Kiel. Lösungen für unvermeidbare Treibhausgase gesucht. Statt sie in die Luft zu jagen, wächst in Politik und Wissenschaft Zustimmung zu CCS.
Vom Teufelszeug zum Klimaretter – auf diese Formel lässt sich die Einstellung großer Teile der Politik zum Thema CCS verkürzen. CCS steht für Carbon Capture and Storage und meint die Deponierung von Kohlendioxid in tiefen und sicheren Gesteinsschichten. Über lange Zeit hatte die Politik die Idee kategorisch abgelehnt, industrielle Treibhausgase zu extrahieren und einzulagern, statt sie in die Luft zu jagen. So hatte erst vor eineinhalb Jahren beispielsweise der Kieler Landtag einen Beschluss aus dem Jahr 2014 bekräftigt und sich geschlossen gegen die Speicherung von Kohlendioxid (CO2) an Land oder unter dem Meeresboden gewehrt. Jetzt, auf einmal, gilt CCS als probate Chance im Kampf gegen den Klimawandel.
Den größten Schwenk in der Politik haben dabei die Grünen hingelegt – allen voran Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Er will an diesem Montag die Eckpunkte für eine „Carbon-Management-Strategie“ des Bundes und den dazugehörenden Entwurf zur Änderung des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes vorstellen. Vorausgegangen waren „intensive Verhandlungen“ unter anderem mit den Umweltverbänden. Das Abendblatt hat mit Politikern, Wissenschaftlern und Umweltverbänden über CCS gesprochen. Was dafür spricht – und was dagegen.
CO2-Speicher im Meeresboden: Das sagen die Grünen
Von dem Moment an, als klar war, dass der Kohleausstieg Realität wird, sei ihm die Zustimmung zu CCS nicht mehr so schwergefallen. Das sagt der schleswig-holsteinische Umweltminister Tobias Goldschmidt über seinen Sinneswandel. „Letztendlich geht es um die Frage, ob die unvermeidbaren Restemissionen in die Atmosphäre gelangen oder ob wir sie unterirdisch speichern. Für diese Lösung mussten wir uns öffnen“, erklärt der Politiker der Grünen. Geöffnet hat sich auch die EU-Kommission. Sie hat erst in diesem Monat eine „Strategie für industrielles Kohlenstoffmanagement“ vorgeschlagen, die nach der Europawahl im Juni in einem Gesetz münden könnte.
Bei CCS wird klimaschädliches Treibhausgas in einem aufwendigen – und teuren – Verfahren eingefangen, unter Druck verflüssigt und dann in tiefe Gesteinsschichten im Meer oder in ehemaligen Gas- und Erdöllagerstätten oder salzwasserhaltigem Gestein an Land gepresst. Favorisiert wird die Offshore-Lösung jenseits der Küsten in der „Ausschließlichen Wirtschaftszone“, kurz AWZ. Bei der Variante hätten die Bundesländer nichts mehr zu sagen, das fiele in die Entscheidungshoheit des Bundes. Allerdings müsste in diesem Fall das CO2 über durch das Wattenmeer zu bauende Pipelines dorthin transportiert werden. Deutlich weniger aufwendig wäre es, das Treibhausgas an Land in den Boden zu pressen.
Dänemark oder Norwegen nutzen die Technologie bereits
Dänemark oder Norwegen nutzen die Technologie längst. Und so wird auch die Variante diskutiert, CO2 dorthin zu verkaufen, statt selbst eigene Anlagen aufzubauen. Das lehnt Tobias Goldschmidt ab. „CO2 nach Dänemark oder Norwegen zu exportieren, ohne die Bereitschaft zu haben, die CCS-Technologie auch bei uns einzusetzen, finde ich aus ethischen Gründen nicht richtig. Das ist keine Haltung“, sagt der grüne Minister.
