Lauenburg. Regelmäßig protestieren „Spaziergänger“ in Lauenburg gegen die Corona-Maßnahmen. Der Bürgermeister suchte bereits das Gespräch.
Einmal in der Woche versammelt sich die Gruppe – immer am frühen Abend, mitten in Lauenburg. Sie haben sich über soziale Netzwerke verabredet. Auch diesen Donnerstag sind etwa 50 Personen zum Treffpunkt gekommen. Sie stehen eng beieinander, eine Maske trägt niemand. Einige Kinder sind mit ihren Eltern dabei und ein Familienhund.
Anders als in anderen Städten ist diese Veranstaltung ordnungsgemäß angemeldet: Ein „Spaziergang“ unter dem Motto „Jeder Mensch ist ein Licht“. In dem Aufruf, der Mitte Dezember über Facebook verbreitet wurde, steht: „Wir laden dich herzlich ein, als Symbol der Liebe und gegen die Trennung dein Licht in Form einer Kerze mit uns brennen zu lassen.“ Alle Menschen seien eine große Familie und jeder willkommen. Kein Wort des Protestes, nicht mal das Wort Corona kommt in der Einladung vor.
„Worum geht es den Leuten, warum gehen sie auf die Straße?“, will Bürgermeister Andreas Thiede wissen. Er wird heute zu ihnen gehen und das Gespräch anbieten.
Stille Corona-Demo in Lauenburg: Teilnehmer legen Wert darauf, anonym zu bleiben
Es gibt weder Plakate noch Redner. Ein paar Leute haben sich Lichterketten um den Körper gewickelt. Die Stimmung ist keineswegs aggressiv, auch nicht, als sich die Redakteurin unserer Zeitung vorstellt. Doch mit der Presse reden? Auf keinen Fall, ist man sich einig. Womit wohl niemand der Protestler gerechnet hat, plötzlich taucht Bürgermeister Andreas Thiede auf. „Sie wollen auf sich aufmerksam machen. Ich höre zu“, sagt er. Die Gruppe zeigt sich kurz irritiert. Die einen winken ab, andere zollen ihm deutlichen Respekt. „Das hätte nicht jeder Bürgermeister gemacht“, sagt jemand.
Anmelderin kann nicht sagen, ob Rechtsextreme mitlaufen
Schließlich erklärt sich eine Frau mittleren Alters doch zu einem Gespräch bereit. Sie habe die Veranstaltung angemeldet, ihren Namen wolle sie aber nicht in der Zeitung lesen. „Ich habe bisher nie AfD gewählt, eher links. Aber von dieser Partei fühle ich nicht mehr vertreten“, sagt sie, ohne danach gefragt worden zu sein. Mit Nazis habe sie trotzdem nichts am Hut. „Wie wollen Sie denn verhindern, dass sich Rechtsextreme unter ihre Gruppe mischen?“, will Thiede wissen. „Wir fragen hier nicht unsere politische Gesinnung ab, sondern protestieren gemeinsam gegen unverhältnismäßige Corona-Maßnahmen“, erklärt die Frau.
Nur als jemand in der vergangenen Woche eine Deutschlandfahne schwenkte, sei ihr kurz mulmig geworden. „Aber warum eigentlich? In anderen Ländern zeigt man doch auch gern die Nationalflagge“, fügt sie schnell hinzu.
Behördliche Erlaubnis bis Ende Februar erteilt
Eine andere Teilnehmerin erzählt: „Wir waren Weihnachten mit der ganzen Familie zusammen. Alle ungeimpft, nur eine Person geimpft. Und raten Sie mal, wer anschließend positiv getestet wurde?“ Die Anmelderin der Veranstaltung will erfahren haben: „Auf den Intensivstationen liegen ausschließlich geimpfte Menschen. Und nur diese verbreiten das Virus, da muss man nur mal die Zahlen richtig lesen.“ Der Bürgermeister bemüht sich redlich um einen Austausch belegbarer Fakten, dringt aber nicht zu ihr durch.
