Ratzeburg. Architekt als Detektiv: Bei der Sanierung gab der Backsteinbau einige seiner Geheimnisse preis. Was Heiko Seidel herausfand.
Zwischen den Bauten liegen mehr als 800 Jahre: Der Hamburger Elbtower, aus Stahl, Glas und Beton errichtet, sollte das dritthöchste Gebäude Deutschlands werden, der Ratzeburger Dom ist das bedeutendste Backsteinbauwerk der Romanik in Norddeutschland. Was sie gemein haben: ein Baustopp, weil die Investoren pleite waren.
Ob der Tower in der geplanten Form fertiggestellt wird, ist offen. Anfang April dieses Jahres hatte die Signa Holding des Österreichers René Benko Insolvenz angemeldet. Der Ratzeburger Dom hingegen wurde fertiggestellt. Doch auch der damalige Bauherr, Heinrich der Löwe, stellte einst seine Zahlungen ein. Das konnte Architekt, Diplom-Ingenieur Heiko Seidel, bei der Sanierung des Westturms der Kirche erkennen. Seidel war während der bis Mai dieses Jahres laufenden Sanierung der leitende Architekt und ist ein Experte für romanische Baukunst.
Kirchenbau: Backstein als neuer Baustoff des Mittelalters
2018 waren bei der Sanierung des Kupferdaches die Schäden am Turm entdeckt worden. Der wurde daraufhin eingerüstet, um Besucher vor herabfallenden Teilen des Backsteingebäudes zu schützen. Mit jeweils 600.000 Euro steuerten Land und Bund den Großteil der Gelder zur Sanierung des 48 Meter hohen Kirchturms bei. Gefragt, wo er den Dom unter den Sakralbauten des Nordens einordnen würde, antwortet Seidel: „Ganz oben. Es ist das früheste Bauwerk, in dem der Backstein in diesem Ausmaß verwendet wurde.“
Zur sogenannten Backsteingotik zählt unter anderem das Lübecker Holstentor. Doch der Ratzeburger Dom entstand viel früher, nämlich in der Zeit der Romanik. Zwischen 1154 und 1220 wurde das Gotteshaus erbaut, bis 1380 folgten weitere Anbauten. Das Holstentor hingegen wurde zwischen 1464 und 1478 errichtet. Da hatten die Handwerker schon mehr als 200 Jahre Erfahrung mit dem neuen Material Ziegelstein gesammelt. „Man sieht am Dom ganz deutlich, dass die Handwerker mit dem neuen Baustoff vieles ausprobiert haben“, so Seidel.
Da hat der Maurer die Kelle fallengelassen
So seien zunächst viele Teile so gemauert worden, als würde man noch die zuvor üblichen Steinblöcke setzen. Weitere Entdeckung: Der Ton für die Ziegel des Sakralbaus kam aus unterschiedlichen Tongruben. Und der Westturm war ursprünglich anders geplant: Es waren repräsentative Räume und eine Balustrade vorgesehen, wo heute die Orgel steht. Auch von außen sei der Unterschied zu sehen, so der Bauexperte: „Der obere Teil des Turms passt nicht zum Unterbau.“ Es muss, so Seidels Schlussfolgerung, eine Unterbrechung des Baus wegen der ausbleibenden Finanzierung gegeben haben: „Da hat der Maurer die Kelle fallengelassen.“
Gestiftet wurde der Dom von Heinrich dem Löwen als Bischofskirche des Bistums Ratzeburg. Der Ratzeburger Dom ist der älteste der vier sogenannten Löwendome, zu denen auch die Gotteshäuser in Schwerin, Lübeck und Braunschweig gehören. Der Baustopp könnte seine Ursache in einem Streit haben: 1176 hatte Heinrich seinen Vetter, Kaiser Friedrich Barbarossa, nicht bei einem Feldzug unterstützt und musste ins Exil gehen. Aus dem kehrte er zwar wieder zurück, starb aber 1195 in Braunschweig – auch ein möglicher Grund für die Bauunterbrechung. „Wir können in einem Denkmal lesen, denn es ist ein Zeitdokument – nur ohne Schrift“, sagt Seidel.
Mehr aus der Region
- Kinder in Angst vor Trinker-Hotspot in Geesthacht: Gibt es nun eine Lösung?
- Lauenburg: Neue Elbquerung – Planer favorisieren separate Radbrücke
- „Wirtschaftswunder Sachsenwald“: So viel hat Bismarck an Steuern kassiert
Für Donnerstag, 14. November, laden Stiftung Herzogtum Lauenburg und das Kreismuseum zum Vortrag mit Seidel über die Restaurierungsarbeiten und seine neuen Erkenntnisse ein. Der Vortrag beginn um 19 Uhr im Rokokosaal des Ratzeburger Kreismuseums (Domhof 12) gleich neben dem Dom. Der Eintritt ist frei.