Lasse Petersdotter, Fraktionschef im schleswig-holsteinischen Landtag, hat gemeinsam mit Goldschmidt für die Grünen ein Positionspapier zum Umgang mit der umstrittenen Methode erarbeitet. Er knüpft die Zustimmung seiner Partei zum CCS-Einsatz an eine Bedingung: „Wir müssen sicherstellen, dass das nicht als lebensverlängernde Maßnahme der fossilen Industrie missbraucht wird“, sagt Petersdotter.
CCS birgt Risiken. Nach Einschätzung von Wissenschaftlern ist die Gefahr bei Verpressungen in den Meeresboden der Nordsee zwar gering, aber nicht ausgeschlossen. Und bei einem Austritt dürfte „das Leben im Wasser auf einer fußballfeldgroßen Fläche zerstört werden“, sagt Petersdotter. Er hält die Gefahren von CCS an Land für deutlich größer und deshalb die Akzeptanz in der Bevölkerung für geringer als bei der Meeres-Variante.
CO2-Speicher im Meeresboden: Das sagen die Umweltverbände
Widerstand gegen die Pläne der Grünen kommt von ihren Unterstützern. So warnen Umweltverbände wie der BUND oder Greenpeace vor den Gefahren der Kohlendioxid-Verpressung. CCS verhindere den Ausstieg aus fossilen Energien, blockiere die Energiewende und gefährde den Umbau der Industrie hin zu einer ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft. „CCS blickt auf eine jahrzehntelange Geschichte überhöhter Erwartungen und unerfüllter Versprechen zurück und wäre ein gefährlicher Irrweg im Kampf gegen die Klimakrise“, argumentiert ein Bündnis aus Umweltverbänden.
Er könne die Bedenken der Umweltverbände verstehen, wonach CCS die Nutzung fossiler Technologien verlängern könnte, sagt der Kieler Umweltminister. „Das ist auch meine größte Sorge. Deshalb muss klar sein: Es geht nur um unvermeidbare Restemissionen.“ Dazu gehören die Müllverbrennung und die Herstellung von Kalk und Zement. Den Einsatz von CCS in neuen Gaskraftwerken, wie es zuletzt der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ins Gespräch brachte, lehnt dessen Parteifreund Goldschmidt hingegen entschieden ab.
BUND-Chef Ole Eggers sieht durch CCS perspektivisch das Trinkwasser gefährdet
In einer gemeinsamen Erklärung der Umweltverbände heißt es, CCS sei „das Gegenteil von Klimaschutz. Es verhindert den Ausstieg aus fossilen Energien, gibt der Öl- und Gasindustrie noch mehr Macht und belastet kommende Generationen mit der Ewigkeitslast von CO2-Deponien“. Der schleswig-holsteinische BUND-Chef Ole Eggers sieht durch CCS perspektivisch das Trinkwasser gefährdet. Er warnt zudem vor Haftungsrisiken und Folgekosten, die nicht auf die Industrie, sondern auf die Gesellschaft zurückfielen. „Jede CO2-Verpressung an Land oder unter dem Meeresboden kann Erdbeben auslösen und giftige Ablagerungen in den Böden hervorrufen. CO2-Endlager in der Nordsee gefährden das Weltnaturerbe Wattenmeer“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung, die allerdings nicht von den beiden großen Umweltverbänden Nabu und WWF mitgetragen wird.
Anders als der BUND verweist der Umweltverband WWF auf die angestrebte Klimaneutralität Deutschlands bis 2045. „Dieses Ziel kann rechnerisch, Stand heute, nur unter Zuhilfenahme von CCS für die ,nicht vermeidbaren‘ Industrieemissionen erreicht werden“, schreibt der World Wide Fund For Nature.
CO2-Speicher im Meeresboden: Das sagt der Wissenschaftler
Der Kieler Wissenschaftler Klaus Wallmann hält die Kapazitäten tief unter der deutschen Nordsee für geeignet, die „CO2-Emissionen der deutschen Industrie durch die Speicherung in Sandsteinformationen signifikant zu reduzieren“. Der Forscher am Geomar versucht mit dem Projekt „Geostar“, Speicherformationen zu identifizieren und eine Strategie für die CO2-Speicherung in der deutschen Nordsee zu entwickeln. Bei den Untersuchungen geht es auch um mögliche Leckagen und ihre Folgen für die Umwelt und um die Frage, wie sich seismischer Lärm auf Tiere wie die Schweinswale auswirkt.
