Aumühle/Lübeck. 55-Jähriger gibt im Prozess in Lübeck an, er habe Angst vor ihr gehabt und sich bedroht gefühlt. Jetzt wird der Fall neu aufgerollt.

Wurde Alexander S. von seiner Frau Olga H. (alle Namen geändert) derart provoziert und gereizt, dass er keinen anderen Ausweg sah, als sie zu töten? Das prüft seit Mittwoch, 20. November, das Landgericht Lübeck. Wie berichtet, war der heute 55 Jahre alte Mann aus Aumühle vor einem Jahr wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von achteinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Er soll am 8. März 2023 seine Frau nach einem Streit erwürgt haben.

Alexander S. ging in Revision. Im Mai hob der Bundesgerichtshof das Urteil teilweise auf. Es soll nun von einer anderen großen Strafkammer geprüft werden, ob es sich um einen minder schweren Fall von Totschlag handelt. Laut Strafgesetzbuch liegt dieser vor, wenn der Totschläger „ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden“ ist. Laut Alexander S. habe seine Frau wenige Tage vor der Tat versucht, ihn umzubringen. Während des Streits, in dessen Folge er sie erwürgte, habe er sich bedroht gefühlt.

Prozess in Lübeck: Mann erwürgt Ehefrau – wegen ihrer „tierischen Augen“?

Läge ein minder schwerer Fall von Totschlag vor, würde das den Strafrahmen erheblich verschieben. Normalerweise wird Totschlag mit einer Freiheitsstrafe zwischen fünf und 17 Jahren bestraft. Bei einem minder schweren Fall sind ein bis zehn Jahre möglich. Das hatte das Landgericht Lübeck bei der Hauptverhandlung im vergangenen November ausgeschlossen.

Nach sechs Verhandlungstagen und mehr als 20 gehörten Zeugen sah es das Gericht seinerzeit als erwiesen an, dass Alexander S. seine Frau Olga H. am Abend des 8. März gegen 22.10 Uhr erwürgt hat, nachdem ein Streit zwischen den Eheleuten eskaliert war.

Prozess in Lübeck: Hintergrund der Tat in Aumühle war die schwierige Beziehung zwischen den Eheleuten

Hintergrund der Tat war die schwierige Beziehung zwischen der später Getöteten und dem Angeklagten. Alexander S. und Olga H. waren seit 2009 verheiratet. Olga H. hatte aus erster Ehe zwei erwachsene Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Zusammen hatte das Paar zwei minderjährige Söhne. Seit der Tat leben sie bei ihrer Großmutter, sie hat das alleinige Sorgerecht.

Der Tatort: die Große Straße in Aumühle.
Der Tatort: die Große Straße in Aumühle. © HA | Birte Keller

Immer wieder hatte es Streit und Gewalt in der Beziehung gegeben. 2021 hatte Olga H. ihren Mann wegen häuslicher Gewalt angezeigt, nachdem er sie mutmaßlich gegen den Kühlschrank gestoßen hatte, verzichtete aber auf ein Gerichtsverfahren. Ein Grund war unter anderem die Aufgabenverteilung in der Familie. Der Angeklagte war als Hausmann für Haushalt und Kinder zuständig, seine Frau betrieb zu Hause ein Kosmetikstudio, war allein für die finanzielle Versorgung der Familie zuständig – und nicht zufrieden damit, wie ihr Mann sich um Haus und Kinder kümmerte.

Bluttat in Aumühle: Es gab Konflikte wegen Haushaltsführung und Intimleben

Ein weiterer Konfliktherd: Sexualität. Olga H. wünschte sich mehr Körperlichkeit, hatte Affären mit anderen Männern, ihr Ehemann wusste davon. Auch bestand noch Kontakt zu ihrem Ex-Mann, dem sie noch am Tatabend ihre Liebe gestand. Am 8. März schließlich eskalierte die angespannte Situation zwischen den gebürtigen Russen. Es war Weltfrauentag, ein Feiertag, der im Heimatland von Alexander S. und Olga H. intensiv gefeiert wird. 

Es ging alles freundlich los, es wurde gemeinsam gegessen und Alkohol getrunken. Doch dann entbrannte ein Streit zwischen den Eheleuten über das Intimleben, der schnell zu Gewalt führte. Olga H. warf mit Flaschen nach ihrem Mann, schlug ihm mit der Hand ins Gesicht. Der Angeklagte schlug mit der Faust zurück. Als sie zu Boden ging, schlug er weitere drei Male zu. Beide sollen angetrunken gewesen sein.

