Kiel/Berlin. Landtag macht den Weg für CCS frei. Forscher des Geomar halten das Verfahren für beherrschbar. Kritik von Naturschützern, SPD und SSW.

Schleswig-Holstein hat den Weg für die Speicherung von Kohlendioxid im Meeresboden der Nordsee freigemacht. Was der Landtag noch vor zweieinhalb Jahren mit Empörung einstimmig ablehnte, wird jetzt mit den Stimmen von CDU, Grünen und FDP ermöglicht. „Aus unserer Sicht ist CCU und CCS notwendig, um unvermeidbare Restemissionen nicht langfristig in die Atmosphäre zu leiten“, heißt es in einem Beschluss des Landtages. Damit kann der Bund das umstrittene Verfahren vorantreiben.

CCU (Carbon Capture and Utilization) nennt sich laut Bundesumweltamt das Verfahren, wenn Kohlendioxid abgeschieden, transportiert und anschließend wieder verwendet wird. Von CCS (Carbon Capture and Storage) spricht man, wenn das abgeschiedene CO₂ gespeichert wird. Nach dem Votum der Parlamentsmehrheit von CDU, Grünen und FDP lässt Schleswig-Holstein die Speicherung von Kohlendioxid im Boden der Nordsee unter Bedingungen zu: Das Wattenmeer und Schutzgebiete samt einem Pufferstreifen von acht Kilometern sind tabu. Ebenso wird die Speicherung von CO₂ in Kavernen an Land verboten.

Schleswig-Holstein erlaubt CO₂-Speicherung im Boden der Nordsee – unter Bedingungen

Das Verfahren ist nicht nur extrem teuer, es birgt auch Risiken. Am Meeresboden versauere durch Leckagen von CO₂ das Wasser, was Muscheln und Korallen töte, warnt der BUND. Die Nordsee und ihre Küste würde durch Pipelines, Terminals, Zwischenspeicher und Schiffsverkehr erheblich industrialisiert. „CCS ist eine Scheinlösung, die einem großen Teil der Wirtschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität nicht helfen wird”, sagt auch Greenpeace.

So funktioniert CCS.
So funktioniert CCS.

Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums in Kiel haben sich in Langzeitprojekten mit dem Verfahren auseinandergesetzt. Einer von ihnen ist Klaus Wallmann. Er und seine Kollegen haben die geologischen Daten von 38 Gesteinsformationen im tiefen Untergrund der Nordsee analysiert und neu bewertet.

Diese „Potenzialflächen“ hatten einen Abstand von mindestens 22 und höchstens 370 Kilometern zur Küste und lagen außerhalb des Wattenmeers. Alle Flächen waren aus Buntsandstein, befanden sich zwischen einem und drei Kilometern unter dem Meeresboden und lagen unter einer 20 Meter dicken undurchlässigen Ton- oder Salzgesteinsschicht“, heißt es im Bericht der Geomar-Forscher.

Milliarden Tonnen CO₂ könnten unter der Nordsee gespeichert werden

Ziel des Projektes war herauszufinden, wie groß das Speicherpotenzial ist. „Nach unseren Abschätzungen könnten unter der deutschen Nordsee insgesamt mehrere Milliarden Tonnen CO₂ gespeichert werden“, sagt Wallmann. Eine der Potenzialflächen hat das Geomar rund 100 Kilometer vor der niedersächsischen und schleswig-holsteinischen Küste ausgemacht und anhand geologischer Modelle näher betrachtet.

Dort könnten nach Wallmanns Berechnungen jedes Jahr bis zu zehn Millionen Tonnen des klimaschädlichen Gases gespeichert werden. „Wir denken daher, dass ein großer Teil der CO₂-Mengen, die in Zukunft in Deutschland abgeschieden werden sollen, unter der deutschen Nordsee deponiert werden könnte“, bilanziert Wallmann. 

Das CCS-Verfahren ist aufwendig und teuer. Für den Transport und die Speicherung fallen im ersten Schritt bei einer Entfernung von 100 Kilometern von der Küste und einer Verpressung in zwei Kilometer Tiefe rund 40 Euro pro Tonne CO₂ Kosten an, kalkuliert der Geomar-Forscher.

Das könnte sich auf 20 Euro/Tonne reduzieren, wenn das CO₂ nicht mehr mit Schiffen von einem noch zu bauenden Terminal in Wilhelmshaven in die Nordsee verbracht wird, sondern über eine neue Pipeline. „Die CCS-Gesamtkosten sind allerdings deutlich höher, da das CO₂ zunächst an den Industrieanlagen abgeschieden und zur Küste transportiert werden muss. Sie liegen zurzeit noch bei rund 150 bis 250 Euro pro Tonne CO₂.