Klaus Wallmann sieht das Hauptrisiko während der Betriebsphase. „Wenn das CO2 verpresst wird, steigt der Druck. Die Gefahr besteht, dass dann alte Bohrlöcher lecken und Erdbeben ausgelöst werden.“ Diese Risiken ließen sich aber durch festgelegte Druck-Grenzwerte reduzieren. Nach Ende der Verpressung sinke das Risiko bei CCS wieder, sagt der Wissenschaftler.
Verfahren sollte man aber nur dort anwenden, wo es keine Alternative gibt
Wallmann sieht an Land „andere Schutzgüter und mehr Risiken als auf See“. Hier könnte es zu Rissen in Gebäuden kommen. Oder salziges Wasser könnte aufsteigen und zur Gefahr für das Trink- und Grundwasser werden. In Norddeutschland gibt es an Land rund 20.000 alte Bohrlöcher, von denen man nicht wisse, wie gut sie abgedichtet seien. „In der AWZ wissen wir hingegen von nur 70 alten Bohrlöchern. Das zeigt: Das Risiko ist an Land ungleich größer. Deshalb wäre mein Vorschlag, offshore mit CCS zu beginnen und dabei zu lernen für eine spätere mögliche Verwendung an Land“, sagt der Wissenschaftler vom Geomar.
Aus seiner Sicht sei es besser, CO2 in der Erde zu deponieren, als es in die Luft zu jagen. Das Verfahren sollte man aber nur dort anwenden, wo es keine Alternative gibt. Zum Beispiel in der Zement- und Kalkproduktion sowie in der Müllverbrennung. Überall, wo es Alternativen gibt, sollte man sich für diese entscheiden. Zum Beispiel bei der Stahlproduktion mittels Grünem Wasserstoff.
CO2-Speicher im Meeresboden: Das sagen die anderen Parteien im Kieler Landtag
Der energiepolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Marc Timmer, warnt vor den Risiken bei CCS. „Eine dauerhafte Entsorgung ohne Leckagen völlig auszuschließen, wird vermutlich nicht möglich sein.“ Er fordert, die Gesellschaft nicht zu überfordern. „Derzeit gibt es genug zu tun beim Ausbau der Strom- und Wärmenetze sowie einer klugen Infrastruktur für Wasserstoff. Parallel dazu eine CCS-Infrastruktur aufzubauen, ohne den Vermeidungspfad konsequent zu Ende zu gehen, zäumt das Pferd von hinten auf“, so Timmer. Für die geringen Restemissionen, beispielsweise der Zementindustrie, eine aufwendige und teure CCS-Infrastruktur aufzubauen, hält die SPD „nicht für erforderlich, insbesondere, wenn man nachhaltige Klimastrategien wie Waldanbau oder Wiedervernässung von Mooren einbezieht“.
Auch der SSW wehrt sich gegen die CCS-Pläne der Grünen. „Speicherung mag harmlos klingen. Tatsächlich reden wir aber über Endlager, deren Dichtigkeit für 10.000 Jahre gewährleistet sein muss. Wer garantiert den Menschen denn, dass es nicht zu fatalen Leckagen kommt?“, fragt der Landesvorsitzende Christian Dirschauer. Der SSW hält CCS für eine „klimapolitische Sackgasse“. Die unterirdische Einkofferung von CO2 verlängere lediglich die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und sei damit „ein Sargnagel für die Energiewende“, sagt der Umweltexperte des SSW. „Der Dreck soll einfach unter den Teppich gekehrt werden. Dabei wissen wir bis heute nicht, was wir mit dem ganzen Atommüll anstellen sollen – eine Technologie, die auch einst als harmlos beworben wurde“, sagte Dirschauer. Er habe nicht gedacht, dass die Politik die Umwelt eines Tages vor den Grünen beschützen müsse.
