Henstedt-Ulzburg. Protest gegen AfD-Veranstaltung eskaliert. Rechter fährt mit Auto in Gruppe. Vier Menschen werden verletzt.
Der Staatsschutz hat die Ermittlungen im Fall einer am Rande einer Anti-AfD-Demonstration in Henstedt-Ulzburg angefahrenen und dabei verletzten Frau übernommen. Es solle überprüft werden, ob das Geschehen am Sonnabendabend möglicherweise politisch motiviert gewesen sein könnte, sagte Oberstaatsanwalt Hadeler am Montag in Kiel. Aktuell werde ermittelt wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung und wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.
Sollte sich durch Zeugenaussagen und Sachverständige ein Sachverhalt ergeben, wonach die 21 Jahre alte Frau auf dem Bürgersteig absichtlich angefahren worden sein sollte, seien Ermittlungen auch wegen eines versuchten Tötungsdeliktes nicht ausgeschlossen. Die Frau wurde entgegen ersten Polizeiangaben nicht schwer, sondern leicht verletzt. Sie sei ambulant im Krankenhaus behandelt und in der Nacht zum Sonntag entlassen worden. Zudem seien zwei weitere Personen angefahren und dabei leicht verletzt worden.
Auslöser für Sonntags-Demo war eine vorangegangene Eskalation
Was war passiert? Nach einer durchweg friedlichen Kundgebung gegen eine Veranstaltung der AfD mit Bundesparteichef Jörg Meuthen im Bürgerhaus in Henstedt-Ulzburg am Sonnabendabend folgte am Sonntagnachmittag eine Spontan-Demonstration mit etwa 200 Teilnehmern vom Bahnhof quer durch den Ort. 80 Polizeibeamte begleiteten diesen spontanen Aufzug auf der Straße, der sich gegen Nazis und Anschläge rechter Gewalt richtete und auch von der Polizei genehmigt wurde, wie Polizeisprecher Kai Hädicke-Schories am Sonntag vor Ort sagte.
Auslöser für die spontane Sonntags-Demo war die Eskalation am Abend zuvor, als die Anti-AfD-Kundgebung sich bereits gegen 18 Uhr in Auflösung befand. Da soll nach einem Handgemenge zwischen Teilnehmern der linken und rechten Szene ein Anhänger der rechten Szene mit einem SUV, einem hellen Pick-up-Fahrzeug, an der Beckersbergstraße über den Bürgersteig in eine Gruppe von linken Demonstranten gefahren sein und dabei drei Männer und eine Frau verletzt haben. Alle vier konnten nach Polizeiangaben nach ambulanter Behandlung wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Die Antifaschistische Initiative Pinneberg, die am Sonntag auch zu der Spontan-Demo in Henstedt-Ulzburg aufrief, verurteilte diesen „gezielten Angriff mit einem Auto von einem AfD-Anhänger“ auf ihrer Homepage als „Mordversuch“. Die Polizei ermittelt „gegen den Unfallfahrer wegen der Straftat‚ gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr‘“, so Polizeisprecher Hädicke-Schories.
Die Linke der Hamburgischen Bürgerschaft sieht in dieser Formulierung eine Verharmlosung seitens der Polizei. Sie forderte am Montag in einem Schreiben rechte Gewalt klar als solche zu benennen. Metin Kaya, Fachsprecher für Migration und interkulturelles Zusammenleben der Fraktion, sieht in dem Vorfall Parallelen zu den Ereignissen in Charlottesville 2017, bei der ein Nazi vorsätzlich sein Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten gesteuert hatte. „Wir fordern alle staatlichen Institutionen auf, diese Tat nicht zu verharmlosen. Sie müssen ihrer Pflicht nachzukommen, unsere Demokratie zu schützen“, so Kaya.
Rechter fährt Demonstranten an – und wird wieder freigelassen
Im aktuellen Fall ist der Fahrer ein 19 Jahre alter Mann aus dem Raum Elmshorn im Kreis Pinneberg. Dieser habe die Situation des Vorfalls so geschildert, dass zwei seiner drei Begleiter, die zwischen 20 und 44 Jahre alt sind, von Antifa-Leuten eingekesselt und festgehalten worden seien. „Die holen wir uns“, habe er zu seinem Mitfahrer gesagt, und so seien sie auf die Menschengruppe über den Bürgersteig zugefahren, um ihre Kumpel zu befreien.
Ob dies mit hoher Geschwindigkeit passiert sei, wie andere Augenzeugen berichten, müssten jetzt die Untersuchungen zeigen, so Hädicke-Schories. „Das Auto ist beschlagnahmt, ein Sachverständiger eingeschaltet.“ Der Fahrer sei in Absprache mit der Staatsanwaltschaft Kiel nach seiner Vernehmung wieder auf freien Fuß gesetzt worden.
Polizist gibt Warnschuss nach dem Unfall ab
Zudem habe ein Polizeibeamter unmittelbar nach dem Unfall einen sogenannten Signalschuss in die Luft abgegeben, so der Polizeisprecher. „Es war dunkel und nur zwei bis drei Beamten vor Ort“, so Hädicke-Schories. Damit habe der Kollege lediglich die Situation beruhigen wollen, was ihm schließlich auch gelungen sei.
