassismus und die AfD. „Wir sind bei großen und kleinen Events dabei“, sagt Miri, die zum Team gehört. Rund 100 Veranstaltungen sind es pro Jahr. Der Gesprächsbedarf wächst, sagt sie mit Blick auf die politischen Entwicklungen. „Wir müssen uns umso mehr einsetzen.“ In Norderstedt sei das Publikum gemischt, „ich finde es super, dass die Leute unseren Stand so gut annehmen“. Die Match-Organisatoren haben übrigens bewusst Künstler eingeladen, die sich aktiv gegen rechte Strömungen einsetzen.
Nonstop wird gezapft: Die meisten Besucher greifen zum Bier
Was auch sonst: Bier ist das Grundnahrungsmittel beim Match Börner Open Air. Der Andrang an den Theken ist riesig, das Holsten Edel fließt in Strömen aus den Zapfhähnen. Nicht selten müssen durstige Besucher einige Minuten warten, das Personal, übrigens viele enge Freunde des „Match“, rotiert fast schon im Akkord.
Mr. Hurley & Die Pulveraffen: Einst spielten sie auf der Landesgartenschau in Norderstedt
Ob jemand der heutigen Gäste damals dabei war? Tatsächlich haben Mr. Hurley & Die Pulveraffen nicht zum ersten Mal in Norderstedt gespielt. „Ahoi“, begrüßt Buckteeth Bannock die Menge und wird sentimental: „Vor 13 Jahren haben wir eines unserer ersten Konzerte auf der Landesgartenschau gespielt.“ Danach entstand der Stadtpark, jetzt schließt sich der Kreis. Auserzählt sei das Thema „Piraten“ noch lange nicht, versichert die Band aus Osnabrück. Bei „Tortuga“ gibt es sogar eine Polonäse. Kein Wunder, dass da auch endlich die Abendsonne scheint.
„Mr. Hurley & Die Pulveraffen habe ich jetzt zum sechsten Mal gesehen“
Viele sind von außerhalb gekommen, auch das zeugt von der zunehmenden Bekanntheit: So wie Melanie, Luca und Tarek aus Kiel. „Mega, gut gemacht“, sei das Festival, sagen sie. Luca ist Fan von Mr. Hurley & Die Pulveraffen, davon zeugt sein T-Shirt. „Das Medley fand ich am schönsten. Ich habe sie jetzt zum sechsten Mal gesehen, auf Konzerten und Festivals.“ Melanie sieht Versengold zum ersten Mal. „Ein Kollege hat mich angefixt.“ Ihr Lieblingssong? „Kobold im Kopp, definitiv.“
Die „Metal-Mentalität“: „Wenn du hinfällst, helfen wir dir wieder hoch“
„Abriss!“ Das erwartet Esther aus Hamburg von Versengold, für die sie nach Norderstedt gefahren ist, zusammen mit Jens, Frank und Thorben. „Extreme. Nice people.“ Jens wirbt für „Metality“, eine Community von Heavy-Metal-Freunden, die sich wohltätig stark macht, sammeln unter anderem für Obdachlose Schlafsäcke, begleiten Menschen mit Behinderung auf Konzerte. „Die Metal-Mentalität macht auch aus: Wenn du auf einem Konzert im Mosh-Pit bist, auf dem Boden liegst, hast du sofort sechs Arme, die dir hochhelfen. Und das ist es, was wir machen: Wenn du im Mosh-Pit des Lebens hinfällst, helfen wir dir wieder hoch.“
Headliner Versengold: Balladen und Partyhits für die vielen Fans
Viele haben wegen ihnen Tickets gekauft, und sie werden nicht enttäuscht: Versengold aus Bremen sind eine der erfolgreichsten deutschen Gruppen im Folk-Genre und das Highlight von Tag eins. „Ein wunderschönes Festival, vielen Dank für die Einladung“, sagt Sänger Malte Hoyer. Die Hanseaten wissen, was ihre Fans wollen, bringen eine Mischung aus erdigen Balladen und Songs zum Mitfeiern. „Verlieb‘ dich nie, nie, nie, niemals, nie in das Mädchen hinter der Bar“, heißt es im Hit „Thekenmädchen“. Und ganz in Grün, genauso wie die vielfach getragenen Hüte, erleuchtet die „MBOA“-Bühne beim „Kobold im Kopp, er spielt wie bekloppt Balalaika.“