CCS-Verfahren: Dänemark oder Norwegen nutzen es längst

Das Verfahren rechnet sich bislang nicht, noch gibt es kein Geschäftsmodell für CCS. Die Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP hatte ursprünglich nach der noch ausstehenden zweiten Lesung des CCS-Gesetzes Klimaschutzverträge mit Unternehmen geplant, bei denen CO₂ in großem Umfang anfällt. Das sind zum Beispiel Zementfabriken. „Sie sollten sich um Zuschüsse bewerben können, um die Differenz zwischen den geringeren Emissionspreisen und den höheren CCS-Preisen ausgleichen zu können. Der Plan wäre aus unserer Sicht vernünftig“, sagt Wallmann. Ob das Gesetz angesichts der vorgezogenen Bundestagswahl noch rechtskräftig wird, ist unklar.

Dänemark oder Norwegen nutzen das Verfahren längst. Ob sich CCS auch in Deutschland durchsetzen wird, hängt von den Emissionspreisen ab, sagt Wallmann. Aktuell zahlen Unternehmen 45 Euro je Tonne CO₂, die sie freisetzen. Wenn dieser Preis drastisch steigt und CO₂-intensive Produkte wie Zement damit deutlich teurer werden, beginnt CCS sich zu rechnen, sagt Geomar-Wissenschaftler Wallmann. „Die Frage ist allerdings: Machen Politik und Gesellschaft das mit? Ich glaube, dass am Ende die Wirtschaftlichkeit entscheidet, ob sich CCS durchsetzt.“  

Warum SPD und SSW in Schleswig-Holstein „nein“ zu CCS sagen

SPD und SSW in Schleswig-Holstein lehnen wie die Naturschutzverbände das Verfahren kategorisch ab. Wer CCS erlaube, mache „Schleswig-Holstein zur Müllkippe der Nation“, kritisiert Sibylla Nitsch vom SSW. Und SPD-Umweltexperte Marc Timmer warnt: Sollte Deutschland dieses teure System aufbauen, wäre der Druck groß, es auch in großem Umfang zu nutzen. Der Druck, CO₂-Emissionen zu senken, sei dagegen klein. „Die CCS-Technologie fußt auf einem System, das nur funktioniert, wenn es mit großen Mengen CO₂ versorgt wird“, warnt auch die SSW-Abgeordnete Nitsch.

Stattdessen wirbt SPD-Fachmann Timmer dafür, Firmen zu unterstützen, die versuchen, als unvermeidbar geltende Emissionen doch noch zu verhindern. „Holcim wirbt damit, dass sie das weltweit erste Unternehmen sein möchten, dass Zement ohne CO₂-Ausstoß produziert“, sagt Marc Timmer. Dabei müsse man Holcim und andere Firmen unterstützen. „Wir brauchen Forschung und Forschungsgelder. Hier ist das Geld besser investiert als in überdimensionierte altbackene Leitungssysteme“, kritisiert Timmer.

Umweltminister: Es braucht technische Lösungen

SPD, SSW und Umweltschützer werfen CDU und Grünen in Schleswig-Holstein vor, in der CCS-Frage umgefallen zu sein und Überzeugungen aufgegeben zu haben. Einer der Angegriffenen ist Umweltminister Tobias Goldschmidt. Der Politiker der Grünen steht zu dem „klaren Bekenntnis gegen CCS“ noch vor zwei Jahren und dem damals geforderten Verbot. „Aber neue Zeiten und neue Erkenntnisse erfordern neue Antworten“, sagt er. Jeden Tag müssten Menschen wegen der Klimakreise sterben, und jeden Tag stiegen die Treibhausgasemissionen, sagt Goldschmidt. 

Moore wieder zu vernässen und damit natürliche CO₂-Speicher auszubauen sei wichtig, reiche aber nicht aus, um die verbleibenden Emissionen auszugleichen. „Es braucht technologische Lösungen“, sagt Goldschmidt. CCS ist diese technische Lösung, von der der grüne Umweltminister spricht.

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Goldschmidt verweist auf die Verpflichtung der Bundesregierung zu Negativ-Emissionen nach 2045. Das heißt: In 20 Jahren muss Deutschland damit beginnen, freigesetzten Kohlendioxid wieder aus der Atmosphäre herauszuholen. Das sei ohne CCS unmöglich, argumentiert der Kieler Umweltminister. „CCS ist eine Risikotechnologie. Aber die Risiken sind beherrschbar.“