Cornelia Pemöller, die die friedliche Kundgebung am Sonnabendnachmittag vor dem Henstedt-Ulzburger Bürgerhaus mit 200 bis 300 Teilnehmern – je nach Angaben von Polizei und Veranstalter – mitorganisiert hatte, bedauert diesen Vorfall am Ende der Kundgebung zutiefst. „Unser Mitgefühl gilt den Opfern“, sagte sie.
Sie habe nicht gesehen, wie das Fahrzeug in die Menschengruppe fuhr. Es seien aber am Ende der Demo vier Personen auf den Platz der Kundgebung gekommen, die „faschistische Symbole offen trugen und szenetypisch gekleidet waren“. Diese seien dann von der Polizei des Platzes verwiesen worden. Eine dieser Personen, so hätten Zeugen berichtet, sei dann in den VW Pick-up gestiegen und auf die Gruppe der späteren Verletzten zugefahren.
Abgeordneter spricht von Übergriffen auf AfD-Anhänger
„Es ist aber auch sehr bedauerlich, dass die ganze friedliche Demonstration, die ein wunderbarer gemeinsamer Schulterschluss so vieler bunter Gruppierungen von Bürgern, Parteien, Gewerkschaften, Vereinen und Geschäftsleuten aus Henstedt-Ulzburg davon jetzt überschattet wird“, sagte die Mitveranstalterin der Kundgebung, an der auch Bürgervorsteher Henry Danielski und Bürgermeisterin Ulrike Schmidt teilnahmen.
„Wir haben Angst, dass dann künftig niemand mehr gegen Antisemitismus, Homophobie, Faschismus und Rassismus auf die Straße geht.“ Dann hätten die gewonnen, die dieses menschenverachtende Gedankengut teilten und friedliche Demonstranten einzuschüchtern versuchten.
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Während der Kundgebung bezichtigten sich beide Seiten verschiedener Provokationen. So sagten AfD-Kreissprecher Julian Flak und Landtagsabgeordneter Klaus Schaffer, dass eine AfD-Anhängerin von Antifa-Demonstranten, die sich mit etwa 50 Leuten zu einer Sitzblockade an der Jahnstraße verabredet hatte, daran gehindert worden sei, zum Bürgerhaus zu kommen. „Solche Übergriffe haben mit friedlicher Demonstration nichts mehr zu tun“, kritisierte der Abgeordnete Schaffer. Außerdem seien sie beleidigt und bepöbelt worden.
AfD-Veranstaltung wurde von etwa 60 Besuchern verfolgt
Cornelia Pemöller wiederum kritisiert das Verhalten einiger AfD-Funktionäre, die sich provozierend vor einigen Demonstranten aufgebaut, diese verlacht, beschimpft und gefilmt hätten. Auch bei ihr seien von Unbekannten Plakate vom Zaun gerissen und Stellwände beschmutzt worden. Sie fühle sich bedroht.
„Dieses Beispiel zeigt ganz klar, dass menschenverachtende Ideologie, wie sie die AfD vertritt, Menschen dazu ermutigt, tätliche Gewalt gegen Menschen anzuwenden. Nach den Morden in Halle, Hanau und dem Mord an Walter Lübcke richtete sich der Terror gestern erneut gegen politisch Andersdenkende.“, sagt Leo Kollwitz von der Kampagne Aufstehen gegen Rassismus Hamburg.
Polizeisprecher Hädicke-Schories sagt: „Die angemeldete friedliche Demonstration ist am Sonnabend friedlich geblieben“, bis zu diesem Vorfall mit dem Auto und den vier Verletzten. Während etwa 60 Besucherinnen und Besucher im Bürgerhaus die AfD-Veranstaltung zu den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise verfolgten, störten die Demonstranten draußen mit Sirenen, Trillerpfeifen und „Nazis raus“-Rufen die Veranstaltung.
Bürgermeisterin lehnte einen „Diskurs“ mit der AfD ab
Bürgermeisterin Ulrike Schmidt, die zwei Tage vor der Veranstaltung von der AfD zum „Diskurs“ ins Bürgerhaus eingeladen worden war, hatte dies abgelehnt. „Ich habe heute etwas anderes vor“, sagte die Verwaltungschefin. Sie wolle lieber an der Gegendemonstration teilnehmen. „Es ist gut, dass Henstedt-Ulzburg für eine demokratische Gesellschaft eintritt“, sagte Schmidt. Sie sehe „keinen Anlass, mit einer Partei in den Dialog zu treten, die in der Gemeinde keine Rolle spielt“.
Henstedt-Ulzburgs Bürgervorsteher Danielski sagte: „Die AfD soll dahin gehen, wo der Pfeffer wächst.“ Und WHU-Fraktionschefin Karin Honerlah betonte: „Es ist gut, diesen Herrschaften mit Gesicht und Stimme zu zeigen, dass wir sie hier nicht haben wollen.“