Henstedt-Ulzburg. In Henstedt-Ulzburg fordern die Teilnehmer eine Aufklärung des Angriffs vom Oktober 2020. Prozess beginnt vermutlich erst 2022.

Für den Mann, der darum bat, nicht gezeigt zu werden, ist es die Rückkehr an einen Ort, der für ihn mit einer traumatischen Erfahrung verbunden ist. Er gehörte zu der Gruppe von Gegendemonstranten, die am 17. Oktober 2020 auf dem Gehweg an der Beckersbergstraße in Henstedt-Ulzburg nach einer AfD-Veranstaltung mit einem Pickup angefahren und zum Teil schwer verletzt wurden.

Wie berichtet, hat die Staatsanwaltschaft Kiel den Fahrer, einen Mann aus Föhrden-Barl, wegen versuchten Totschlags angeklagt.

Demonstration für die Opfer rechter Gewalt in Henstedt-Ulzburg

„Wenn hier in Henstedt-Ulzburg ein 19-Jähriger versucht, uns aus dem Leben zu reißen, verurteilen wir das auf das Schärfste. Aber wir versuchen auch, Antworten zu bekommen. Den Boden für diese Taten bereichert die AfD. Allzu oft kommt ein blindes Auge der Polizei und Justiz hinzu. Wer gegen Nazis kämpft, braucht sich auf den Staat nicht zu verlassen. Wir verlassen uns auf uns.“

Die wütende Rede ist stellvertretend für den Zorn vieler Teilnehmer der Demonstration in der Großgemeinde, zu der das Henstedt-Ulzburger Bündnis für Demokratie und Vielfalt aufgerufen hatte – zahlreiche Initiativen aus der Region waren dem gefolgt, dazu auch Antifa-Gruppierungen. „Wir fühlen mit den Opfern und werden zu dieser Tat nicht schweigen, solange sie nicht rückstandslos aufgeklärt ist“, sagt Organisatorin Britta de Camp-Zang.

Lokale Politiker kritisieren „zu extreme Betonung“

Britta de Camp-Zang vom Henstedt-Ulzburger Bündnis für Demokratie und Vielfalt.
Britta de Camp-Zang vom Henstedt-Ulzburger Bündnis für Demokratie und Vielfalt. © Christopher Herbst | Christopher Herbst

Das Bündnis, das sie als „Dorfantifa“ bezeichnet, ist nicht überall in Henstedt-Ulzburg gerngesehen. „Uns wurde gesagt, wir sollten die AfD ignorieren, wir sollten Krawallmacher, so das gängige Bild von linken Demonstranten, nicht nach Henstedt-Ulzburg holen. Oder wir sollten einfach schweigen. Das sind in unseren Augen fatale Schlussfolgerungen. Die Gefahr von Rechts betrifft uns alle. Wir wollen nicht schweigen, wenn es für andere bequemer zu sein scheint.“ Sie stellt eine Forderung an die Politik: „Wir beantragen, den Europagarten in Esther-Bejarano-Platz umzubenennen.“

Es ist nicht alles Harmonie. Der teils unversöhnliche Ton gegenüber der Polizei, die sich weitestgehend im Hintergrund hält, ist für Henstedt-Ulzburg ungewohnt. Die Vorsitzenden der SPD und der Grünen im Ort, Martina Kunzendorf und Anja Hampel, kritisieren eine „zu harte, in der Ansage zu extreme Betonung. Es ist zu einseitig gegen den Staat, gegen die Polizei“, finden sie. „Es geht um die Opfer, die mehr Gehör brauchen.“ Auch der Bundestagskandidat der Grünen, Nils Bollenbach, läuft nicht mit. „Für mich ist es problematisch, bei so einer Demonstration mitzugehen, weil ich da wie die Grünen vor Ort für die Sache stehe. Da muss ich mich rausnehmen.“

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Am Rande der Demo kommt es zu Provokationen durch Anwohner

Am Rande der Demonstration kommt es an der Hamburger Straße und der Jahnstraße zu vereinzelten Provokationen durch Anwohner. Ein Paar skandiert in Richtung der Antifa, die Polizei geht dazwischen. „Und es kamen Leute angelaufen, die sagten zu uns: Haut ab, ihr linkes Pack“, so Britta de Camp-Zang. Das habe sie so nicht erwartet. „Wir hatten gedacht, dass sich uns viele Bürger anschließen.“

Sie dankt der Polizei ausdrücklich: „Sie haben die Demonstration mit Ruhe begleitet. Sogar linke Demonstranten sagten zu mir, das seien sie anders gewohnt.“ Auch Sandra Firsching, Sprecherin der Segeberger Polizei, spricht nach Beendigung von einer „ruhigen Veranstaltung, die Versammlung verlief weitgehend störungsfrei“. Sie nennt ungefähr 250 Teilnehmende – die Organisatoren kommen auf 350 bis 400.

Wann die rechtliche Aufarbeitung der Tat fortgeführt wird, ist Sache der Jugendkammer am Landgericht Kiel. Der Kieler Rechtsanwalt Alexander Hoffmann vertritt den Geschädigten, der in Henstedt-Ulzburg über die Tat gesprochen hat, begleitet ihn auf der Demonstration. „Ich habe eigentlich keine Zweifel, dass die Anklage zugelassen wird. Ob es zu einer Verurteilung kommt, wird sich herausstellen.“ Auf Nachfrage habe ihm der zuständige Richter indes signalisiert, dass es aus Zeitgründen voraussichtlich nicht mehr in diesem Jahr zu einem Prozess kommen werde.