CDU begrüßt Debatte um die Speicherung von CO2
CDU-Fraktionschef Tobias Koch – auch seine Partei hatte den ursprünglichen Anti-CCS-Beschluss im Kieler Landtag mitgetragen – sieht es anders. „Wir brauchen CCS. Ohne diese Technologie sind die ambitionierten Klimaziele nicht erreichbar. Die Wissenschaft zeigt uns ganz klar, dass CCS notwendig und in der Umsetzung sicher ist. Wir begrüßen, dass der Bund nun endlich die erforderliche Debatte um die Speicherung von CO2 angestoßen hat und nach einer Lösung in Deutschland sucht“, sagte Koch.
Den Ideen der FDP im Bundestag, die sich inzwischen sogar eine Speicherung an Land vorstellen kann, erteilt Landesparteichef Oliver Kumbartzky eine klare Absage. „Eine CCS-Speicherung an Land steht nicht zur Debatte.“ Aber wenn man die CO2-Einsparziele schneller erreichen wolle, müsse man über CCS auf See sprechen, sagt Kumbartzky. „Eine Speicherung außerhalb der Zwölf-Seemeilen-Grenze unter der Nordsee halten wir für grundsätzlich sinnvoll und sollte geprüft werden. Nachdem die Grünen ihre ideologische Bremse beim Thema CCS vor Kurzem gelockert haben, sollten sie gemeinsam mit der CDU und der Bundesregierung konstruktiv eine Strategie erarbeiten, wie und wo CO2 sicher gespeichert werden könnte.“
CO2-Speicher im Meeresboden: Die Kosten, der Zeitplan
Das schleswig-holsteinische Klimakabinett hat das Thema CCS bislang ausgespart. In Kiel warten Fraktionen und Regierung noch auf die Konkretisierung der Pläne des Bundes. Der muss seine CCS-Strategie und das CO2-Speichergesetz ändern, bevor es auf Landesebene weitergehen kann. Laut Zeitplan soll das Bundesgesetz noch in diesem Jahr geändert werden. Aber auch in Schleswig-Holstein ist eine Gesetzänderung nötig. 2014 hat der Landtag – auf Initiative von Robert Habeck – ein CCS-Verbot beschlossen. Das gilt bis heute.
CCS-Experten gehen davon aus, dass es noch mindestens zehn Jahre dauern wird, bis die Technologie in Deutschland eingesetzt wird. „Und selbst dafür wird man sich schon gehörig sputen müssen“, sagt Tobias Goldschmidt.
Kieler Umweltminister: Die Kosten liegen bei den Unternehmen
CCS ist sehr teuer und kann deshalb an den Kosten scheitern, sagt Klaus Wallmann vom Geomar. Aktuell koste eine Tonne CO2 im Emissionshandel rund 80 bis 90 Euro. „Die Kosten für CCS sind doppelt so hoch. Das heißt, die Sorge, dass CCS in vielen Segmenten eingesetzt wird, ist unbegründet“, sagt der Kieler Wissenschaftler. Um CCS zum Beispiel für die Zement- und Kalkindustrie interessant zu machen, könnte die EU-Kommission die Zertifikate im Emissionshandel verknappen. Dann stiegen die CO2-Preise, sodass sich CCS lohnen dürfte. Oder der Gesetzgeber müsste CCS subventionieren, um es zu verbilligen, sagt Klaus Wallmann.
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Eine Finanzierung der CCS-Infrastruktur lehnt der Kieler Umweltminister genauso strikt ab wie eine Absicherung des verbleibenden Risikos. Für den Grünen gilt bei den CCS-Kosten das Verursacherprinzip. Das heißt: Die Kosten liegen bei den Unternehmen. Und die geben sie dann weiter an die Kunden, sodass die Müllgebühren oder der Preis für Zement und Kalk deutlich steigen dürften. „Die Ewigkeitsrisiken wird ohnehin die Gesellschaft tragen müssen. Das unterscheidet eine unterirdische Speicherung übrigens nicht von einer Deponierung von CO2 in der Atmosphäre. Die Klimaschäden zahlen auch alle.”