Thiede: Austausch von belegten Argumenten leider nicht möglich
Dann verabschiedet sich die Frau. Die Menschen setzen sich in Bewegung. Der Zug führt durch die Stadt bis zum Europakreisel und wieder zurück. Ein paar Menschen schließen sich unterwegs an. Etwa 70 Personen laufen meist schweigend durch die Stadt.
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„Ein Austausch von belegten Argumenten und Fakten war leider nicht möglich“, bedauert Bürgermeister Thiede. Bereut hat er seinen Versuch trotzdem nicht. „Ich konnte mir ein Bild machen, was hinter dem harmlos klingenden Motto wirklich steckt“, sagt er. In der nächsten Woche werden sich die „Spaziergänger“ in Lauenburg wahrscheinlich wieder treffen. Die behördliche Genehmigung ist vorerst bis Ende Februar erteilt.
In Lauenburg und Büchen formiert sich Protest auf politischer Ebene
In der Lauenburger Politik regt sich zunehmend Widerstand gegen die wöchentlichen Protestzüge durch die Stadt. „Leider haben in jüngster Zeit in zunehmendem Maße antidemokratische Kräfte die Corona-Skeptiker und und Maßnahmen-Gegner als ihre Zielgruppe entdeckt“, heißt es in einer Erklärung der SPD. Diese Kräfte würden die Verunsicherung eines Teils der Bürger ausnutzen. „Unangemeldete, aber auch wie in unserer Stadt angemeldete ,Spaziergänge’, bei denen Teilnehmer mit Deutschland-Fahnen umherwedeln, sind nur ein Anfang“, heißt es weiter.
„Wir werden in unserer Stadt nicht tolerieren, dass in der aktuellen Pandemie-Lage zu privat etikettierten Veranstaltungen mit 50 oder mehr Personen aufgerufen wird, die nicht der aktuellen Infektionsschutz-Verordnung entsprechen“, sagt SPD-Fraktionschef Jens Meyer. Kritiker der Corona-Maßnahmen, die neben Rechtsextremen „spazieren“ gehen, müssten sich den Vorwurf gefallen lassen, diese Kräfte ungewollt zu unterstützen.
SPD-Antrag soll als „Lauenburger Erklärung“ abgestimmt werden
Den Antrag im Wortlaut will die SPD-Fraktion während der nächsten Stadtvertretersitzung als „Lauenburger Erklärung“ zur Abstimmung bringen. „Ich bin davon überzeugt, dass die anderen Fraktionen unserem Antrag folgen werden“, sagt Meyer.
In Büchen formiert sich ebenfalls regelmäßig ein Protestzug gegen die aktuelle Corona-Politik. Bereits im Dezember vergangenen Jahres hatte die SPD dagegen Stellung bezogen. „Es sind schwierige Zeiten für viele Beteiligte. Dies rechtfertigt aus unserer Sicht allerdings in keiner Weise Demonstrationen, in denen Schlagworte wie Zwang und Diktatur skandiert werden“, sagte der Vorsitzende der Büchener Sozialdemokraten, Lars Schwieger. Dem schließen sich jetzt auch die Grünen an. „Diese Gruppen bestehen nicht nur aus besorgten Bürgern, sondern auch aus radikalen, antidemokratischen Positionen“, heißt es in der Erklärung des Vorstandes.
Gegendemo in Büchen mit mehr als 100 Teilnehmern
In Büchen regt sich mittlerweile auch außerhalb des politischen Spektrums Widerstand gegen die Protestzüge durch die Gemeinde. Am 3. Januar dieses Jahres kamen 100 Teilnehmer zu einer angemeldeten Gegendemo zusammen. Diese Veranstaltung wurde unter anderem von der Initiative „Omas gegen rechts“ organisiert.