Henstedt-Ulzburg. Der junge Mann soll mutmaßlich absichtlich und mit hohem Tempo Menschen angefahren haben. Polizei sprach zunächst nicht von Vorsatz.
Der mutmaßlich Angriff eines Rechtsradikalen auf Demonstranten in Henstedt-Ulzburg beschäftigt jetzt auch den Staatsschutz der Polizei. Das für politisch motivierte Delikte zuständige Kommissariat der Kripo Kiel hat die Ermittlungen übernommen und untersucht, ob am Sonnabend ein Autofahrer aus der rechten Szene gezielt Anti-AfD-Demonstranten auf einem Gehweg angefahren hat.
Ein Polizist, der namentlich nicht genannt werden will, spricht inzwischen von einem Tatort, nicht von einem Unfallort. Die SPD-Landtagsfraktion hat Staatssekretär Torsten Geerdts aufgefordert, am Mittwoch im Innen- und Rechtsausschuss über den Zwischenfall zu berichten.
Die Polizei ermittele gegen den 19 Jahre alten, bislang unbescholtenen Fahrer wegen gefährlicher Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, sagte Oberstaatsanwalt Henning Hadeler. Ein Sachverständiger untersuche den Tatort an der Beckersbergstraße und den von der Polizei beschlagnahmten, silberfarbenen VW Amarok mit SE-Kennzeichen, dessen vorderes Nummernschild bei dem Aufprall gegen drei Personen teilweise abriß.
Anti-AfD-Demo: Polizei feuert Warnschuss ab
Zu dem Zwischenfall war es nach einer durchweg friedlichen Kundgebung gegen eine Veranstaltung der AfD mit Bundesparteichef Jörg Meuthen im Bürgerhaus in Henstedt-Ulzburg gekommen. Als die sich die Anti-AfD-Kundgebung vor dem Bürgerhaus auflöste, soll der 19-Jährige aus dem Kreis Pinneberg nach einem Handgemenge zwischen Teilnehmern der linken und rechten Szene mit dem VW Amarok an der Beckersbergstraße über den Bürgersteig in eine Gruppe von linken Demonstranten gefahren sein.
Um weitere Eskalationen zu verhindern, feuerte ein Polizist einen Warnschuss ab. Als Reaktion auf den Zwischenfall zogen am Sonntag bei einer Spontan-Demonstration 200 Teilnehmer vom Bahnhof quer durch den Ort. 80 Polizeibeamte begleiteten den Aufzug, der sich gegen Nazis und rechte Gewalt richtete.
Zeugen hatten nach dem Zwischenfall berichtet, der Fahrer sei mit Absicht und hohem Tempo auf eine Personengruppe zugefahren. Hadeler berichtet von drei Verletzten, eine Frau habe im Krankenhaus behandelt werden müssen. Der genaue Hergang sei noch unklar, sagte er. Die Polizei befrage viele Zeuge und warte auf das Gutachten. Er gehe jedoch davon aus, dass zumindest ein Teil der Fußgänger sich auf dem Gehweg aufgehalten hätten. Dennoch sei auch ein Unfall nicht auszuschließen.
Linke Szene spricht von Mordversuch
„Der Vorfall vom Wochenende, bei dem ein Auto in eine Personengruppe gelenkt wurde, hat uns alle schockiert“, sagt Henstedt-Ulzburgs Bürgermeisterin Ulrike Schmidt. Wenn die Ermittlungsergebnisse vorliegen, werde die Gemeinde Henstedt-Ulzburg prüfen, ob hieraus generell Konsequenzen für die Genehmigung von Veranstaltungen der AfD im Bürgerhaus gezogen werden könnten.
Die Gemeindeverwaltung war immer wieder kritisiert worden, weil sie als einzige in der Region ihr Bürgerhaus für Veranstaltungen der AfD mit Bundesprominenz zur Verfügung stellen. Andere Kommunen wie Kaltenkirchen verweisen darauf, dass nach ihren Satzungen Veranstaltungen wie diese in ihren Räumen verboten seien. Auch Henstedt-Ulzburg hatte eine Änderung der Nutzungsvorschriften überprüft, war jedoch nach rechtlicher Beratung zu dem Ergebnis gekommen, dass ein solches Verbot juristisch nicht zulässig sei.
Ob die linke Szene weitere Aktionen in Henstedt-Ulzburg plant, ist noch offen. Der Polizei liegen hierzu nach eigenen Angaben noch keine Hinweise vor. Klar ist jedoch, dass die Szene sich klar positioniert. Inzwischen ist von einem „Mordversuch“ die Rede.
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„Dieses Beispiel zeigt ganz klar, dass menschenverachtende Ideologie, wie sie die AfD vertritt, Menschen dazu ermutigt, tätliche Gewalt gegen Menschen anzuwenden“, heißt es in einer Mitteilung der Hamburger Aktion „Aufstehen gegen Rassismus“. Ganz anders bewertet Dennis Rohwerder von der Norderstedter AfD den Vorfall: „Hier haben ganz offensichtlich Parteifremde bewusst versucht der AfD zu schaden. Dies spricht jedoch nicht gegen die AfD, sondern eher klar für die Besonnenheit derer, die tatsächlich der AfD angehören.“
Nach Demo in Henstedt-Ulzburg: Politik drängt auf Aufklärung
Der Kaltenkirchener Hanno Knierim, Landessprecher der Partei Die Linke, sagte: „Die Ereignisse des Wochenendes sind ein Musterbeispiel dafür, wie Gewalt aus der rechten Szene verharmlost und kleingeredet wird.“ Dass in den polizeilichen Meldungen von einem „Verkehrsunfall“ die Rede sei und dass der Täter weiterhin frei herumläuft, lasse ihn an der Ausrichtung der Sicherheitsbehörden zweifeln. Knierim: „Wer versucht, mit einem Auto Personen zu überfahren, gegen den sollte wegen versuchten Mordes ermittelt werden.“
Der extremismuspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Jan Marcus Rossa, forderte eine lückenlose Aufklärung: „Wir dürfen nicht zulassen, dass linke und rechte Aktivisten weiterhin regelmäßig unseren Rechtsstaat angreifen. Demonstrationen sind ein äußerst wichtiges Instrument der Meinungsäußerung, das aber niemals die Begehung von Straftaten rechtfertigen kann. Wenn es am Ende einer friedlichen Demonstration immer wieder zu Ausschreitungen kommt, dann muss der Rechtsstaat den Treibern solcher Taten einen Riegel vorschieben“, sagte Rossa.
Auch die Bündnis90/Die Grünen im Landtag drängen auch Aufklärung. Der rechtsextremismuspolitische Sprecher der Fraktion, Lasse Petersdotter, sagte: „Die Nachrichtenlage ist immer noch mehr als diffus. Es ist wichtig, Klarheit darüber zu erhalten, was am Wochenende nach der AfD-Veranstaltung in Henstedt-Ulzburg genau passiert ist. Schon in der Vergangenheit war das Auto eine beliebte Tatwaffe von Rechtsextremen.“