Lauenburg. Der 83-Jährige war in der Stadt als „bunter Vogel“ bekannt, immer auch ein bisschen geheimnisvoll. Sein letzter Wunsch blieb unerfüllt.

Willi Wunder ist tot. Der kleine Mann mit den lebhaften braunen Augen verstarb im Alter von 83 Jahren allein in seiner Lauenburger Wohnung. Willi Wunder – im ersten Moment denkt man da an einen Künstlernamen. Aber der gelernte Dekorateur, Barbesitzer und Lebenskünstler, den es Mitte der sechziger Jahre von Hamburg nach Lauenburg verschlagen hatte, hieß wirklich so.

Wenn er aus seinem Leben erzählte, war von schönen Frauen die Rede, von wüsten Schlägereien, von Rivalitäten unter Clubbesitzern oder von Brandstiftung. Sogar in eine Schießerei auf dem Hamburger Kiez soll er mal verwickelt gewesen sein. Vieles, was er erzählte, klang abenteuerlich, doch das meiste ist belegt.

Nachruf: Willi Wunder tot – Lauenburg trauert um einen Lebenskünstler

Ehe es Willi Wunder nach Lauenburg verschlagen hatte, war der Hamburger Kiez sein Zuhause. Welcher Umstand ihn in die Provinzstadt geführt hatte, deutete er immer nur an: „Nicht alles war legal in meinem Leben. Aber das ist verjährt und vergessen.“ Vom Vater hatte er boxen gelernt. „Mien Jung, wer klein von Wuchs ist, muss sich Respekt verschaffen“ – dieser Satz hatte sich ihm eingebrannt. An der Nachtbar „Myfair“ und der Diskothek „Mendocino“ scheiden sich in Lauenburg noch heute die Geister: Für die einen waren die Vergnügungsstätten Ende der Sechziger die kulturellen Mittelpunkte von Lauenburg. Andere hatten die damals lieber gemieden, aus „gewissen Gründen“.

Eines hatten beide Lokale gemeinsam: einen Betreiber namens Willi Wunder – wenn auch nicht zur gleichen Zeit. „Bei mir haben die höchsten Persönlichkeiten Lauenburgs gesessen und über Politik, Gott und die Stadtentwicklung gestritten. Die Wogen schlugen mit jedem Malteser höher“, erzählte Willi immer. So manche Schlägerei unter den Herren des Magistrats hätte er damals gerade noch verhindern können. Namen nannte er nie. Ehrensache.

„Für Rocker gesperrt“: Eine Meldung aus der Lauenburger Landeszeitung aus dem Mai 1968.
„Für Rocker gesperrt“: Eine Meldung aus der Lauenburger Landeszeitung aus dem Mai 1968. © Richel

Ob Binnenschiffer oder Politiker – bei Willi Wunder waren alle gleich

Von Binnenschiffer bis zum Magistratsmitglied – bei Willi Wunder waren alle gleich.  Es brauchte wohl einige Zeit, bis man es sich mit ihm verscherzt hatte. Doch auch das kam vor. 1968 war es, da hatte der damals 27-Jährige es wieder einmal mit der Polizei zu tun. „Diesmal war ich aber nicht schuld“, schob er immer gleich hinterher. „Für Rocker gesperrt“ titelte die Lauenburgische Landeszeitung im Mai 1968. In der Nachtbar „Myfair“ war es wiederholt zu nächtlicher Ruhestörung gekommen.

Willi Wunder hatte die Notbremse gezogen. Ab sofort sei sein Lokal für Rocker und Lederjacken-Jünglinge gesperrt, teilte er der Redaktion telefonisch mit. Es ist nicht überliefert, wie lange er sich an die selbstauferlegte Regel gehalten hat. „Ich habe eben ein großes Herz. Das wurde manchmal von den falschen Leuten ausgenutzt“, deutete er immer an. Das „Myfair“ brannte 1976 ab. Es sei Brandstiftung gewesen, davon war Willi bis zuletzt überzeugt.

Statt barbusiger Damen aus dem Rotlichtmilieu, malte Willi Wunder in den letzten Jahren zarte Elfen und Fabelwesen.
Statt barbusiger Damen aus dem Rotlichtmilieu, malte Willi Wunder in den letzten Jahren zarte Elfen und Fabelwesen. © Richel

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„Willi Wunders wilde Jahre“ – dieses Buch bleibt unvollendet

Willi Wunder kam früher oft in unsere Redaktionsräume an der Alten Wache. Meist im beklecksten Maleranzug, immer eine dicke Künstlermappe unter dem Arm. Alte Zeitungsausschnitte über sich selbst hatte er ebenso gesammelt wie zahllose Skizzen, Zeichnungen von vollbusigen, wenig bekleideten Schönheiten. Alles Entwürfe für Edelbordells auf dem Kiez, wie er betonte. Die berühmten Beine am Eingang der Kultkneipe „Die Ritze“ sollen auch von ihm stammen. Ob das stimmt? Vielleicht.

Zwischen seinen Lebenserinnerungen in der Mappe viele Schulhefte, eng bekritzelt und kaum lesbar. Ein Roman sollte es werden. Einen Titel hatte er sich schon ausgedacht: „Willi Wunders wilde Jahre“. Jedes Mal, wenn er in die Redaktion kam, flüsterte er mir verschwörerisch zu: „Schreibst du mit mir das Buch?“ Ich habe ab und zu in den Heften geblättert, hatte aber eigentlich nie Zeit und war nicht wirklich aufmerksam. Doch Willi Wunder kam immer wieder. Er war sicher, dass sein Buch eines Tages veröffentlicht werden würde. Jetzt hat das Original der Schifferstadt sein letztes Kapitel geschrieben. Mach‘s gut, Willi! Du wirst fehlen in Lauenburg.