Lauenburg. Kally und Willy Darm aus Lauenburg schwärmten schon als Jungs für das Gitarrenspiel. Wie sie es bis nach Hongkong schafften.

Schon immer gab es Familien, da gehörte es zum guten Ton, dass Kinder ein Musikinstrument beherrschen, nicht immer zur Freude der Sprösslinge. Bei Willy und Kally Darm war das ganz anders. Die Brüder wünschten sich als Kinder nichts sehnlicher, als Gitarre spielen zu können. Wenn Jimi Hendrix „Hey Joe“ ins Mikrofon röhrte, dann träumten sich die Jungs auf die großen Bühnen der Welt.

Aber ihre Welt, Anfang der 1960er-Jahre, war Lauenburg. „Wir waren acht Kinder und kloppten uns um den alten Plattenspieler“, erzählt Kally. Wenn die beiden Brüder aus ihrem Leben erzählen, ist man sofort per Du. Es ist eine musikalische Zeitreise, die in der Alten Schifferstadt beginnt, durch halb Europa und bis nach Asien führt – und schließlich wieder in Lauenburg endet. Als die beiden Brüder während Kultur- und Kneipennacht in der Schifferstadt gemeinsam auf der Bühne standen, gab es ein großes Hallo. Nicht nur ehemalige Weggefährten und Freunde erinnerten sich an die musikalischen Anfänge der Brüder in Lauenburg. Auch jede Menge junge Leute ließen sich von den Songs mitreißen.

Vom ersten selbstverdienten Geld eine Gitarre gekauft

Willy ist mit 69 Jahren der ältere der beiden, wenn auch gerade mal ein Jahr. „Irgendwie haben wir es immer geschafft, uns von irgendwo her eine Gitarre auszuleihen“, erinnert er sich. „Weißt du noch, wie wir ganz dicht vor dem flimmernden Fernsehbild saßen und in jeder Musiksendung den Gitarristen auf die Hände geschaut haben?“, fragt Kally. Für Gitarrenunterricht oder gar eigene Instrumente reichte das Geld der Familie nicht. Er konnte es gar nicht erwarten, endlich alt genug zu sein, um nach der Schule ein paar Mark zu verdienen. Endlich! Im Jahre 1969 hielt Kally seine erste eigene Gitarre in den Händen.

„Wir fühlten uns wie Stars und himmelten die Musiker an, die sich damals in Lauenburg einen Namen gemacht hatten“, erzählt Willy. Werner Krzenzck zum Beispiel, der 1965 als damals 22-Jähriger die „Eddis Band“ gründete und noch heute in Lauenburg musikalisch unterwegs ist.

In der Kneipe „Mayfair“ begann die Musikerkarriere

Die ersten eigenen musikalischen Schritte der Brüder begannen mit einer Zufallsbegegnung. Peter Paulsen, damals Junglehrer an der Weingartenschule, und der Dekorateurlehrling Willy Darm trafen sich 1972 zufällig in der damals angesagten Kneipe „Mayfair“ und stellten fest, dass sie beide irische und amerikanische Folklore mochten – und Gitarre und Banjo spielten. Kally war damals der Dritte im Bunde – und so war der Grundstein für die Folk Rovers gelegt. Musikalisch passte es dann allerdings bald nicht mehr. Erst schied Kally, dann Willy aus der Folk-Formation wieder aus.

Besonders Kally hatte sich da schon dem Blues verschrieben und schrieb eigene Songs. Man mag es heute kaum glauben, aber Lauenburg war zu Beginn der 70er-Jahre eine Hochburg der regionalen Musikszene, nicht zuletzt wegen der Darm Brothers, wie sie damals genannt wurden. „In Hamburg schossen die Clubs wie Pilze aus dem Boden. Uns hatte das Woodstock-Festival inspiriert. Wir waren verrückt genug zu sagen: Das können wir in Lauenburg auch“, erinnert sich Kally. An das legendäre Lauenburger „Festival auf der Hundewiese“ erinnern sich alteingesessene Lauenburger heute noch.

Willy und Kally Darm (v.l.) 1978 bei einem Auftritt in der Lüneburger Musikkneipe Kaleidoskop.
Willy und Kally Darm (v.l.) 1978 bei einem Auftritt in der Lüneburger Musikkneipe Kaleidoskop. © Elke Richel | Elke Richel

Mal pleite, mal die Taschen voller Geld

Mittlerweile rissen sich angesagte Clubs in Hamburg und Lüneburg um die Brüder aus Lauenburg. „Wir strotzten nur so vor Selbstbewusstsein. Mittlerweile konnten wir von unseren Auftritten leben, wenn auch mehr recht und schlecht“, erzählt Willy. „Weißt du noch, als die Batterie unseres klapprigen Autos kaputtging? Da war das Geld für den Rest des Monats futsch“, sagt Kally lachend. Warum also in Deutschland bleiben, wenn einem die ganze Welt offen steht?

