Wakendorf II/Bad Segeberg . Trecker soll 55-Jährigen so dicht überholt haben, dass dieser stürzte und starb: Doch nun kam die dramatische Wahrheit ans Licht.

Spektakuläre Wende im Prozess vor dem Amtsgericht Bad Segeberg im Verfahren um den tragischen Tod eines Radrennfahrers (55) auf der Landstraße zwischen Tangstedt und Wakendorf II am 11. September 2022: Der wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung angeklagter Treckerfahrer (66) aus Tangstedt wurde freigesprochen.

Es war ein Unfall, der im ganzen Kreis Segeberg für Empörung sorgte: Angenommen worden war, dass der Treckerfahrer an jenem 11. September den Mann auf seinem Rennrad derart rücksichtslos überholt hatte, dass er in den Straßengraben stürzte und dort verstarb. Der Treckerfahrer war nach dem Unfall verschwunden und wurde schließlich von der Polizei ermittelt.

Tad eines Radlers in Tangstedt: Er starb an Herzversagen

Der Angeklagte aus Tangstedt verdeckt vor Prozessbeginn sein Gesicht. Seinem Verteidiger Lars-Peter Rittgen verdankt er es im Wesentlichen, dass er von dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen werden konnte.
Der Angeklagte aus Tangstedt verdeckt vor Prozessbeginn sein Gesicht. Seinem Verteidiger Lars-Peter Rittgen verdankt er es im Wesentlichen, dass er von dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen werden konnte. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Doch nun stellte sich im Gerichtssaal vor Richter Tobias Kleimann eine ganz andere Lage dar. Der 55 Jahre alte Radfahrer, der ebenfalls aus Tangstedt kam, war damals eines natürlichen Todes gestorben. Der Radrennfahrer hatte einen schweren Herzfehler und sich schlicht an jenem Tag überanstrengt, wie ein Sachverständiger vor Gericht feststellte. Den Landwirt, der ihn an jenem Sonntagvormittag auf der Wakendorfer Straße mit seinem Traktorgespann mit Anhänger überholte, traf keine Schuld an dessen Tod.

Dass der Angeklagte nun von der Aussicht, bis zu fünf Jahre Haft für fahrlässige Tötung zu bekommen befreit worden war, hatte er seinem Verteidiger Lars-Peter Rittgen zu verdanken. Dieser ist selbst leidenschaftlicher Rennradfahrer, wie er vor Gericht sagte. Genau wie dem Rechtsmediziner Professor Claas Buschmann vom Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein kam es ihm komisch vor, wie der 55 Jahre alte Radfahrer ohne eine Berührung des Traktors – es gab keinerlei äußerliche Verletzungen – zu Tode gekommen war.

Prozess: Verteidiger ließ Messgerät auswerten

Buschmann mutmaßte bei der Obduktion des Opfers, es könnte der Schreckmoment gewesen sein, der sein Herz infolge des zu dicht an ihm vorbeifahrenden Treckergespanns plötzlich zum Stillstand gebracht hätte. Auch der Professor diagnostizierte hier bereits einen schweren Herzfehler beim Todesopfer.

Zur Sicherheit sollten deshalb die Daten des Herzfrequenz-Messgerätes ausgewertet werden, die der verstorbene Radfahrer zum Todeszeitpunkt bei sich trug, forderte der Rechtsmediziner. Doch das unterblieb seltsamerweise, wunderte sich auch Richter Kleimann. Erst Anwalt Rittgen ließ das Messgerät mit den 240.000 Datensätzen medizinisch auswerten, nachdem er monatelang vom Landeskriminalamt hingehalten und mit „falschen Daten“ versorgt worden sei.