Bluttat in Aumühle: Alexander S. würgte seine Frau, bis sie nicht mehr atmete

Olga H. versuchte zu fliehen, ihr Mann packte sie und würgte sie, bis sie nicht mehr atmete. Die Kinder waren während der Tat im Haus. Damit sie die Leiche ihrer Mutter nicht sahen, wickelte Alexander S. sie in ein Laken und in schwarze Folie ein, trug sie ins Schlafzimmer und stellte einen Stuhl vor die Tür. Am nächsten Morgen brachte er die Kinder zur Großmutter und stellte sich der Polizei, der er das Tatgeschehen schilderte.

Beamte der Spurensicherung betreten am 9. März 2023 das Haus, in dem Olga H. am Abend zuvor erwürgt wurde.
Beamte der Spurensicherung betreten am 9. März 2023 das Haus, in dem Olga H. am Abend zuvor erwürgt wurde. © Birte Keller | Birte Keller

In der Hauptverhandlung im November vergangenen Jahres nahm das Gericht dem Angeklagten nicht ab, dass die Frau ihren Mann, wie vom Angeklagten behauptet, wenige Tage vor der Tat umbringen wollte. Die vage Darstellung im Gegensatz zur genauen Schilderung seiner Tat sowie die Tatsache, dass er nichts unternommen hatte, ließen laut Gericht erhebliche Zweifel zu. Außerdem habe Olga H. laut damaliger Einschätzung des Gerichts kein Motiv gehabt.

Prozess in Lübeck: Laut Angeklagtem hat seine Frau Tage zuvor versucht, ihn zu töten

Doch genau daran hält der Angeklagte in der Revisionsverhandlung fest. „Ich habe damals die Wahrheit gesagt“, sagte er am Mittwoch vor dem Landgericht Lübeck. Seine Einlassung aus der Hauptverhandlung wurde erneut verlesen. Laut dieser habe seine Frau in den Wochen vor der Tat jeden Tag Alkohol getrunken, sei unfreundlich gewesen, habe ihn beleidigt und provoziert. Das habe ihn verletzt. Nach einem eigentlich schönen gemeinsamen Tag sei Alexander S. nachts davon wach geworden, dass seine Frau ihm einen Bademantelgürtel um den Hals wickelte. Er konnte sich befreien.

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Einige Tage später habe Olga H. ihm direkt gesagt, dass sie ihn habe umbringen wollen. Wenig später kam es zur Tat. An diesem Abend will Alexander S. „tierische Augen“ an seiner Frau beobachtet haben, er habe sich bedroht gefühlt. „Ich dachte, dass sie mich wirklich umbringen wollte. Es tut mir unendlich leid“, heißt es in der Einlassung. Während sie verlesen wurde, weinte der 55-Jährige, teils heftig.

Prozess in Lübeck: Psychiaterin äußerte sich am Mittwoch zum Angeklagten

Als sachverständige Zeugin wurde am Mittwoch eine Psychiaterin gehört, mit der der Angeklagte nach dem Totschlag an seiner Frau gesprochen hatte. Sie schilderte ihre Eindrücke vom Angeklagten und der Beziehung. „Seit einem Bruch im Jahr 2014, als seine Frau mit einem anderen Mann durchbrannte, war die Ehe kaputt“, so die Psychiaterin. Der Angeklagte habe wenig warme Worte für seine Frau übrig gehabt. Seit 2014 sei keine Liebe mehr da gewesen, man sei nur der Kinder wegen zusammengeblieben.

„Der Angeklagte sprach über seine Frau als schlechte Hausfrau und Mutter, bezeichnete sie als Diebin und kriminell“, so die Zeugin. Die Ehe habe Alexander S. ihr gegenüber als Fehler bezeichnet, den er bereut. Olga H. sei laut dem 55-Jährigen nicht einfach gewesen, habe viele dunkle Charakterzüge gehabt. Am Tatabend habe er sich bedroht gefühlt, auch die Familie in Gefahr gesehen. Durch die Konflikte in der Partnerschaft habe sich viel Unglück und Unzufriedenheit angestaut, die letztlich zur Tat geführt haben, so die Einschätzung der Psychiaterin. „Er war überfordert und tief gekränkt und wollte eine ausweglose Situation beenden“, sagte sie am Mittwoch vor Gericht. Durch die Haftsituation habe er regelrecht erleichtert gewirkt, als sei er eine Sorge losgeworden. Der Prozess wird am Dienstag, 26. November, fortgesetzt.