Als Straßenmusiker verdienten sie in halb Europa zuerst gerade mal das Nötigste, was sie zum Leben brauchten. Von einem Ort zum anderen, den Daumen im Wind. Irgendjemand nahm sie immer mit in die nächste Stadt. Die Jungs waren beliebt, anfangs gab‘s nur Freibier für ihre Auftritte, später rissen sich die Wirte darum, das Duo aus Deutschland auftreten zu lassen „Das war eine irre Zeit, voller Freiheit. Und manchmal hatten wir sogar die Taschen voller Geld“, sagt Kally.

Flucht nach Hongkong öffnete neue Türen

1980 trennten sich die Wege der beiden Brüder vorerst. Da waren sie schon wieder in Lauenburg. Willy steckte tief in einer persönlichen Krise und wollte nur noch weg, möglichst weit. „Ich hatte wieder mal kein Geld, also bot ich mich an, ein ganzes Haus zu renovieren“, erzählt er. Der Lohn reichte für ein Ticket nach Hongkong. „Das war völlig verrückt. Ich stieg aus dem Flieger, es war irre heiß und um mich herum wuselten Tausende Menschen. Da stand ich nun mit meinem Banjo und wollte am liebsten gleich wieder zurück“, sagt er. Hätte er da nur schon gewusst, dass er es in dieser Metropole noch weit bringen würde.

Wieder kam dem jungen Lauenburger Musiker der Zufall zu Hilfe. Er traf auf einen Österreicher, der sein bisheriges Leben ebenfalls an den Nagel gehängt hatte. Auch musikalisch passte es. Die Manager von Luxushotels rissen sich um das exotische Duo. Von der Gage ließ es sich in Hongkong gut leben. Doch irgendwann zog es den Lauenburger Jung wieder zurück zum norddeutschen Schietwetter. Allerdings steckte er Kally mit seinen Erzählungen an. Zusammen, da waren sie sich einig, wollten sie es in Hongkong noch mal versuchen.

Wegen der Liebe Engagement in Australien ausgeschlagen

Der Wiedereinstieg in die asiatische Glitzerwelt war nicht schwer. Willy hatte sich dort einen Namen gemacht – und dass er seinen Bruder nun mitgebracht hatte, umso besser. „Wir waren dort Stars, niemand merkte, dass wir ab und zu auch mal improvisieren mussten“, sagt er. Einmal waren reiche Chinesen in einem der feinen Hotels, in denen sie damals verkehrten. „Wir sollten mindestens einen chinesischen Song singen, bereitete uns der Manager vor. Kein Problem, sagte ich“, erinnert sich Willy. Zum Glück hatte er mal einen chinesischen Schlager in Lautschrift in sein Notizbuch gekritzelt. In zehn Minuten hatten die Brüder Text und Melodie drauf und die Chinesen waren begeistert.

Der Höhenflug der Brüder ging weiter. „Man bot uns damals ein Engagement in Australien an. Aber meine damalige Verlobte setzte mir die Pistole auf die Brust. Also traten wir den Heimweg an“, erzählt Kally. Ausgerechnet im nasskalten November des Jahres 1981 landete der Flieger in Deutschland. Glücklich waren sie nicht mit ihrer Entscheidung. Wie es beruflich weitergehen würde, war ihnen völlig unklar.

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Legendärer Club und Künstler-WG im Wasserwerk

Doch wieder einmal bewahrheitete sich der Spruch: Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine neue. Bei einem Spaziergang an der Elbe fiel Kally das leerstehende Wasserwerk vor dem Bootshaus auf, wie geschaffen für neue Projekte. Der damalige Bürgermeister Hauke Matthießen hatte ein Faible für die Kultur und überließ den Brüdern das renovierungsbedürftige Gebäude. Hier gründeten die beiden Brüder den angesagten Club Wasserwerk und die weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Künstler-WG. Zeitweise wohnte auch Maurergeselle Don Clarke im Lauenburger Wasserwerk, heute ein deutschlandweit bekannte Comedian.

Ende der 80er-Jahre begannen Willy und Kally Darm das, was man gemeinhin ein bürgerliches Leben nennt. Nach ein paar Engagements im Hamburger Schauspielhaus übernahm Willy die Leitung eines Jugendzentrums in Geesthacht. Kally wurde die gute Handwerkerseele im Hamburger Zeitverlag. Mittlerweile sind die beiden Brüder Rentner. Musik machen sie nur noch dann zusammen, wenn alles passt. So wie bei der Kultur- und Kneipennacht neulich. Festlegen wollen sie sich da nicht. „Es kommt alles so, wie es kommen soll“, philosophiert Willy, und Kally gibt ihm recht.