Geesthacht. Der Linken-Politiker will Protestwähler nicht kampflos der AfD überlassen. Er ist Direktkandidat im Wahlkreis 10.

Als die Grünen bei der Sitzung der Geesthachter Ratsversammlung im Mai eine Resolution auf den Weg bringen wollten, mit der Bund und Land aufgefordert werden sollten, die Kita-Kosten zu übernehmen, haute Christoph Hinrichs, der Fraktionsvorsitzende der Linken, mal wieder einen raus. „Liebe Grüne“, begann der Direktkandidat seiner Partei bei der Bundestagswahl im Wahlkreis 10 (Herzogtum Lauenburg/Stormarn Süd). „Warum nur eine Resolution? Ihr habt das im Wahlprogramm, die SPD auch, Die Linke sowieso. Daher meine Frage: Ist es euch wirklich ernst damit? Warum dann keinen Antrag?“, wollte Hinrichs wissen und verwies auf eine Mehrheit der drei Parteien.

Hinrichs tat die Resolution als „Wahlkampfgetöse“ und wirkungslosen Appell ab und stellte – um es auf die Spitze zu treiben – selbst den Antrag, dass die Stadt ab diesem Sommer keine Elternbeiträge in den Kitas mehr erheben solle. Wohlwissend, dass dies schon deshalb abgelehnt werden würde, weil es Geesthacht in den Ruin treibe.

Bundestagswahl 2021: Hinrichs ohne Illusionen – Chance geht gegen Null

Am Sonntag, 26. September, ist Bundestagswahl.
Am Sonntag, 26. September, ist Bundestagswahl. © funkegrafik nrw | Marc Büttner

Auch zu seinen Aussichten als Direktkandidat in den Bundestag einzuziehen, gibt er sich keinen Illusionen hin. „Es ist eine gegen Null strebende Chance“, sagt Hinrichs. Bei der Wahl 2017 erzielte Die Linke im Wahlkreis 5,1 Prozent der Erststimmen. Über die Landesliste kamen zwei Linke aus Schleswig-Holstein nach Berlin. Hinrichs steht auf der aktuellen Liste gar nicht drauf. Doch warum tritt er dann überhaupt an? „Ich möchte den Menschen, Stichwort Protestwähler, eine Alternative zur Alternative (er meint die AfD, die Red.) geben“, so der 54-Jährige.

Dabei war Die Linke nicht immer die politische Heimat des „eingeborenen Ostholsteiners“ (Hinrichs). Die rote Mitgliedskarte hat er erst seit Januar 2016, genau so lange lebt er in Geesthacht. Davor engagierte er sich in Preetz bei den Piraten. „Das Problem bei denen war, dass sie sich abschaffen wollten, wenn sie alle Ziele erreicht haben. Doch Politik ist lebendig. Es gibt immer was zu entscheiden“, sagt er.

Hinrichs sitzt im Haupt-, Finanz- und Umweltausschuss in Geesthacht

Bei den Geesthachter-Linken wurde der Indus­triekaufmann schnell die dominierende Figur. Hinrichs sitzt im Haupt-, im Finanz- sowie im Umweltausschuss und ist im Sozial- und im Bildungsausschuss oft als Vertretung gefordert.

Ein zeitintensives Hobby. „Pro Ausschuss kann man mit drei Stunden rechnen. Die Vorbereitungszeit ist eher mehr. Dazu kommen Fraktionssitzungen und Wahlkampfauftritte“, zählt er auf. Die 900-Euro-Aufwandsentschädigung, die er für alle Posten erhalte, sehe nur nach einer stattlichen Summe aus. „Wenn ich es ausrechne, komme ich auf fünf Euro Stundenlohn“, sagt Hinrichs. Das sind acht Euro weniger, als seine Partei in ihrem 168-seitigen Wahlprogramm fordert.

Hinrichs wohnt in einer Genossenschaftswohnung in Geesthacht

Anstatt also in seiner 3,5-Zimmer-Genossenschaftswohnung – wie sollte es für einen Linken anders sein – in der Oberstadt abends den Fernseher einzuschalten, liest sich der Besitzer von drei Katzen in komplexe Themen ein.

Das ist meist nicht vergnügungssteuerpflichtig und erfordert von seiner zweiten Frau und den beiden Töchtern, die noch zu Hause leben, viel Verständnis. „Meine Frau meint, die Politik ist meine heimliche Geliebte. Und mein verstorbener Vater pflegte zu sagen, dass die Grundlage einer guten Familie sei, sich weitgehend aus dem Weg zu gehen“, so Hinrichs.

Über seinen Vater, einen ehemaligen Gewerkschafter, der mit dem Fahrrad die Mitgliedsbeiträge abkassierte und seinen Sohn häufig mitnahm, kam Christoph Hinrichs zur Politik. „Lokalpolitik ist hemdsärmelig. Da kann man etwas erreichen – und wenn ich dafür wie bei der Schaffung für mehr Schulsozialarbeitsstellen mit der CDU zusammenarbeiten muss“, sagt er.

Parteiausschlussverfahren wegen Kritik an Israel überstanden

Ohnehin müssten Parteien häufiger über den eigenen Schatten springen, auch seine. Schließlich müsse sich auch Die Linke im Klaren sein, dass sie Programmpunkte aufgeben müsse, wenn sie in die Regierung will. Hinsichtlich Außen- und Migrationspolitik liegt er da nicht auf Parteilinie. Für die Äußerung der Staat Israel sei ein fundamentales, totalitäres Regime hatte er ein Partei-Ausschlussverfahren am Hals. Und zur Integration sagt er: „Wir können nur so viele aufnehmen, wie wir integrieren können, ohne dass Parallelgesellschaften entstehen.“ Das gehe nur mit einem Einwanderungsgesetz zusätzlich zum Asylrecht.

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Was den Klimaschutz angeht, wünscht sich Hinrichs eine interfraktionelle Arbeitsgemeinschaft mit Klimaexperten. Hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pflege verweist er auf den ersten von zehn Punkten aus dem Partei-Kurzprogramm: „Wir regeln Arbeit, damit sie zum Leben passt“, heißt es da. Neben 13 Euro Mindestlohn solle es kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich geben. Auf die Frage zur Finanzierung meinte er: „Das werden immer nur die Linken gefragt. Nie die anderen. Wir fordern eine Vermögensabgabe, den Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze und dass auch Beamte in die Rente einzahlen.“ Und am Ende haut Christoph Hinrichs dann wieder einen raus, wie es für ihn typisch ist. „Wenn man etwas für 85 Prozent der Menschheit erreichen will, dann muss man eigentlich Die Linke wählen.“

  • Christoph Hinrichs (54, Die Linke)

Beruf, Ausbildung: derzeit Industriekaufmann, davor Bauingenieur, Maurer, Schiffbauer

Familie: verheiratet in zweiter Ehe, fünf Kinder (ein eigenes)

Hobbys: Familie, Kommunalpolitik, Mittelalter-Märkte, Darts, Powerkiting (wenn der Rücken mitmacht)

Liebstes Reiseziel: Deutschland („Als Ingenieur habe ich genug von der Welt gesehen“)

Was ich mag: die Arbeit mit Menschen („Ich bin Vertriebler“)

Was mir fehlt: Urlaub (Ende Oktober steht der erste in diesem Jahr an)