Geesthacht. Die Opferhelfer aus Geesthacht legen Jahreszahlen für 2021 vor. Psychosen haben zugenommen: „Die Leute stehen unter Druck“
Acht Sexualdelikte, elf Körperverletzungen sowie zehn sonstige Straftaten wie Nötigung, Bedrohung, Diebstahl, Betrug und ähnliches – es waren 29 Fälle, in denen die Opferberater des Weißen Rings in Geesthacht vergangenes Jahr Menschen geholfen haben. Wegen des Pandemiegeschehens wurde 2021 eine sechswöchige Wochen Beratungspause eingelegt.
Manfred Wilkens und Gabriele Benthack stehen immer montags von 17 bis 19 Uhr im Oberstadttreff am Dialogweg den Opfern von Kriminalität aus Geesthacht und den umliegenden Gemeinden für Gespräche zur Verfügung (Anmeldung unter 04151/834 80 04). Beraten wird stets im Sechs-Augen-Prinzip.
Weißer Ring Geesthacht: Häusliche Gewalt und Sexualdelikte im Mittelpunkt der Beratungen
Geesthacht fällt bei den Straftaten, deretwegen Opfer die Berater aufsuchen, in der Jahresstatistik der Außenstelle Herzogtum Lauenburg nicht aus dem Rahmen. Größten Anteil an der Beratung nehmen Opfer von häuslicher und sexueller Gewalt ein.
Und: „Die Psychosen haben deutlich zugenommen“, hat Außenstellenleiter Rainer Kaefert festgestellt. Da diese Erkrankungen in der Regel nicht im Zusammenhang mit Straftaten stehen, werden die Betroffenen eigentlich nicht vom Weißen Ring betreut. Eigentlich – denn die Mitarbeiter müssen erst einmal dahinterkommen, dass die Person, die vor ihnen sitzt, sich die geschilderten Vorgänge im Wahn nur einbildet: „Für diese Menschen ist das schließlich Realität“, sagt Rainer Kaefert.
Vor allem Verfolgungswahn spielt eine Rolle. So fühlte sich eine Frau von Geheimdiensten bedroht und überwacht. Das klang zunächst sogar plausibel, denn sie arbeitete in einem sensiblen Bereich, hatte mit Militärgütern zu tun. Ihre Verzweiflung wurde immer schlimmer, sie sah schließlich überall nur noch Wanzen, behauptete, das Trinkwasser sei vergiftet, stand sogar nachts bei Rainer Kaefert hilfesuchend vor der Haustür.
Lange Wartezeiten für Hilfe durch Psychologen
„Sie war nervlich völlig am Ende“, erzählt der ehemalige Polizist. Schließlich wurde eine Psychologin hinzugezogen. Einige weitere Fälle wurden gebeten, sich ans Gesundheitsamt zu wenden. „Gerade die mittlere Generation zwischen 40 und Anfang 60 steht heutzutage gewaltig unter Druck“, weiß Rainer Kaefert. „Das Ventil sind dann häufig wir“, ergänzt Manfred Wilkens. Das Problem, nicht nur bei Wahnvorstellungen, sondern auch für tatsächliche Opfer von Verbrechen: Die langen Wartezeiten, um psychologische Hilfe zu bekommen.
Insgesamt wurde im Kreis Herzogtum Lauenburg vergangenes Jahr 91 Opfern – 2020 waren es 82 Opfer – von Straftaten finanziell oder auch immateriell geholfen. Die sieben ehrenamtlichen Helfer im Kreis waren knapp 1200 Stunden im Einsatz. An finanziellen Leistungen für Opfer, die durch eine Straftat in einen finanziellen Engpass geraten sind, für Rechtsberatungen bei einem Fachanwalt und Erstberatung bei einem Psychologen, wurden insgesamt 18.700 Euro ausgezahlt. Das Geld wird unter anderem durch Spenden finanziert.
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Experten gehen von hoher Dunkelziffer bei häuslicher Gewalt aus
Auch auf Ebene des Kreises waren die meisten Betroffenen Opfer von Körperverletzungen (30 Prozent) oder Sexualdelikten (22 Prozent). Die Dunkelziffer könnte allerdings um einiges höher liegen. Das Problem während der Corona-Zeit: „Viele Opfer von häuslicher Gewalt trauten sich nicht, zu uns zu kommen, denn die Täter waren die ganze Zeit wegen Homeoffice zu Hause und hätten das mitbekommen. Und bei einem Hausbesuch wäre es natürlich der Worst Case, wenn beim Beratungsgespräch plötzlich der Täter in der Tür steht“, schildert Manfred Wilkens die Probleme des Pandemiejahres.
Es folgen sonstige Straftaten (18 Prozent), versuchte Tötungen (6 Prozent), Diebstahl und Betrug (je 5 Prozent), Stalking und Bedrohung (je 4 Prozent), Raub und Mobbing (je 3 Prozent). Fast 75 Prozent der betreuten Opfer waren Frauen und Mädchen.
Manfred Wilkens fordert eine Verbesserung beim Opferschutz, die sich seiner Meinung nach mit geringem Aufwand erreichen ließe: „Was ich als schlimm für Opfer empfinde, ist, wenn Täter und Opfer aus einem räumlichen Umfeld kommen und sich bei vorzeitiger Entlassung des Täters aus der Haft völlig unvermittelt, etwa an einer Supermarkt-Kasse, gegenüberstehen. Denn die Opfer werden hier, anders als in Hamburg, nicht über eine vorzeitige Freilassung des Täters informiert.“