Norderstedt/Kiel. „Schule 2.0“: Europaweit einzigartiges Bildungsprojekt in Norderstedt vorgestellt. Lernplattform soll das Wissen des Landes vernetzen.
Der Digital Learning Campus (DLC) soll die Lernform der Zukunft in Schleswig-Holstein sein – und Norderstedt will ein lebendiger Teil davon werden. Doch dazu muss das europaweit einzigartige Bildungsprojekt erstmal bei allen potenziellen Nutzerinnen und Nutzern bekannt gemacht werden. Deswegen kam Schleswig-Holsteins Bildungsstaatssekretär Guido Wendt jetzt in den Sky-Campus des Fintech-Unternehmens Serrala im Nordport, um den DLC vorzustellen. Drei Dutzend Gäste aus Politik, Verwaltung, Verbänden und Wirtschaft konnte er dort begrüßen.
Eingeladen hatte den Staatssekretär der Norderstedter Landtagsabgeordnete Patrick Pender (CDU), der dem Bildungsausschuss des Landtages angehört und der sofort „Feuer und Flamme“ für die Idee war. „Wir erhoffen uns davon einen Himmel voller guter Ideen“, sagte Pender. „Wir müssen das Lernen weiterentwickeln und künftig digital denken. Norderstedt könnte ein Innovations-Faktor werden und wäre dann mal wieder eine Idee voraus.“
Digital-Campus: Norderstedts Schulen und Unternehmen sollen dabei sein
Was ist der DLC? In Sachen Digitalität und Zukunftskompetenzen muss die schleswig-holsteinische Gesellschaft schleunigst einen „Gang hochschalten“, wie es Stefan Lemke vom Bildungsministerium in Kiel in einem Erklär-Video zum DLC ausdrückt. Der Digital Learning Campus werde von Herbst an ein landesweites digitales Netzwerk sein, das alle Bürgerinnen und Bürger „zum Mitmachen, Mitlernen und zum Gestalten ihrer persönlichen Zukunft, ihres Unternehmens und ihres Landes einlädt, wie das Bildungsministerium es beschreibt. „Sie können sich fit machen im Bereich der Zukunftskompetenzen, neue Netzwerke knüpfen und zusammen Ideen und Projekte entwickeln, die Innovationen für Wirtschaft und Gesellschaft hervorbringen.“
Der DLC sei so etwas wie „Schule 2.0“, sagte Staatssekretär Wendt. Geplant sei, alle Hochschulen, aber auch Berufs- und Musikschulen, Volks- und Fachhochschulen miteinander und mit den Unternehmen und Bürgerinnen und Bürgern zu vernetzen. Es soll so die Möglichkeit entstehen, dass die Ideen des einen mit den Kompetenzen der anderen fortentwickelt werden. Beispiel: „Da könnten dann Studenten mit Dozenten zum Beispiel eine App entwickeln, die den Studienablauf besser organisiert“, erklärte Wendt.
EU finanziert den DLC mit 38 Millionen Euro
DLC-Projektleiter Ronny Röwert nennt ein anderes Beispiel: Wenn Fachhochschulen wie die Nordakademie in Elmshorn Kurse anbietet, die sich mit Künstlicher Intelligenz oder der computergestützten Erweiterung der Realitätswahrnehmung („augmented reality“) beschäftigen, könnten sie diese künftig über die Online-Plattform starten und weiterentwickeln.
„Der Digital Learning Campus definiert Bildung völlig neu und bietet Schülerinnen und Schülern, Studenten und Studentinnen, Mitarbeitenden von Unternehmen und anderen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, sich mit digitalen Themen wie künstliche Intelligenz zu beschäftigen“, erklärt Röwert. „Alle Angebote stehen kostenlos und barrierefrei zur Verfügung.“
Dem Land sei es gelungen, 38 Millionen Euro an EU-Geldern für das einmalige Lernprojekt zu erhalten, sagte Staatssekretär Wendt. Das Projekt soll zunächst fünf Jahre laufen. Die Universitäts- und Fachhochschulstandorte Kiel, Lübeck, Flensburg und Heide seien für den DLC als physische Lernorte ausgewählt worden. Hier würden die virtuellen Angebote gebündelt und über den DLC für alle Menschen erreichbar gemacht.
