Nahe. Termin in der Bait-ul-Baseer Moschee in Nahe: Diskussion über Kalifat, Sharia und das Miteinander von Religionen. Ein besonderer Abend.

„Einen Raum für Dialog und Austausch schaffen und Ängste nehmen“, sagt Imam Hasib Ahmad Ghaman, „das sind die Ziele der heutigen Veranstaltung.“ Unter dem Titel „Kalifat & Sharia – Eine Bedrohung?“ hat die muslimische Gemeinde in ihre Räumlichkeiten in der Bait-ul-Baseer Moschee in Nahe geladen. Aufhänger sind die Demonstrationen von Gruppen wie „Muslim Interaktiv“ unter anderem in Hamburg, die ein Kalifat und eine Wertediktatur in Deutschland gefordert hatten.

Der Abend beginnt mit einer Zitation aus dem Heiligen Koran mit anschließender deutscher Übersetzung. Danach richtet der Sprecher der Gemeinde, Danial Wadood, ein paar einleitende Worte an die Gäste und weist darauf hin, dass die Gemeinde nach den Kalifat-Demos und der Debatte über gescheiterte Integration sowie über die Unvereinbarkeit von Deutsch- und Muslimsein „die Debatte nicht den Populisten überlassen wolle, nicht den religiösen und nicht den rechtspopulistischen“.

Nach Kalifat-Demos in Hamburg: Naher Gemeinde räumt mit Vorurteilen auf

Der Bait-ul-Baseer Moschee gehört zu der muslimischen Reformgemeinde Ahmadiyya Muslim Jamaat, die in Deutschland eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist. Die Gemeinde in Nahe hat ungefähr 400 Mitglieder, ist seit über 30 Jahren im Ort beheimatet und stellte 2019 nach acht Jahren Bauzeit ihre Moschee fertig. Die Gemeinschaft wurde in den 1880er-Jahren von Mirza Ghulam Ahmad in Indien gegründet. Die Gemeinde setzt sich in der Gemeinde Nahe mit Blutspenden oder dem Neujahrsputz, bei dem die Reste der Silvesternacht entsorgt werden, immer wieder für die Gemeinschaft ein.

Nach den einleitenden Worten tritt Imam Hasib Ahmad Ghaman ans Rednerpult und hält einen Vortrag, in dem er über die Begriffe Sharia und Kalifat aufklärt. Sharia heißt übersetzt „der Weg“ und beschreibt somit den gesamten Lebensweg eines Muslims gemäß der islamischen Lehre. Grundlagen sind dabei der Koran, die Heilige Schrift der Muslime, die Sunna, die Lebenspraxis Mohammeds und der Hadith, die Aussagen des Propheten.

„Es gibt kein Sharia-Buch auf Amazon“

Die Sharia ist dabei kein kodifizierter Koran, an den sich Muslime halten müssen. Imam Ghaman sagt: „Es gibt kein Sharia-Buch auf Amazon.“ Die Sharia ist „sehr lebendig, sehr dynamisch“ und bedarf immer wieder der Interpretation.

Auch der Begriff Kalifat soll von seinem negativen Image, das er unter anderem durch die Terrorgruppe IS (Islamischer Staat) erlangte, befreit werden. „Man dürfe das Kalifat des IS nicht als Synonym für alle Kalifate sehen“, sagt der Imam, der extra aus Kiel gekommen ist. Kalif ins Deutsche übersetzt, heißt zunächst einmal Statthalter, Nachfolger, Vertreter oder Verwalter.

Ein gewaltsames, politisches Kalifat? Das ist „unislamisch“, sagt der Imam

Die Ziele eines Kalifats lassen sich aus der dem Koran (Sure 2: Vers: 152) entnehmen und bestehen in der Rezitation der Zeichen Gottes, dem Reformieren der Menschen, dem Unterricht in der Religion und der Erhöhung des moralischen Bewusstseins. Politische Macht ist für die Erreichung der Ziele nicht notwendig. Ein gewaltsames, politisches Kalifat sei „unislamisch“, erklärt der Imam und führt verschiedene Stellen des Korans an, mit denen er die Sichtweise der Radikalen entkräftet. Die Mehrheit der Muslime sei sich darüber auch einig.

Hasib Ahmad Ghaman ist die Unterscheidung zwischen einem politischen und einem spirituellen Kalifat wichtig. Das spirituelle Kalifat, wie es die Ahmadiyya Muslim Jamaat lebt, sei analog zum Papst im katholischen Christentum. Im Christentum wird der Papst als Nachfolger von Petrus gewählt. Die Ahmadiyya Muslim Jamaat wählen ihren Kalifen als Nachfolger ihres Gründers, Mirza Ghulam Ahmad.

Imam Hasib Ahmad Ghaman (links) aus Kiel und Danial Wadood, Sprecher der Moscheegemeinde in Nahe, vor der Bait-ul-Baseer Moschee. Im Hintergrund das Motto der Ahmadiyya Muslim Jamaat „Liebe für Alle, Hass für Keinen!“
Imam Hasib Ahmad Ghaman (links) aus Kiel und Danial Wadood, Sprecher der Moscheegemeinde in Nahe, vor der Bait-ul-Baseer Moschee. Im Hintergrund das Motto der Ahmadiyya Muslim Jamaat „Liebe für Alle, Hass für Keinen!“ © Johannes Lanvermeyer | Johannes Lanvermeyer

Im Anschluss an den Vortrag des Imams besteht die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Für den Vortrag und das Angebot gibt es viel Lob. Ein Besucher spricht der Gemeinde seinen „ausdrücklichen Dank“ aus. Des Weiteren sagt er: „Ich habe die Sharia als strenge Lehre angesehen, aber alle Menschen können sich die Sharia zum Vorbild nehmen.“ Der Abend erfüllt damit genau seinen Zweck: Vorurteile abbauen.

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Diskussion in der Moschee: „Als katholischer Christ kann ich die Sharia voll unterschreiben“

Im Anschluss an die Fragerunde stehen zahlreiche Mitglieder der Gemeinde für weitere Fragen und Gespräche zur Verfügung. Ulrich Schöneberg sagt: „Als katholischer Christ kann ich die Sharia voll unterschreiben. Es sei nur zu wenig in der Öffentlichkeit bekannt.“ Nach dem Gespräch mit Imam Hasib Ahmad Ghaman kommt er zu dem Schluss: „Die Gemeinsamkeiten zwischen den Gläubigen sind so groß. Man müsste positiv miteinander an einer gemeinsamen Zukunft arbeiten.“

Gut 25 Gäste – ausschließlich Männer – lauschen dem Vortrag des Imams und genießen im Anschluss pakistanische Spezialitäten. Von außerhalb der Gemeinde sind aber nur eine Handvoll Besucher gekommen. Diese sind aber begeistert und freuen sich über den interreligiösen Austausch. Auch Joachim Brunkhorst, Kreistagsabgeordneter der CDU, hat die Einladung wahrgenommen und ruft die Religionen dazu auf, „offen füreinander zu sein“. Ihm ist es ein Anliegen, die Gemeinde in der Region willkommen zu heißen.