Kurz vor dem Tod eine Herzfrequenz von 170 Schlägen

Richter Tobias Kleimann, der hier die  Grafik mit den Herzfrequenz-Aufzeichnungen des Todesopfers unmittelbar vor dessen Tod studiert, war selbst überrascht, welche Wendung dieser Fall plötzlich nahm.
Richter Tobias Kleimann, der hier die  Grafik mit den Herzfrequenz-Aufzeichnungen des Todesopfers unmittelbar vor dessen Tod studiert, war selbst überrascht, welche Wendung dieser Fall plötzlich nahm. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Und siehe da, der verstorbene Radfahrer hatte alle seine Radtouren in seinem letzten Lebensjahr mit dem Messgerät aufzeichnen lassen. 3100 Kilometer war er demnach von Januar bis September geradelt. Das Gerät zeichnete offenbar ständig jeweils die gefahrenen Kilometer, das jeweilige Tempo und die zu diesem Zeitpunkt auftretende Herzfrequenz auf.

Auch für seine allerletzte Radfahrt ist das geschehen. Und da zeigte sich, dass der an sich so erfahrene Radsportler, der bei 1,81 Meter Größe rund 100 Kilogramm wog, schon einige Minuten vor seinem Tod aus der Puste war. Er fuhr zwar erst etwa 22 km/h mit dem Fahrrad – aber sein Herz pochte kräftig mit 130 Anschlägen. Doch auf einmal trat der Mann ordentlich in die Pedalen und steigerte sein Tempo auf dieser relativ geraden Strecke auf bis zu 42,4 km/h an, was sich genau anhand der Daten auslesen ließ. Seine Herzfrequenz kollabierte fast und erreichte 170 Schläge.

Gutachter: „Rechtsmedizinische Uraufführung!“

Dies deckte sich mit der Aussage des Angeklagten, die dieser von seinem Verteidiger verlesen ließ, dass er zwei Radfahrer im großen Anstand voneinander vor sich fahren gesehen habe. Der hintere habe plötzlich abgebremst und auf dem Grünstreifen nahe dem Straßengraben angehalten, als er ihm plötzlich habe ausweichen müssen. Mehr habe er nicht sehen können.

Schon bei einem gesunden Menschen würden 180 Herzschläge pro Minute ausreichen, um lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen auszulösen, sagte Professor Buschmann. Und in diesem Fall traf es einen Menschen mit einem ungesunden Herzen, das bereits Narben aufwies und unter einer äußerst gefährlichen Herzbrücke litt, bei der ein Herzkranzgefäß durch die Muskulatur verlief und so immer wieder zusammengepresst wurde und so das Herz nicht mehr mit ausreichend Blut versorgte – erst recht nicht mehr bei erheblicher Anstrengung des Körpers, wie offenbar an diesem Sonntagmorgen.

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Somit sei der Tod des Radfahrers durch den vorher bereits vorhandenen Herzfehler verursacht worden, diagnostizierte der Sachverständige. Die Erklärung sei völlig ausreichend, so Buschmann. „Er ist einen natürlichen Tod gestorben.“ Dass ihm als Mediziner diese medizinischen Daten in dieser Fülle unmittelbar vor dem Tod eines Menschen jetzt zur Verfügung standen, sei für ihn wie eine „rechtsmedizinische Uraufführung“ gewesen, so Buschmann.

Tod eines Radlers: Treckerfahrer trotzdem verurteilt

Somit musste auch die Staatsanwaltschaft die Anklage wegen fahrlässiger Tötung fallenlassen. Allerding verblieben noch die weniger strafbewährten Anklagepunkte der Verkehrsgefährdung und des Fahrens ohne Fahrerlaubnis. So sagte der mitradelnde Kollege des Verstorbenen bei der Polizei, der seinem Freund vorausgefahren war, dass der Trecker sehr dicht an ihm vorbeigefahren sei, was der Angeklagte dann auch einräumte.

Dafür, weil er schon einmal wegen Verkehrsgefährdung verurteilt worden war, und einer abermaligen Fahrt im Januar 2023 ohne Führerschein, bei der ein Lieferwagen im Graben gelandet war, verurteilte ihn Richter Kleimann zu 9000 Euro Geldstrafe in 150 Tagessätze zu 60 Euro. Zudem rief Richter Kleimann dem Angeklagten ins Gewissen, sich endlich darüber klar zu werden, nicht mehr ohne Führerschein seinen Trecker zu fahren. „Machen Sie so schnell wie möglich wieder ihren Führerschein. Ich will Sie vor Gericht nicht noch mal sehen.“