Norderstedt: Lernort nach Feierabend
Es gehe auch darum, das zu erlernen, was einen wirklich interessiert. Auf dem digitalen Campus könnten sich Schüler, Bürger, Studenten oder Unternehmer in der Mittagspause oder abends nach Feierabend treffen, um gemeinsam digitale Bildungsprojekte auf den Weg bringen, erklärt Projektleiter Röwert das Konzept. Lernorte könnten dann sowohl digital als auch in Präsenz Angebote vorhalten.
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Der Landtagsabgeordnete Pender will die Schulen und Unternehmen in Norderstedt auf den Campus bringen. Er stelle sich vor, die örtlichen Bildungseinrichtungen, die Volkshochschule und das Berufsbildungszentrum über die städtische Entwicklungsgesellschaft (EGNO) mit den lokalen Wirtschaftsbetrieben und der Industrie- und Handelskammer zusammenzubringen. EGNO-Sprecher Keno Kramer sieht dabei eine gute Möglichkeit, die alljährliche EGNO-Jobtour, bei der Schulabgänger Ausbildungsbetriebe vor Ort besuchen, mit dem DLC zu verbinden. „Wir erwarten davon für die Betriebe und Schüler Synergieeffekte.“
Serrala: „Wir brauchen digital denkende Mitarbeiter!“
Bei der Wirtschaft scheint das Bildungsministerium mit diesem DLC-Konzept offene Türen einzulaufen. Gastgeber Axel Rebien, Vorstandschef von Serrala beschrieb, wie sehr sein Fin-Tech-Unternehmen bereits auf digitale Lösungen setze. „Bei uns gibt es nur noch Bildschirme, kein Papier mehr in den Büros. Wir sind komplett digital“, sagte der CEO des Weltmarktführers in der Automatisierung von Finanzdienstleistungen.
Vor drei Jahren hat das weltweit agierende Unternehmen rund 50 Millionen Euro in seine neue Firmenzentrale am Südportal in Flughafennähe investiert. Von hier aus operieren jetzt 280 Beschäftigte und entwickeln Softwareprogramme, mit denen Großkonzerne wie Daimler, Porsche, Siemens, Lufthansa, IBM, Ikea, Lidl oder Bookingcom täglich Milliarden Euro über ihre Konten abwickelten. „Wir digitalisieren diese bislang meist manuellen Prozesse“, sagte der Serrala-Boss. „Unser Herz schlägt in Norderstedt. Wir brauchen digital denkende Mitarbeiter.“
Digital Learning Campus: KI analysiert Studienbewerber der Nordakademie
Und die Nordakademie, die ebenfalls ein fester Partner für das landesweite DLC-Konzept ist, arbeite bereits kräftig an einer KI-Lösung, die Bewerbungen von neuen Studierenden im Vorhinein nach ihrer Eignung analysiere und auswähle, sagte Akademie-Vizepräsidentin Professor Sandra Blumberg. Denn anders als in früheren Jahren, als sich die Schulabgänger schon Jahre voraus bei der Nordakademie beworben hätten, täten sie dies heute oft spontan wenige Monate vor Studienbeginn. Die Abbruchquote sei so in die Höhe geschnellt. Das sei auch ein erheblicher „Schmerzpunkt“ für die beteiligten Unternehmen, die ja den praktischen Teil im dualen System mit der Nordakademie organisieren, die Studiengänge in Wirtschaftsinformatik und Ingenieurwesen anbietet.
„Wir verstehen uns als unternehmerische Hochschule“, sagte Prof. Blumberg. Wenn mit Hilfe des jetzt neu entwickelten KI-Sprachmodells schon vor Beginn des Studiums die Stärken, Schwächen, Motivation und Leistungsbereitschaft der Bewerberinnen und Bewerber passgenauer analysiert und bewertet werden könnten, sei das eine „Win-Win-Sitation für alle Seiten“. Denn Einstellungsfehler könnten sich die Unternehmen angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels künftig nicht mehr leisten.